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KOSOVO Antikriegsseite


Die Weltwoche, Nr. 17, 29. April 1999, Extra, S. 50

«Auschwitz» im Kosovo?
Wie man aus dem eigenen Versagen eine Tugend macht

Von Moshe Zuckermann

In Deutschland «auschwitzt» es mal wieder. Ein grüner Aussenminister und ein roter Verteidigungsminister rekrutieren mit grösster Emphase deftiges Vokabular, um den Einsatz deutscher Kampfflugzeuge im Kosovo zu rechtfertigen vor einer Öffentlichkeit, die sich - zumindest teilweise - leicht verwundert ob der Selbstverständlichkeit, mit der bombardiert wird. Der Aussenminister erklärt: «Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Sondern auch: Nie wieder Auschwitz.» Er spricht von «Milosevics SS». Der Verteidigungsminister redet von «Selektionen»; und die Regierung, der beide Minister angehören, berichtet von serbischen «Konzentrationslagern».

Nicht von ungefähr meinte Frank Schirrmacher in der «FAZ»: «Dieser Krieg wird in Deutschland, anders als in anderen Ländern, fast ausschliesslich mit Auschwitz begründet. Und vielleicht stimmt es ja, und die deutschen Tornados im Himmel über Jugoslawien bombardieren in Wahrheit nicht die Serben, sondern die deutsche Wehrmacht von 1941.» (FAZ, 17.4.99) Das suggeriert Instrumentalisierung des Holocaust, und prompt ruft denn Schirrmacher jüngst Vergangenes wieder in Erinnerung: «<Auschwitz eignet sich nicht zur Instrumentalisierung>, hatte Martin Walser vor genau sechs Monaten in der Paulskirche gesagt. Er ist für diesen Satz wie kaum je ein Schriftsteller in der Bundesrepublik attackiert worden. Jetzt, kein halbes Jahr später, dient Auschwitz zur Begründung eines Krieges.»

Die grassierende Instrumentalisierung der Shoa zu fremdbestimmten Zwecken stellt ohne Zweifel eines der gravierenden Probleme der Holocaust- Rezeption in Ländern wie Deutschland, Israel und den Vereinigten Staaten dar. Ob freilich Martin Walser der angemessene Kronzeuge für die Anmahnung der daran zu übenden Kritik sei, mag durchaus bezweifelt werden. Denn sein Zugang zum Problem mündete letztlich in eine - angesichts der Monstrosität des zu Gedenkenden - aberwitzig anmutende, öffentliche Bekundung narzisstischer Kränkung, in eine Ideologie des Wegschauens von der «Dauerpräsentation unserer Schande». Da er dabei die Kritik der Instrumentalisierung zur Abrechnung mit gewissen deutschen Intellektuellen und den Medien benutzte, erwies sich seine eigene Kritik als eine weitere Instrumentalisierung dieses immer schon medienwirksamen «Themas».

Eher zu denken geben müsste der offene Brief jüdischer Überlebender des Holocaust und von Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Nazi- Regimes, in welchem sie Fischer und Scharping vorwerfen, sie würden den Kosovo-Krieg in ungerechtfertigter Weise mit der Forderung «Nie wieder Auschwitz» begründen. Das bedeute eine «Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens» (Tagesspiegel, 24.4.99).

Nun lässt sich freilich die Instrumentalisierung des Holocaust nie ganz vermeiden. Da Vergangenes stets von gegenwärtigen Bedürfnissen, Sichtweisen und Interessen vereinnahmt wird, ist auch dieses (wie immer singuläre) welthistorische Ereignis nicht davon ausgenommen. Und dennoch lassen sich auch hierin Unterscheidungen treffen: Die Singularität des Holocaust kann dahingehend enthistorisiert werden, dass man sie zur Abwehr jeden Vergleichs benutzt, mithin die Monstrosität aktueller Gewaltverbrechen relativierend entsorgt.

Die Einzigartigkeit des Holocaust kann aber auch zum Massstab einer zivilisatorisch stets fortwährenden Tendenz zur immer monströser werdenden Unterdrückung und Gewalt erhoben werden, womit gerade das einzigartig Geschehene zur permanenten Warnung vor der immer lauernden Drohung des Rückfalls in die Barbarei «instrumentalisiert» wird. Der Unterschied liegt darin, dass die zweite Möglichkeit (zumindest vom Ansatz her) der Opfer «im Stande ihres Opferseins» gedenkt, also das Andenken der historischen Opfer dadurch ehrt, dass sie die Logik ihrer einstigen Situation zum Hebel der Verhinderung jetziger potentieller Opfer «vereinnahmt». Während Joschka Fischer sich genau darauf beruft, ist davon bei Walser, der den Holocaust angeblich nicht instrumentalisiert haben möchte, nichts übriggeblieben.

Und dennoch instrumentalisieren auch Fischer und seine Kollegen den Holocaust, wenn sie ihn zur Begründung des jetzigen Krieges heranziehen, aber in einem ganz anderen Sinn als der von Schirrmacher bzw. den Überlebenden angesprochene. Mario Vargas Llosa schreibt in der «FAZ» vom 20.4.99: «Der Nato ist nicht ihre Intervention in Jugoslawien vorzuwerfen, sondern dass sie mit zehnjähriger Verspätung eingriff ( ... ). Das gab der Diktatur in Belgrad grünes Licht, um mit ihrem Vorhaben ethnischer Säuberungen im Kosovo zu beginnen.» Es lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ob bzw. dass die Nato hätte vor zehn Jahren in Jugoslawien eingreifen können oder sollen. Ganz gewiss ist hin gegen, dass dem Westen (darunter auch Deutschland) das Auseinanderbrechen des Staatenbundes Jugoslawien, allgemeiner: die kleinstaatliche Fragmentierung und ethnische Parzellierung des Balkans, des ehemaligen Ostblocks überhaupt, vor allem aber der Sowjetunion, nicht schnell genug vonstatten gehen konnten. Manifestierte sich darin doch der endgültige Sieg im Kalten Krieg, die wirkliche Zerschlagung der siebzig Jahre währenden «Bedrohung aus dem Osten».

Ob man dabei nicht wusste, was die erneute (ethnische) Zersplitterung des Balkans nach sich ziehen würde - historisch gesehen: nach sich ziehen musste -, soll hier nicht weiter erörtert werden. Der Westen, selbstgefälliger Herr am «Ende der Geschichte», war - selbst wenn er daran kein bewusstes Interesse hatte - jedenfalls objektiv verstrickt in die Schaffung von Voraussetzungen für das alsbald in der Tat eintretende Gemetzel. Mario Vargas Llosa meint: «Hätten die westlichen Länder in diesem Moment (vor zehn Jahren, M.Z.) jene Demokraten unterstützt, die sich in Jugoslawien gegen den strammen Apparatschik wehrten, dann wären Europa die zweihunderttausend Toten in Bosmen und das Leid, das seitdem auf dem Balkan herrscht, auch das der Serben, erspart geblieben.» Offensichtlich geht er davon aus, dass sich «die westlichen Länder» zu jener Zeit wirklich nicht darum scherten, was für Auswirkungen die Befriedigung ihrer Interessen auf dem Balkan hatten.

Sie scherten sich darum ungefähr so, wie sie sich um die möglichen Folgen der von ihnen zuvor massiv betriebenen Aufrüstung Saddam Husseins geschert hatten. Als dann aber die mitverschuldeten Folgen manifest wurden, als sich herausstellte, dass da etwas «Unplanmässiges» vorgefallen und Handlungsbedarf entstanden war, da wurde der Westen flugs «moralisch». Und was kann schon moralischer sein als das Postulat: «Nie wieder Auschwitz»? Das ist ideologisch im übelsten Sinne des Wortes: die Rationalisierung eigener Mitschuld am Verbrechen durch «moralische» Verklärung, die Vertugendung eigenen Versagens. Ob sich Auschwitz für solche Zwecke eignet, darüber werden Aussenminister Fischer und seine Kollegen früher oder später Rechenschaft ablegen müssen.

Moshe Zuckermann
ist Historiker in Tel Aviv. Sein letztes Buch, «Zweierlei Holocaust», erschien im Wallstein-Verlag, 1998, Fr.36.-

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