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KOSOVO Antikriegsseite


GELSENKIRCHEN, 01.05. 1999

DIE NATO UND DER LUFTKRIEG
DOUHET HÄLT EINZUG

von DIETMAR KESTEN,
 

Daß die NATO sich dazu entschlossen hatte, einen zunächst "reinen" Luftkrieg gegen Rest-Jugoslawien zu beginnen, mag an vielen Faktoren gelegen haben; mit Sicherheit spielten dafür jedoch militärische Überlegungen eine wichtige, wenn nicht sogar DIE entscheidende Rolle. NAUMANN und CLARK gingen bei ihren Vorstellungen über den zu beginnenden Krieg von der Erzielung der Vorherrschaft in der Luft von einer simplen Überlegung aus, nämlich der, daß Flugzeuge von der Erdoberfläche unabhängig sind und eine überlegene Geschwindigkeit besitzen. Dieser Krieg der NATO wird von ihren Militärstrategen auch gerne als "Raumkrieg" interpretiert, weil dieser im Gegensatz zum Bodenkrieg immer nur die Ziele angreift, die außerhalb der Reichweite der Bodentruppen liegen, daher eine ideale Angriffswaffe darstellt.

Luftkriege sollen "Attacken" sein, die mit der Spezial-Bewaffnung der Flugzeuge den Gegner am Boden ausschalten sollen, seine Nachschubwege zerstören, die gegnerischen Luftstreikräfte dezimieren, die industrielle Produktion der feindlichen Nation weitgehends lahmlegen soll, Bodenstellungen des Gegners aufzureiben, um somit letztlich seine militärische Infrastruktur zu zerschlagen.

Weniger bekannt ist, daß diese Form des Krieges derLuftkriegein eigenes Kapitel in der Kriegstheorie des 20. Jahrhunderts hat, und daß die Militärs der NATO ihn eigentlich nur für einen Einmarschoder Vormarsch von Bodentruppen sollte er denn tatsächlich stattfinden vorgesehen haben. Luftattacken bereiten letztlich nur den Boden vor, erkunden Stellungen, bombardieren diese so lange, bis die Einheiten vernichtet sind oder sich ergeben. Immer bleibt es jedoch schwer kalkulierbar, ob der Widerstand des Gegners dadurch zerbricht

Der Luftkrieg geht zurück auf den Italiener GIULIO DOUHET (1869 1930). DOUHET veröffentlichte 1921 sein Buch "Die Vorherrschaft in der Luft", sechs Jahre später erschien eine zweite und verbesserte Auflage des Generals, der im Mai 1915 zum Chef des Stabes der Mailänder (Infanterie) Division ernannt wurde; 1918 Leiter des Zentralbüros für Aeronautik war, und 1921 zum Generalmajor befördert wurde. Seine Veröffentlichung aus dem Jahre 1921 war der Grundstein für eine neue Theorie der Luftherrschaft: Er verkündete die Luftherrschaft, was so viel wie siegen hieß; in der Luft geschlagen werden bedeutet daher hoffnungslos besiegt sein.

Von der Luft aus muß der vernichtende Überfall ansetzen; der Gegner muß in seinen Stützpunkten, seinen Etappen, seinen Produktionsgebieten, d. h. also in seiner strategischen, taktischen und wirtschaftlichen Etappe vernichtet werden.

Diese Etappen lassen sich als Bodenziele naturgemäßetwa als Vorbereitung für beginnende Panzerinvasionendurch den Bombenwurf zerstören. Die NATO mußte also von Anfang an eine Angriffsmacht gegen diese Erdziele besitzen, sie mußte erreichen, daß sie die Luftherrrschaft erobert, um einen evtl. Sieg auf militärischem Gebiet davonzutragen, diesen m. E. sicherstellen. Interessant ist, daß das bisher aufgebotene Arsenal der NATO-Strategie genau dieser Konzeption DOUHETs entspricht:

Sie besaß bis zum Kriegseintritt 430 Flugzeuge, darunter waren B-52 Langstreckenbomber, F-117 A Tarnkappenbomber, F-16 Falcon, Bundeswehrtornados. Ausgerüstet sind sie mit: Marschflugkörpern, ferngesteuertenund Laser-gesteuerten Bomben; die von NATO-Kriegsschiffen aus der Adria abgefeuert werden. In der Zwischenzeit verfügen die USA und NATO über 700 Flugzeuge, darunter die auf den Bodenkrieg spezialisierten "Apache-Helikopter" mit ferngesteuerten Bomben und über die womöglich in Albanien bereits stationierten "Blackhawk-Transporthubschrauber", die eigens für den Transport von Bodentruppen gedacht sind (in Albanien sollen bereits für einer evtl. Unterstützung der Helikopter, die im übrigen nicht zur Luftwaffe gehören, sondern der Infanterie zuzurechnen sind, mehr als 20. 000 Soldaten stationiert sein).

Das Grundprinzip der Angriffsziele ist somit die Platzierung von "strategische Bomben", die in der Anwendung des Prinzips der Kräftekonzentration und der möglichsten Vermeidung der eigenen Verluste zur Geltung kommen sollen. Gerade der Einsatz der Tarnkappenbombern hat den Militärs ein hohes Maß an Präzision eingebracht. Verstehen sie es doch, den Luftkrieg als eine geschlossene homogene Masse mit einheitlichen Flugzeugtypen, die dabei in Staffeln von den deutschen Tornados bestens unterstützt werden, zu präsentieren.

Das mag daran liegen, daß Flugzeuge, ungeachtet aller Befestigungsgürtel, und ungehindert durch den Aufmarsch von einer Armee oder Flotte, in der Lage sind, an irgendeinem Punkt des feindlichen Gebietes Verwüstungen und Zerstörungen von einer Tragweite auszurichten, die seit dem Luftkrieg des 2. Weltkrieges, des Vietnamkrieges oder etwa des GolfKrieges von 1991 in verheerender Form bekannt sind. Folglich mußte auch die Luftwaffe im Jugoslawien-Krieg die Initiative ergreifen, sich behaupten, konnte es wagen, den Feind in seinen Basen aufzusuchen, da er so viel verwundbarer ist, und ihm dort empfindliche Schläge zufügen.

Die Zerstörung eines Teil der militärischen Basen der Luftflotte Rest-Jugoslawiens trug dazu bei, ihr viele Möglichkeiten zu nehmen, die NATO auf dem Luftwege anzugreifen, und ihrereseits einen Schlag mit aller verfügbarer Macht zu führen.

Anders als viele Luftduelle aus dem 2. Weltkrieges, die von vornherein eine schwächere Luftabwehr des Gegners einkalkulierten, sie bereits durch mehrere Angriffswellen ausschalten konnten (vgl. z. B. den Angriff der Japaner auf die US-Flotte im Hafen von "Pearl Harbor" -1941), oder die gezielt auf die Zivilbevölkerung gerichtet waren (vgl. z. B. die Bombardierung Dresdens im Februar 1945, als drei britisch-amerikanische Luftangriffe ca. 135. 000 Tausend Todesopfer forderten, und dabei ca. 80% der Stadt zerstörten), war es eigentlich vom militärgeschichtlichen Standpunkt unwichtig, zu welchem Zweck ein Luftkrieg entfesselt worden war. Ging es doch darum, die gesamten Streitkräfte gegen die feindliche Nation einzusetzen, was die Flotte eben so einschloß wie die komplette Infanterie.

Dies geschah im 2. Weltkrieg noch vor der (formalen) Kriegserklärung an Nationen, wenn etwa an den Überfall des deutschen Hitlerfaschismus auf Polen (1. September 1939) gedacht wird. Dadurch konnte ein Überraschungsmoment in die Kriegsstrategie eingebaut werden, und in Anbetracht der Vorteile, die eine solche Überrumpelung bot, blieben diplomatische Geplänkel davon weitgehend unberührt.

Es mußte also ein Zustand geschaffen werden, welche eigene militärische Schläge gegen eine Nation ermöglichten der Vormarsch der Hitlerarmee bis zum Rußlandfeldzug zeigt das eindeutig ,die ihrerseits unfähig ist, oder unfähig gehalten wird, irgendwelche militärische Handlungen von nennenswerter Bedeutung zu entwickeln.

Militärische Schläge müssen wenn sie Erfolg haben wollen -, nach strategischen und taktischen Plänen ablaufen. Die Tarnkappenbomber suchen sich z. B. ihre Angriffsziele nach dem Prioritätsprinzip aus. Die Oberkommandierenden der NATO setzten eine bestimmte Anzahl von Zielen an, die in den ersten beiden Wochen als sog. "angreifbare Ziele" verstanden wurden, d. h. sie mußten durch Bombenabwurf oder Marschflugkörper vollständig zerstört werden, damit ein nochmaliges Anfliegen der Ziele unnötig wird. Im NATO-Militärjargon soll das durch die "chirurgischen Bomben" erreicht werden, durch jene fernund Laser-gesteuerten Bomben, die bei einer relativ hohen Trefferquote -durch Computerberechnungen und vorhergegangener Satelitenauswertung erzielt einen enormen Vorteil etwa gegenüber den herkömmlichen Bomen, die noch aus dem Vietnam-Krieg bekannt sind, erzielen konnten.

Die vorab vorgenommenen Berechnungen der später zu zerstörenden Ziele (etwa Kasernen, Flughäfen, Jets am Boden) verweisen auf den Begriff der "Bombeneinheit". D. h.: Die Militärs mußten ihre taktische Zusammensetzung aus dem Verhältnis ihres Leistungsvermögens gegenüber einer betimmten Fläche finden; daraus ergab sich eine gewisser taktische, strategische und organisatorsiche Eindeutigkeit (Zusammenfassung der verschiedenen Bombertypen, der zu fliegenden Angriffswellen, die Auswahl der Ziele).

Die Folgen der DOUHETschen Strategie erwiesen sich im Laufe der bisherigen Luftschläge als vermutlich äußerst wirksam: Der Luftkrieg begann mit dem Überfall auf den Gegner, die Luftflotte wurde in Masssen eingesetzt. Die gegen die Bodenobjekte gerichteten Luftangriffe der NATO verfolgten auch einen doppelten Zweck; dem Gegner Verluste zuzufügen und ggf. Luftkämpfe zu provozieren, um diese dann durch eine gewisse Überlegenheit der Jets, für sich zu entscheiden. Letztere gab es bis auf zwei Ausnahmen nicht, ersteres jedoch konnte als optimale Erfüllung der gesetzten Ziele interpretiert werden.

Und die Eroberung der Luftherschaft über dem jugoslawischen Raum, die daraus resultierenden pausenlosen Angriffe, dienten auch der Lähmung und Zerrüttung der militärischen Moral des Gegners, der Einschüchterung der Zivilbevölkerung, die noch dadurch in einem erheblichen Maße irritiert wurde, daß "zufällige" fehlgeleitete Bomben zivile Objekte zerstörten und eine gewisse Unruhe unter den Menschen freisetzte. Luftkrieg ist der Versuch, den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen, so intensiv zu bomben, bis die Abwehr des Gegners am Boden so dezimiert ist, daß die Fähigkeit des Widerstand als weitgehendst ausgeschaltet betrachtet werden kann.

Sollte es zutreffen, daß die NATO bisher um ca. 50% der anvisierten Bodenziele zerstört hat, dann ist das eine hohe Trefferquote. Sie will dem Gegner damit den größt möglichen Schaden zufügen. Stellungen, die angegriffen werden, Stützpunkte und Etappen sind u. a. mit Menschen besetzt. Wenn eine gegnerische Artillerie-Stellung von der Luft aus zerstört wird, eine Batterie mit Boden-Luft-Raketen, die bisher wohl immer noch nicht gänzlich ausgeschaltet wurden, gibt des massenweise Tote, Verwundete, Verstümmelte. Das wirft die Frage nach den Kriegsmitteln auf, und man wird auch in Zukunft alle falschen Hoffnungen zunichte machen, die davon ausgehen, daß es internationale Vereinbarungen geben könnte, die überhaupt irgendeinen (chirurgischen-) Angriffskrieg verbieten könnten. In der modernen Kriegsführung hat die Einteilung der Kriegsmittel in menschliche und unmenschliche bereits schon seit langem ihre Bedeutung verloren, sie werden vom Sturm des Krieges wie welkes Laub hinweggefegt. Mit dem Einsatz der amerikanischen "Apache-Helikopter" , der in Kürze erwartet wird, betritt die NATO übrigens den Grenzbereich zwischen Luftund Bodenkrieg. Die Hubschrauber, die serbische Bodentruppen gezielt am Boden angreifen sollen, etwa einzelne Panzer, Fahrzeuge, Gefechtsstellungen etc., stützen sich auf das Prinzip der Bewegung und Überraschung. Sie feuern von großer Entfernung relativ auch bei Nacht treffsicher, und sind äußerst beweglich, wie das ihr Einsatz im Golf-Krieg bereits gezeigt hat. Ihr taktisches Ziel dürfte darin bestehen, die Überraschung durch die Bewegung zu erhöhen, durch Schnelligkeit und durch das Hervorrufen unerwarteter Situationen. Oberstes Prinzip der Helikopter ist die direkte Vernichtung, Zerstörung und Auslöschung des feindlichen Objekts. Da sie der Unterstützung der Bodentruppen dienen, muß nach Möglichkeit der Feind auch personell dezimiert werden, d. h.: Man nimmt die bewußte Tötung von Menschen in Kauf. Sobald die anzugreifende Stellung zerstört ist, könnte die Infanterie die Verfolgung gegnerischer Soldaten aufnehmen, sie gefangen nehmen, oder im Kampf töten. "Apache-Helikopter" bedeuten auch eine Änderung des Waffengangs, oder der Waffenstrategie.

Vermuten könnte man, daß durch ihren Einsatz die bisherige Lufthoheit der NATO vielleicht um 1/3 eingeschränkt wird, und ihr Einsatz dem Prinzip des Zieles folgt, die Vernichtung der gesamten feindlichen Kampfkraft zu erzielen

Kommen sie zum Einsatz, dann umfasen die Angriffe das komplette Arsenal militärstrategischerund taktische Gesichtspunkte: Töten, Verwunden, Gefangennahme und evt. Entwaffnung. Zusammen mit der Infanterie wird dann der physische Krieg unvermindert fortgesetzt -bis die feindliche Befehlsgewalt aufgehoben ist. Die Helikopter beherrschen das feindliche Gelände, das zuvor durch Luftangriffe erheblich zerstört wurde in einem relativ großen Umkreis-, sind aber auch für einen Abschuß sehr anfällig, da sie tief fliegen müssen, um den Gegner angreifen zu können. Ihre Reichweite entspricht ihrer Waffeneinwirkung, Stellungen des Feindes in dessen Tiefengliederungen anzugreifen, in der Regel durch frontales Durchdringen, und Flankenschutz für die Infanterie die die Hauptkraft der Angriffsformation zu tragen haben. Dieser vorgetragene Durchbruch birgt die Wahrscheinlichkeit größerer Erfolge in sich.

Sollte sich nun die NATO zum Einsatz der "Apache-Helikopter" entschließen, dann darf man darauf gespannt sein, wann US-Fallschirmjäger und andere Infanterie-Einheiten auf den Plan treten, um an der Umfassung der Kräfteverhältnisse teilzuhaben. Der Krieg wird stets unmenschlich sein, die Mitteln, die in ihm Verwendung finden, werden ausschließlich nach ihrer Wirkung unterschieden, d. h. nach dem Schaden, den sie dem Gegner zufügen können.

Es stellt sich heraus, daß derjenige, der auf Leben und Tod kämpft und anders werden die sich bekriegenden Staaten letztlich nicht mehr kämpfen alle vorhandenen Mittel der Kriegsführung benutzt, um nicht selber zugrunde zu gehen.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß DOUHETs Ideen einen beträchtlchen Einfluß auf die Luftwaffe der USA (vgl. z. B. den Einsatz der Luftwaffe im Golfkrieg) und der NATO sowohl auf technischem wie auch auf taktisch-operativem Gebiet ausübte. Die USA waren die ersten, die vom technischen Standpunkt aus betrachtet, das Konzept des Schlachtflugzeuges von ihm übernommen hatten. Diesen Einfluß kann man noch heute an den B-52 Bombern klar erkennen. Der B-52 Bomber kann als Schlachschiff der Lüfte interpretiert werden.

Mit der Weiterentwicklung der strategischen Bomber, die im GolfKrieg erstmalig Anwendung fanden, mit deren Einsatz im BosnienKrieg und der Fortführung im heutigen Jugoslawienkrieg steht man vermutlich auch in einer neuen Phase der Kriegstheorie und der Kriegsführung.  

Anmerkung:
Mit diesem militärischen -und kriegstheoretischen Exkurs möchte ich nur gewisse Überlegungen der NATO hinsichtlich eines primären Luftschlages, eines evtl. Einsatzes der "Apache-Helikopter" verdeutlichen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich Wert darauf legen, festzuhalten, daß obige Konzeption mich nicht als "Militärstratege", oder kompromißlosen Unterstützer für einen Luftkrieg oder anderer Kriegshandlungen kennzeichnet. Diejenigen, die meine bisherigen Beiträge zum Kosovo-Krieg gelesen haben, werden mir das auch nicht unterstellen wollen.

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