butback.gif (224 Byte)

KOSOVO Antikriegsseite


From: h.doganay@vlberlin.comlink.de   (Hakan Doganay)

9 Fragen und Antworten zum Krieg um Kosovo

Die Wichtigkeit des Themas ist hinreichender Anlaß, ausführlicher auf einige Hintergründe einzugehen. Die offizielle Desinformation zu durchbrechen muß helfen, eine starke Bewegung gegen den Krieg und für die Solidarität mit all seinen Opfern, besonders den Kosovaren, aufzubauen.

1) Warum bombardiert die NATO Serbien, Montenegro und Kosovo?

Die NATO - und das heißt vor allem die USA als führende kapitalistische Weltmacht, - versucht, mit den Bombardierungen eine stabile, von ihr kontrollierte Herrschaftsordnung im Balkan zu erzwingen. Dort drücken sich in konzentrierter Form alle Widersprüche der imperialistischen Weltordnung aus, die sich seit dem Sturz des Stalinismus noch wesentlich verschärft haben. Weltwirtschaftskrise und der Widerstand der Massen gegen die rapide Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen führen an vielen Schauplätzen der Welt zu explosiven Ausbrüchen. Gegen diese revolutionären Prozesse richtet die NATO- Intervention eine klare Warnung an die ArbeiterInnen, Befreiungsbewegungen und Regierungen aller Länder: "Haltet Ordnung, oder wir selbstmandatieren uns, um in jeden Konflikt nicht nur mit Geld, "humanitärer Hilfe" und "Beratern" einzugreifen, sondern direkt militärisch. Wir sind die Weltpolizei!"

Doch die bürgerlichen Politiker wissen, daß zwischen Wunsch und Verwirklichung eine starke Kluft liegt. Sie können nicht überall Besatzungstruppen hinschicken. Statt dessen löschen sie wie so oft Feuer mit Benzin. Während tausende in dem Bombenhagel sterben, stehen Albanien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien, Griechenland usw. vor dem Kollaps.

Die NATO-Politiker dachten, mit einigen Bomben Milosevics Einverständnis für die faktische Besetzung Jugoslawiens erzwingen und sich gleichzeitig als Hüter der Menschenrechte präsentieren zu können. Jetzt steht die NATO vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, und hinter den Kulissen findet ein heftiger Streit über den Einsatz von Bodentruppen als nächste Eskalationsstufe statt. In den "think-tanks" und strategischen Planungsbüros von NATO, Pentagon, Bundeswehr werden seit langem alle möglichen Szenarien bis ins kleinste Detail entworfen. Doch der Riß über deren Umsetzung geht quer durch alle Lager der NATO-Befürworter. Ihre Sorge gilt keineswegs serbischen oder albanischen Menschenleben; doch würden die ersten Zinksärge mit deutschen oder amerikanischen Soldaten unabsehbare Folgen auf die mühsam zusammengehaltene innenpolitische Kriegsfront haben. Und dies nicht nur innerhalb der SPD/Grünen-Koalition. Das "now we are in, now we must win" ist leichter gesagt als getan.

2) Warum kommt die Auseinandersetzung gerade in Jugoslawien so scharf zum Ausbruch?

Jugoslawien ist nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie als verspäteter kapitalistischer Vielvölkerstaat entstanden. Die Grenzen wurden künstlich gezogen, die Nationalitäten, teilweise erst am Anfang ihrer Entwicklung stehend, wurden mehr oder minder freiwillig zusammengezwungen. Soziale Auseinandersetzungen, scharfe Klassenkämpfe und nationale Fragen waren so von Anfang an eng verflochten. Ständig gab es teilweise wechselnde Kollaborationen und Koalitionen der herrschenden Klassen mit ausländischen Mächten, die sich ihrerseits intensiv einmischten. Eine Entwicklung der Produktivkräfte fand kaum statt.

Der revolutionäre Prozeß im II. Weltkrieg gegen die deutschen Nazibesatzer führte schließlich zur Entmachtung der einheimischen Kapitalisten und Grundbesitzer. Der hierdurch mögliche Entwicklungssprung entschärfte auch die sozialen und nationalen Gegensätze. Die sich unter Tito entwickelnde und im "Bund der Kommunisten" zusammengeschlossene Bürokratie führte das Land aber spätestens seit Beginn der achtziger Jahre in eine brutale Wirtschaftskrise. Wie in den anderen Staaten Osteuropas auch erwies sich die Entwicklung eines "Sozialismus in einem Land" als reaktionäre Utopie. Die Gesetze des vom Imperialismus dominierten Weltmarktes setzten sich immer stärker durch. Die von der KP geförderte wachsende Verschuldung bei Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds verschärfte die Lage zusätzlich. Große Streikwellen und politische Unruhen erschütterten das Land. Sie verbanden sich aber nicht zu einem politischen Programm und gemeinsamen Handeln, das die Bürokratie zu stürzen und eine demokratische Regierung der Arbeiter und verschiedenen Nationalitäten an die Macht zu bringen in der Lage gewesen wäre. Die um ihre Privilegien fürchtende Bürokratie reagierte mit Repression und Reformversuchen, um in einem Wettlauf mit der Zeit sich in eine stabilere kapitalistische Klasse zu verwandeln. Viele der nur mühsam verkleisterten Widersprüche und Gegensätze brachen zunehmend wieder auf. Hinter der schönen Fassade einer Verfassung, die neben "Arbeiterselbstverwaltung" die Gleichberechtigung von Serben, Kroaten, Slowenen, Albanern, bosnischen Muslimen usw. vorspiegelte, verbarg sich Bereicherung, vielfältige Diskriminierung, Chauvinismus - und Aufbegehren dagegen. Slobodan Milosevic machte sich zum Sprachrohr eines immer offener und aggressiver auftretenden serbischen Nationalismus. Auf die Mobilisierung hunderttausender Serben gestützt schuf er sich eine Massenbasis, die ihm erlaubte, seine Widersacher im KP-Apparat auszuschalten.

Die Zerschlagung der Autonomie Kosovos und der Vojvodina 1989, als überall der Sturz der stalinistischen Einparteienregimes einsetzte, war für die anderen Nationalitäten das Signal, ihr Heil in der Unabhängigkeit zu suchen. Natürlich versuchten auch deren Bürokratien, sich durch Vertreibung und Plünderung zu bereichern. Jedoch standen ihr wesentlich geringere Mittel zur Verfügung. So blieb der Großteil der Waffenarsenale und Infrastruktur der viertgrößten Armee Europas in Händen der serbischen Bürokratie, die über die größte Volksgruppe herrscht. Milosevic mußte sich zwar nach einigen militärischen Niederlagen aus Slowenien und Kroatien zurückziehen, aber seine Truppen und faschistoiden Verbündeten überzogen bis 1995 Bosnien- Herzegowina mit einem blutigen Krieg.

3) Aber wird damit nicht die Rolle des Westens bei der Zerschlagung Jugoslawiens verharmlost?

Intervention gab es immer. Alle Sektoren der Bürokratie buhlen um die Gunst des internationalen Kapitals, sosehr sie auch nach außen hin über "Souveränität" prahlen und "Nichteinmischung" fordern. Der Westen, das heißt die kapitalistischen Regierungen und Konzerne, zieht immer starke und willfährige regionale Potentaten vor, solange sie in der Lage sind, die Kontrolle auszuüben, die Schulden zu bedienen und die Ausbeutung sicherzustellen. Deshalb wurde nach 1989 zunächst auf eine reformierte jugoslawische Föderation unter der Regie Milosevics gesetzt. Natürlich haben westliche Vertreter schon seit langem die wachsenden internen Konflikte und ihre Verschärfung aufgrund der nationalen Unterdrückung genau beobachtet. So ist z.B. die enge Verbindung Deutschlands mit der kroatischen Bürokratie Tudjmans, der um keinen Deut weniger verbrecherisch ist als Milosevic, hinlänglich bekannt. Hinzukommt, daß die Bevölkerung, die der im Namen des Sozialismus ausgeübten stalinistischen Unterdrückung und Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zurecht überdrüssig war, im Westen, in der "Marktwirtschaft", die mit der ersehnten Demokratie gleichgesetzt wurde, zunächst den einzigen Ausweg sah. Entgegen dem von vielen gepflegtem Vorurteil erfolgte die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens nicht "voreilig", sondern erst nach der Niederlage der Milosevic-Truppen und der damit offensichtlich gewordenen Unmöglichkeit, den "status quo" aufrechtzuerhalten. Ein kapitalistischer Politiker denkt viel weniger "ideologisch", "revanchistisch" oder gar "humanitär", als Freund und Feind ihm unterstellen. Seine Überlegungen sind praktischer Natur und eiskalt auf Machterhalt und Profitmaximierung ausgerichtet: "Kannst du einen revolutionären Prozeß nicht stoppen, dann such dir geeignete Verbündete. Stell dich an die Spitze der Bewegung und tue so, als seist du schon immer für sie gewesen. Ein paar Millionen Dollar Kreditversprechen werden vergessen lassen, daß du bisher auf den Unterdrücker gesetzt hattest."

Die südafrikanische Apartheid wurde erst fallengelassen, als die schwarze Revolution unaufhaltsam geworden war und zugleich mit Bischof Tutu und Mandela einflußreiche bürgerliche Politiker zur Verfügung standen. Das gleiche in Palästina mit Arafat.

Noch sorgt in China das "kommunistische" Regime mit brutalster Repression für ein "gutes Investitionsklima", was dem "demokratischen Westen" tausendmal lieber ist als das unkontrollierbare Chaos im viel demokratischeren Rußland, wo die Einparteiendiktatur der KP durch einen starke revolutionäre Massenbewegung zerbrochen wurde. Überall schielen die Gesandten der Weltbank natürlich nach Alternativen im Falle des unvermeidlichen Sturzes, wenn möglich aus den Reihen der alten herrschenden Klassen und Bürokratien.

Bosnien-Herzegowina wurde jahrelang mit einem Waffenembargo den Milosevic-Truppen und Tschetniks fast schutzlos ausgeliefert. Erst als die bosnische Armee nach dem Massaker in der "UNO-Schutzzone" Srebrenica 1995 schließlich in die Offensive ging, und die Front der demoralisierten Tschetnik-Truppen am Zusammenbrechen war, kam die NATO und setzte Dayton durch. Im Dayton-Vertrag wurden die "ethnischen Säuberungen" legalisiert und Milosevic erneut als "Ordnungsfaktor" aufgewertet. Tudjman war ihm als Juniorpartner beigefügt, und in Sarajevo sitzt der Statthalter des NATO-Protektorats Westendorp, der jeden Beschluß des bosnischen Parlaments annullieren kann. Von den großzügig versprochenen Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe sind keine 10% angekommen, und das meiste Geld landet in den Taschen der einheimischen Bürokratie, westlicher Geschäftsleute und internationaler Berater und "Hilfsorganisationen". Jetzige Kredite dienen fast nur noch der Zahlung von Zinsen und fälligen Forderungen. Die Unterdrückung im Kosovo war 1995 hinreichend bekannt, wurde aber bewußt ausgeklammert. Erst als Mitte 1998 die seit 1989 praktisch rechtlose albanische Bevölkerungsmehrheit angesichts der sich verschärfenden Repression jegliche Hoffnung für eine friedliche Lösung verlor und zum bewaffneten Aufstand überging, meldete sich die NATO.

4) Und dann kam Rambouillet?

Ja, in Rambouillet wurde versucht, angesichts des durch den kosovarischen Aufstand veränderten Kräfteverhältnisses eine Art Dayton II zu paktieren. NATO-Truppen sollten die UCK entwaffnen, die Milosevic-Truppen sich größtenteils zurückziehen, der Kosovo aber mit einer "bewachten Autonomie" Teil Serbiens bleiben. Wegen dieses erzwungen erneuten Verzichts auf Unabhängigkeit lehnte die UCK zunächst ab, stimmte in der zweiten "Verhandlungsrunde" aber zu. Warum? Ein Faktor war die erneut einsetzende Vertreibungswelle durch die Milosevic-Truppen, der die UCK militärisch nichts entgegenzusetzen hatte. Hinzu kamen Drohungen und Versprechen der USA sowie interne Auseinandersetzungen und verschiedene Interessen innerhalb der UCK. Letzteres wurde mit dem erzwungenen Rücktritt des Leiters der UCK- Delegation, Adem Demaci, deutlich, Vertreter des Flügels, der Rambouillet weiterhin ablehnte.

Umgekehrt hatte auch Milosevic allen Grund, vor allem den nachgeschobenen Annex B abzulehnen, der die bedingungslose Stationierung und Bewegungsfreiheit der NATO-Truppen in ganz Jugoslawien, und damit den Verzicht auf jegliche Souveränität, vorsah.

5) Gibt es denn eine Alternative zu den Bombardierungen, um die vollständige Vertreibung der Kosovoalbaner zu stoppen?

Dieses Argument ist pure Heuchelei und Zynismus. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Die Bombardierungen haben die Vertreibungen und Massaker nicht behindert, im Gegenteil. Milosevic sitzt fester im Sattel denn je, er hat die Opposition ausgeschaltet, wenn nicht gar gewonnen. Mit den Bombardierungen werden nicht nur unzählige Menschen getötet und die Infrastruktur des Landes in Trümmer gelegt. Auffällig ist auch, daß vor allem die Fabriken zerstört werden, in denen Ende 1996 die Protest- und Streikbewegung gegen das Milosevic-Regime besonders stark war. Die Bomben zielen nicht in erster Linie auf den Diktator. Sie zielen auf die Demoralisierung der gesamten Bevölkerung und besonders auf die Zerrüttung der Arbeiterklasse Serbiens, um nach einem "Friedensschluß", mit oder ohne Milosevic, leichteres Spiel zu haben. Die Arbeiterklasse soll weitgehend geschwächt werden, damit sie in dem unvermeidbaren revolutionären Aufstand gegen Milosevic oder seine Nachfolger sowie die NATO-Vertreter eine möglichst geringe eigenständige Rolle spielen kann.

Der Westen setzte all seine Kräfte für den Abbruch der Oppositionsbewegung 1996/97 in dem Moment ein, als die alten und neuen Komplizen Milosevic, Djincic und Draskovic, nicht mehr unangefochtene Sprecher der Demonstrationen und Protestkundgebungen blieben und Milosevic praktisch handlungsunfähig war. Unabhängige Gewerkschaften wie Nezavistnost oder die Metallarbeitergewerkschaft NSMS, die wegen ihrer Weigerung, sich an Milosevics Völkermordpolitik zu beteiligen, jahrelang drangsaliert und isoliert worden waren, traten von der Streikbewegung getragen zunehmend selbstbewußter auf. Sie widersetzten sich nicht nur Milosevics Sparhaushalten und Privatisierungs- und Entlassungsplänen, sondern auch dem von westlichen "Experten" ausgearbeitetem Wirtschaftsprogramm der Zajednoführer, das mit dem von Milosevic praktisch identisch war.

Wäre der Sturz Milosevics damals durch die westlichen Regierungen nicht verhindert worden, wäre es nicht zu der heutigen Tragödie im Kosovo und dem gesamten Balkan gekommen. Der Autor selbst konnte bei zahlreichen Kundgebungen im Januar 1997 in Belgrad hören, wie Solidaritätserklärungen der unterdrückten Kosovoalbaner aus Pristina mit großem Applaus aufgenommen wurden.

Die Staaten, die zur Sicherung ihrer "Stabilität" und Profite für die "humanitäre Katastrophe" die Hauptverantwortung tragen und nun High- Tech-Bomben werfen, müssen aus der Region verschwinden. Selbst wenn man ihnen naiverweise gute Absichten unterstellt, ist offensichtlich, daß ihr Handeln das Gegenteil bewirkt.

6) Was ist die UCK?

Die "Kosovo Befreiungsarmee" ist 1993 als kleine Gruppierung entstanden. Nachdem sich der jahrelange friedliche Widerstand einschließlich großer paralleler Strukturen der Zivilbevölkerung als fruchtlos erwiesen hatte und Milosevic Ende 1997 mit verschärfter Repression antwortete, bekam sie Massenzulauf. Sie ist weniger eine Armee oder politische Organisation sondern ein Bündnis verschiedenster Kräfte, die sich in einem Punkt einig sind: den bewaffneten Aufstand für ein unabhängiges Kosovo. In ihr sind radikalisierte Jugendliche und Arbeiter, Maoisten und Nationalisten, Sektoren der albanischen Bürokratie und Geschäftsleute vertreten. Mit der Unterzeichnung von Rambouillet hat sich zunächst der Flügel durchgesetzt, der sich von der NATO Hilfe erhofft und sich ihr als "Bodentruppen" andienen möchte. Sicherlich gibt es eine punktuelle Zusammenarbeit und beschränkte Waffenlieferungen, vielleicht in der Art wie sie Großbritannien während des 2. Weltkriegs Titos Partisanenarmee zukommen ließ. Aber es ist nicht erkennbar, daß sie sich trotz dieser schweren politischen Fehler schon in eine direkt vom Imperialismus kontrollierte Agentur verwandelt hätte. Tatsache ist, daß sie für die große Mehrheit der Albaner inzwischen die einzige glaubwürdige Kraft bildet. Militärisch ist sie momentan jedoch kaum in der Lage, den 150000 Mann serbischer Besatzungsarmee, Polizei und Paramilitärs im Kosovo etwas entgegenzusetzen. Die USA werden sie über kurz oder lang fallenlassen und gegen sie vorgehen; einen Sektor vielleicht als Hilfskräfte des geplanten Protektorats einsetzen wollen. Und spätestens dann muß sich erweisen, ob sie verschwinden oder zu einer konsequenten Befreiungsbewegung wird, die mit der NATO bricht.

7) Sind UCK und PKK vergleichbar?

Ähnlich wie die PKK wird die UCK von ihren Gegnern als "terroristische Organisation" (bis vor kurzem auch offizielle Sprachregelung der USA für die UCK) verleumdet, die sich über Drogenhandel finanziere. Ähnlich wie die PKK steht sie einem arbeiterfeindlichen Regime gegenüber, das im Namen der "nationalen Integrität" einen Krieg gegen nationale Minderheiten führt und die innere Opposition unterdrückt. Die Regierung wird in der Türkei wie in Serbien von einer Koalition aus angeblichen "Linken" und offenen Faschisten gebildet, mit starkem Einfluß des Repressionsapparats. PKK und UCK sind für Kurden wie für Kosovoalbaner zur Zeit jeweils die anerkanntesten Organisationen ihres Befreiungskampfes.

Aber es gibt auch bedeutende Unterschiede. Der wichtigste ist nicht in ihnen selbst begründet. Im NATO-Mitglied Türkei herrscht eine relativ stabile Bourgeoisie mit langjährigen organischen Verbindungen zum internationalen Kapital. Sie kann trotz aller scharfen Klassenkämpfe, Aufstände und internen Auseinandersetzungen einen umfassenden revolutionären Prozeß bisher verhindern. Deshalb steht der westliche Imperialismus -trotz gelegentlicher Kritik an Menschenrechtsverletzungen - bedingungslos hinter ihr und unterstützt sie mit allen Mitteln bei dem Versuch, die PKK zu zerschlagen. Die durchaus ernstgemeinten Angebote der PKK für eine politische Lösung im Rahmen einer Autonomieregelung werden brüsk zurückgewiesen, da der Kemalismus als offizielle Staatsideologie die gesamte herrschende Klasse verbindet. Im Unterschied zu Serbien, das zumindest die Existenz von Albanern nicht leugnet, kann schon die Erwähnung des Wortes Kurden direkt ins Gefängnis führen. Gerade weil die Lage von Kurden und Kosovianern so ähnlich ist, unternimmt die offizielle Propaganda geradezu lächerliche Anstrengungen, die Unterschiede zu betonen. Flankiert wird sie hierbei leider von vielen in der Tradition des Stalinismus erzogenen "Linken".

In Serbien - wie im gesamten Osten - gelang es der stalinistischen Bürokratie nicht, sich in eine stabile kapitalistische Klasse zu verwandeln. Der 1989 ausgebrochene revolutionäre Prozeß konnte nicht wirklich gestoppt werden. Deshalb muß der Imperialismus ständig nach Alternativen suchen, die er einbinden kann. Ob ihm das mit der UCK gelingen kann, wird in der NATO heftig diskutiert, wie sich im Streit um eine eventuelle Bewaffnung der UCK ausdrückt.

Die UCK ist eine junge, sehr heterogene Organisation, ohne klare Strukturen und Programm, geboren inmitten eines revolutionären Aufstands, dessen Widersprüche sich in ihr widerspiegeln. Die PKK entstand hingegen bereist 1974 und wuchs im Laufe vieler Jahre zur anerkannten Führung des kurdischen Widerstands heran. Strukturen und Apparat funktionieren trotz aller Verfolgung sehr gut. Ihr Programm ist klarer und mit marxistischen Elementen durchsetzt. Im Falle einer revolutionären Krise in der Türkei wird sie eine entscheidende Rolle spielen. Spätestens dann werden aber auch ihre inneren Widersprüche aufbrechen. Und spätestens dann werden auch die NATO-Politiker, die heute auf die Zerschlagung der PKK setzen, versuchen, ihr eine ähnliche Rolle wie der PLO des ehemaligen "Terroristen" Arafat zukommen zu lassen.

8) Müssen wir Milosevic jetzt nicht militärisch gegen die bewaffnete imperialistische Intervention unterstützen und die Kritik an ihm hintenanstellen?

Der Pazifismus ist eine Fahne, die in entscheidenden Momenten eingezogen wird, wie gerade die grünen Kriegstreiber vorexerzieren. Aber der Krieg Milosevics gegen die Kosovianer ist genauso reaktionär wie der der NATO. Er enthält kein fortschrittliches Element. Als das "demokratische" Großbritannien gegen Argentinien den Malvinenkrieg führte, entstand in ganz Lateinamerika eine breite Solidaritätsbewegung mit dem Land, das sich erdreistet hatte, von England besetztes Territorium zurückzuerobern. In dem Prozeß antiimperialistischer Mobilisierung und demokratischer Revolution öffneten sich die Kerker der Militärdiktatur - auch für unsere GenossInnen. Und schließlich stürzte die Diktatur, nicht zuletzt wegen ihrer feigen Kapitulation.

Als Irak das vom Westen wegen seines Ölreichtums abgespaltene Kuwait besetzte, entfesselten die USA, England und Frankreich unter UNO- Mandat ihren gesamten Militärapparat einschließlich Bodentruppen. Aber unter den arabischen Massen, besonders den Palästinensern, gab es große Unterstützung für Saddam, der es endlich wagte, dem allmächtigen Westen die Stirn zu bieten. Ein Sieg Iraks hätte für die notwendige arabische Revolution gegen die imperialistische Unterwerfung einen wichtigen Impuls liefern können.

Weder die von Großbritannien ausgehaltenen britischen Siedler "Ihrer Majestät" auf den "Falklands" noch die reaktionäre Ölmilliardärsclique des kuwaitischen Emirs konnten für sich in Anspruch nehmen, Träger irgendeines "Rechts auf Selbstbestimmung" zu sein. Sie sind unmittelbare Agenten im Dienst der imperialistischen Weltordnung, Überbleibsel des Kolonialismus.

Die Kosovo-Albaner hingegen sind eine unterdrückte nationale Minderheit - im Kosovo 90% der Bevölkerung, Opfer einer rassistischen Verfolgungs- und Ausrottungspolitik. Auch wenn sie für ihre Illusion, der Westen werde ihnen helfen, einen hohen Preis zu zahlen haben werden, ist ihr Kampf um Überleben und staatliche Unabhängigkeit vollkommen legitim und zu unterstützen.

Und jeder Mensch, der Milosevic's Verbrechen nicht nur für Propagandameldungen hält, kann auf sie nur mit Abscheu reagieren. Gleichzeitig nimmt die interne Repression zu; Hausarrest für Oppositionelle ist noch eine der milderen Maßnahmen. Die leider unter vielen noch im Stalinismus verhafteten Linken verbreitete Losung: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund", mag häufig stimmen, bei Milosevic ist sie jedenfalls katastrophal. In Serbien ist die zweitstärkste Regierungspartei die Radikale Partei Cesils, die offen faschistisch und mit der französischen Front National organisatorisch verbunden ist. Nicht umsonst unterstützt auch die NPD offen Milosevic mit dem Argument, "die Serben machen gegen die Albaner nur das gleiche wie wir Deutschen bald gegen die Türken in Berlin-Kreuzberg machen müssen."

Niemand käme dazu, sich auf die Seite von deutschen Nazis zu stellen, wenn die deutsche Polizei von Asylbewerbern um Hilfe gerufen wird, die Opfer eines faschistischen Pogroms sind. Und niemand würde diese Asylbewerber erst nach der richtigen Gesinnung fragen, bevor wir ihnen bei ihrer Selbstverteidigung helfen. Zentrale Aufgabe im Moment ist, die NATO-Bombardierungen zu stoppen. Oberflächliche Betrachter könnten unterstellen, damit würden wir Milosevic ja doch indirekt militärische Schützenhilfe leisten. Und "linke" Befürworter des "humanitären" NATO-Einsatzes werden dies auch behaupten, und sei es nur um ihr schlechtes "pazifistisches" Gewissen zu beruhigen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Die Bewegung gegen den Krieg ist nicht zuletzt deshalb so schwach, weil viele Menschen glauben, die NATO wolle den Kosovaren helfen. Diese Propaganda zu entlarven und damit der Kriegsführung die politische Basis und Rechtfertigung zu entziehen, kann nicht gelingen, ohne die Kosovaren, die Opposition in Serbien und den Selbstorganisierungsprozeß der Arbeiter im ganzen Balkan zu unterstützen.

9) Welche Perspektiven gibt es?

Diese Frage wird im NATO-Lager genauso umstritten diskutiert wie überall. Jede weitere Bombennacht hilft bisher Milosevic - verschärft aber zugleich die Krise bei den kriegsführenden Mächten und in der gesamten Region. Die praktische Ausschaltung der UNO wird sich für das zukünftige imperialistische Krisenmanagement noch als katastrophal erweisen. Daß am 24. 4. in Rom 200000 Menschen einem Aufruf der Regierungspartei DS gegen den Krieg folgten ist um so bezeichnender, wenn man bedenkt, daß die NATO-Bomber mit Genehmigung der Regierung von italienischem Boden starten.

Ein Bodeneinsatz ist nicht auszuschließen, birgt aber unkalkulierbare Risiken, wenn Milosevic nicht zustimmt. Deshalb steht ausgerechnet die CSU mit ihrer ablehnenden Haltung nicht allein und warnt die CDU vor einer Eskalation. Ohne den Einsatz von Bodentruppen kann der Krieg aber für die NATO-Pläne in einer politischen Katastrophe enden. So wird unterdessen überlegt, statt "wertvollerer" europäischer oder nordamerikanischer Soldaten lieber bürgerkriegserfahrene türkische Truppen oder Verbände des NATO-Neulings Polen bluten zu lassen. Schon wird offen von einer Teilung des entvölkerten Kosovos gesprochen. Milosevic will zumindest den Norden nicht behalten, weil er die "Wiege des Serbentums" ist, sondern aufgrund seines Reichtums an Bodenschätzen, Kohle, Edelmetallen. Die Schürfkonzessionen zu erhalten macht ihn auch für westliche Konzerne interessant. Die Kosovianer werden nicht wie die Palästinenser 40 Jahre lang in Flüchtlingslagern ruhig dahinvegetieren. Der Zustrom von Freiwilligen zur UCK ist ein deutliches Indiz.

Im Westen kaum bekannt ist, daß in allen Gegenden des ehemaligen Jugoslawiens gewerkschaftliche Organisationsformen der Arbeiter weit verbreitet sind. So wurde in Bosnien-Herzegowina ein Großteil des Widerstands gegen die Tschetnik durch die Gewerkschaften organisiert, die auch heute gegen die Privatisierungspläne Stellung beziehen und für Lohnerhöhungen streiken. Ebenso spielen im Kosovo Gewerkschaften der Bergarbeiter, Lehrer, Ärzte usw. eine wichtige Rolle im Widerstand. Ähnliches gilt, wie schon beschrieben, auch in Serbien. Die wachsenden Unterschiede zwischen arm und reich, die Frage der Kriegsverbrecher und Kriegsgewinnler, die Korrumpierung und Diskreditierung der aus der Bürokratie hervorgegangenen Politiker und neuen Kapitalisten mit ihren mafiaähnlichen Strukturen sind Quelle heftiger Explosionen. Prestige und Einfluß westlicher Institutionen, einschließlich UNO und NATO, ist keineswegs so groß, wie sie vorgeben. Und es wird in dem Maß, in dem statt ersehnter Unabhängigkeit und Wohlstand nur Heuchelei und das Diktat der Konzerne übrigbleibt, tiefer Enttäuschung und Haß Platz machen.

Die gigantischen Aufgaben, vor denen der in Trümmern liegende Balkan steht, können erfolgreich nur gelöst werden, wenn die Arbeiterklasse aller Nationalitäten die Macht erobert und die nichtausbeuterischen Bevölkerungsteile mit sich zieht. Daß dies ohne absoluten Respekt vor dem Recht auf Unabhängigkeit jeglicher Nationalität und Minderheit nicht möglich ist, hat die Erfahrung der letzten zehn Jahre blutig vor Augen geführt. Nur dann ist eine zukünftige freiwillige Föderation überhaupt denkbar.

Deshalb ist unerläßlich, eine wirkliche Solidaritätsbewegung von Arbeitern und Jugendlichen in Deutschland mit der Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien aufzubauen. Die Vertriebenen müssen in der Region menschenwürdig untergebracht werden und zugleich das Recht haben, ohne Diskriminierung in das Land ihrer Wahl zu fahren. Die Mobilisierung gegen die NATO-Intervention muß zu einer wirklichen Massenbewegung werden. Und wir müssen dafür sorgen, daß unsere Gewerkschaften endlich wirklichen Kontakt mit den Vertretern der arbeitenden Bevölkerung Bosniens, Kroatiens, Serbiens, Kosovos und anderen aufnehmen. Und dies nicht nur auf Führungsebene.

Thomas C. 28.4.99

*Dieser Beitrag erscheint in der Maiausgabe von "was tun!", Zeitung* *der Sozialistischen Initiative und Sozialistischen Liga,* *PLK 022354 C, 13347 Berlin*

nach oben