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KOSOVO Antikriegsseite


"Schluss mit Vertreibung und Bomben!"

Rede von Michael Kuckenburg auf der Kundgebung der FriedensgruppeEntRuestung in Sindelfingen am 10.4.1999

Liebe Freundinnen und Freunde,

In diesen Tagen kommt es vor, dass 40.000 Menschen - etwa so viel, wieSindelfingen ohne seine Teilorte Einwohner hat -, dass 40.000 Menschen an der Grenze zwischen Mazedonien und Kosovo scheinbarvom Erdboden verschwinden. 1,8 Millionen Albanerinnen und Albaner haben ihre Heimat im Kosovo; 1.1Millionen von ihnen sind auf der Flucht oder bereits vertrieben. Was sich hinter diesen duerren Zahlen an menschlichem Elend, anVerzweiflung - und Hass - verbirgt, koennen wir allenfalls ahnen. Vielleicht ist alles sogar noch viel schlimmer. Slobodan Milosevic hat dafuer gesorgt, dass Voelkermord am Ende diesesJahrhunderts wieder vorstellbar wird. Ob der sich derzeit zwischen Pristina, Pizren und Pec ereignet, wissen wir nicht mitSicherheit, weil die Schergen seines Regimes der Weltpresse den Zutritt verweigern. Doch alle Anzeichen undAugenzeugenberichte sprechen dafuer.

Diese Katastrophe ist nicht deshalb unertraeglich, weil sie sich ein paarhundert Kilometer von uns entfernt - also in Europa - abspielt: Sie ist unertraeglich, weil sie sich ueberhaupt abspielt! Deshalbfordern wir Herrn Milosevic auf: Machen Sie sofort Schluss mit der Vertreibung und dem Morden im Kosovo! Lassen Sie dieVertriebenen in ihre Heimat zurueckkehren! Respektieren Sie die Menschenrechte der Kosovaren genauso, wie Sie Ihreeigenen respektiert sehen wollen! Dies wollen wir Herrn Milosevic nach dieser Kundgebung per Fax deutlich sagen. Seit nunmehr 18 Tagen fuehrt die Nato Krieg gegen Serbien, und seither gehtein tiefer Riss durch unser Land; er geht durch ganze Familien, er geht durch Freundschaften, oft geht er sogar mittendurch einzelne Menschen hindurch. Denn hier scheinen zwei grundsaetzliche Prinzipien - Nie wieder Krieg! Auf der einen Seite,Nie wieder Voelkermord! Auf der anderen Seite - in einen kaum zu loesenden Konflikt geraten zu sein. Menschen, die in derFriedens- und Menschenrechtsbewegung eine hervorragende Rolle gespielt haben - Erhard Eppler zum Beispiel oderAngelika Beer - bejahen heute die Luftangriffe, wenn auch mit blutendem Herzen. Und Joschka Fischer, Rudolf Scharping und auchGerhard Schroeder stehen von ihrer politischen Biografie her fuer alles andere als fuer Kriegstreiberei. Nein, diese Kundgebung ist kein Ort fuer Selbstgerechtigkeit odereinseitige Schuldzuweisungen. Im Gegenteil, wir achten die Meinung all derer, die diesen Krieg aus humanitaeren Gruenden fuer leiderunausweichlich gehalten haben bzw. immer noch halten. Aber wir moechten auch deutlich sagen, warum wir nicht nur dieVertreibungen im Kosovo fuer verbrecherisch halten, sondern warum wir auch den Krieg der Nato ablehnen. Deshalb steht unsere Kundgebung unter dem Motto "Schluss mit Vertreibungund Bomben!". Das richtet sich an beide kriegfuehrenden Seiten, obwohl wir die nicht gleichsetzen. Dennoch: Wirsind nicht mit der einen oder der anderen Kriegspartei solidarisch, sondern mit Opfern - und mit all denen, die sich fuer einefriedliche Loesung einsetzen.

Seit 18 Tagen fuehrt die Nato Krieg gegen Jugoslawien. Was hat sie bishererreicht? Ihr urspruenglich erklaertes Ziel - naemlich Milosevic zur Unterschrift unter das Abkommen von Rambouillet zu zwingen - hat sie laengst aufgegeben. Und das zweite, nachgeschobene Ziel - die albanischen Bevoelkerungsgruppe im Kosovo vorMilosevics Armee und seiner Sonderpolizei zu schuetzen - dieses Ziel hat Milosevic im Schatten des Krieges ins Gegenteilverkehrt: Die Luftangriffe haben wie ein Brandbeschleuniger gewirkt; die Lage der Kosovaren ist heute vielverzweifelter, als sie es vor dem 24. Maerz war. Die verantwortlichen Politiker beteuern immer wieder, es habe leider keineAlternative zu den Bombenangriffen gegeben, wenn man nicht passiv zuschauen wollte. Gegen Milosevic helfe leider nur nochGewalt. Es ist richtig: Gewalt kann in Extremsituationen nur durch Gegengewalt gebrochen werden: Die Gewalt derHitlerarmeen ist nur durch die Gewalt der Antihitlerarmeen gebrochen worden, und deshalb ist der 8. Mai fuer uns derTag der Befreiung. Auch der Holocaust Pol Pots am eigenen Volk wurde nur durch den Einmarsch vietnamesischer Truppenbeendet. Aber das waren Extremsituationen. Die wirklich entscheidende Frage ist also, ob heute im Kosovo eine aehnlicheExtremsituation ohne jede Alternative vorliegt. Die Bundesregierung beteuert das. Aber die Nato hat die Notsituation, aufdie sie sich jetzt beruft, teilweise selbst mit herbeigefuehrt.

Warum haben die EU-Staaten jahrelang an der Entwicklung im Kosovovorbeigeschaut, anstatt rechtzeitig eine zivile Loesung anzustreben? Warum wurde noch voriges Jahr Fluechtlingen ausdem Kosovo die Anerkennung als Asylbewerber verweigert, weil dort kein wirklicher Vertreibungsdruckherrsche? Warum in alles in der Welt hat die Nato in Rambouillet daraufbestanden, dass der Friede im Kosovo durch Nato-Truppen - ausgerechnet durch Nato-Truppen! - und nicht durch vonder UN mandatierte Truppen ueberwacht werden muesse!? Offenbar ist Rambouillet nicht an den politischenInhalten - wie einem Autonomiestatus fuer das Kosovo - gescheitert, sondern an diesem Punkt. Dabei war doch absehbar, dassMilosevic sich nie und nimmer darauf einlassen wuerde!

Weitere Moeglichkeiten, die zumindest eine Chance auf Erfolg haben koennen,sind gar nicht erst versucht worden:

Die UN und die OSZE sind ins Abseits geschoben worden. Generalsekretaer Kofi Annan wird als nicht existent behandelt. DerEhrlichkeit halber sei zugegeben: Dieser Satz stand im Manuskript von gestern, heute gilt es nicht mehr: Kofi Annan hat sichmittlerweile hinter die Nato gestellt. Der russische Ministerpraesident Primakow wurde nicht als Vermittlerakzeptiert, sondern von Gerhard Schroeder buchstaeblich nach Hause geschickt. Um andere Vermittler - Simon Peres zum Beispiel - hat man sich nieernsthaft gekuemmert. Hat die Diplomatie wirklich zugunsten von Bomben abgedankt? Russlands Vorschlag nach einem G-8-Gipfel wird glatt und sauberabgebuegelt. Dabei sollte gerade Russland, das als einziges Land nichtmilitaerischen Einfluss auf Serbien ausueben kann,nicht laenger an den Rand oder in eine feindliche Position gedraengt, sondern ins Spiel gebracht werden. Halten wir fest: Die Gegenueberstellung "Hier Realisten, dort sympathische,aber weltfremde Pazifisten" stimmt nicht. Realistische Alternativen zum Bomben gab es und gibt es auch heute. Niemandvon uns weisz, ob sie zum Erfolg gefuehrt haetten. Aber diese Alternativen haetten zumindest ausprobiert werden muessen - undmuessen heute immer noch ausprobiert werden! Vor allem sind die Luftangriffe selbst die schlechteste Alternative vonallen: Sie haben die Katastrophe im Kosovo nicht beendet, sondern im Ergebnis verschlimmert: Sie haben unschuldige Menschengetoetet, sie haben offenbar grosze Teile der serbischen Bevoelkerung wieder an Milosevic herangebombt. Die 18 TageLuftangriffe sind eine einmalige Miszerfolgsgeschichte.

Fassen wir zusammen: Die Nato-Strategie der ausgewaehlten Luftschlaege istgescheitert. Ihre logische Fortfuehrung waere der Einsatz von Bodentruppen. Im amerikanischen Kongress diskutiert manmittlerweile offen darueber - der europaeische Boden ist ja auch weit. Inzwischen droht der Krieg schon auf das angrenzende Albanienueberzugreifen. Das koennte der Anfang eines Bodenkrieges werden. Praesident Jelzin hat gestern nur wenig verhohlen mitKrieg gedroht, falls die Nato Bodentruppen entsendet. Was einmal als kuehl kalkulierte Strafaktion gedacht war, drohtheute auszer Kontrolle zu geraten. Das waere nicht das erste Mal in der Geschichte Was fuer uns alle bisher unvorstellbar war:Heute umweht uns ein wenig vom kalten Hauch des Juli 1914.

All das schreit buchstaeblich nach einer nichtmilitaerischen Loesung. Deshalb moechte ich heute - eine Premiere in meinem Leben - Herrn AlfredDregger ausdruecklich Recht geben. Alfred Dregger hat naemlich gesagt: "Ein Krieg, der das Gegenteil dessen bewirkt, was erpolitisch bezwecken wollte, muss beendet werden." Damit keine Missverstaendnisse aufkommen: Verbrecherisch ist die PolitikMilosevics - aber auch der Luftkrieg hat schon zu viel Schaden angerichtet: Die Spirale der Gewalt muss ein Ende haben! Wie kann das gehen? Wir brauchen wir sofort einen beiderseitigenWaffenstillstand, und er muss von einer internationalen Friedenstruppe ueberwacht werden. Wer soll ihr angehoeren? Der Vorschlagdes Friedensforschers Egon Bahr scheint uns plausibel: Stationiert sollen Truppen beispielsweise aus Norwegen, Spanien,den Niederlanden, den neuen Nato-Mitgliedern in Osteuropa, aber unbedingt auch aus Russland und der Ukraine. Die OSZE sollden Mantel einer Stationierung bilden. In keinem Fall sollen Truppen stationiert werden, die an den Luftschlaegenbeteiligt waren. Den Mantel der Stationierung soll die OSZE bilden, nicht die Nato.

Zu diesem Schritt wollen wir Bundeskanzler Gerhard Schroeder per Faxauffordern: Beenden Sie die Spirale der Gewalt in Jugoslawien! Ermoeglichen Sie eine rasche und moeglichst zivile Loesung!Stimmen Sie einem beiderseitigen Waffenstillstand unter Kontrolle beispielsweise der OSZE und sofort anschlieszenden politischenVerhandlungen zu! Sorgen Sie dafuer, dass Russland Vermittler und nicht Gegner wird! Verhelfen Sie der UNO wieder zu ihrerlegitimen Rolle! Wagen Sie Frieden!

Aber auch wenn der Krieg schon naechste Woche beendet sein sollte - er wirdtiefe Spuren hinterlassen.

Zunaechst wird uns bewusst, dass die bisherigen Fruehwarnsysteme nichtausreichen, um eine Krise auf zivile Weise loesen zu koennen. Dass sich im Kosovo etwas zusammenbraut, war Insidern seitannaehernd zehn Jahren klar. Aber dieses Wissen hat nicht ausgereicht, um vorbeugende Masznahmen einzusetzen. Es darf nicht soweiter gehen, dass man einen Konflikt sehenden Auges sich hochschaukeln laesst - und erst kurz vor zwoelf, wenn dieSituation schon fast verzockt ist, unter Androhung militaerischer Gewalt eingreift.

Dann zeigen die Luftangriffe, dass Menschenrechte auch fuer den Westenteilbar sind. In Serbien soll einer Regierung mit Bomben gezeigt werden, dass man mit einer Minderheit nicht umspringen kann,wie man will. Mit von der Partie ist die Tuerkei - ein Staat, der mit seiner kurdischen Minderheit seit ueber 15 Jahrenumspringt, wie er will - und der dafuer noch Waffen und logistische Hilfe bezieht. Diese doppelte Moral gegenueber Menschenrechtenist im Grunde unertraeglich. Die Bundesregierung sollte, nein muss, unverzueglich fuer die Unteilbarkeit der Menschenrechteeintreten!

Vor allem droht heutige Krieg zur Quelle kuenftiger Kriege zu werden, weiler die internationale Ordnung nachhaltig beschaedigt. Es gibt voelkerrechtlich nur zwei Faelle von berechtigter Gewaltanwendung:als Selbstverteidigung oder im Auftrag der UNO. Beides ist eindeutig nicht der Fall. Voelkerrechtlich fuehrt die Nato einenverbotenen Angriffskrieg. Die Nato hat sich - anstelle der UNO - selbst ein Mandat erteilt. Bundeskanzler Schroeder bezeichnet dieNato sogar als "internationale Voelkergemeinschaft" - und nicht etwa die UNO. Ich fuerchte, das war keinVersprecher. In zwei Wochen will die Nato ihre neue Militaerdoktrin bekannt geben. Und die sieht ausdruecklich das vor,was die Nato heute schon praktiziert, naemlich das Recht, ohne UNO-Mandat in Krisengebieten nach eigenem Gutduenken Krieg zufuehren. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sogar ein Zweck der Luftangriffe war, die UNO als entbehrliche Institutionvorzufuehren und sich selbst als weltweite Hueterin von Recht und Ordnung zu praesentieren. Wenn das der Fall war, duerfte dasfatale Auswirkungen haben. Denn diese Art von Selbstjustiz kann leicht zum weltweiten Modell werden. Was wollen wir dennantworten, wenn Pakistan morgen Indien bombardiert, um unterdrueckten Moslems zu helfen? Oder wenn die arabischenStaaten Israel angreifen, um den Palaestinensern zu Hilfe zu kommen und sich dabei auf das Beispiel der Nato berufen? Waswollen wir dann antworten? Der Luftkrieg hat auch das internationale Recht schwer beschaedigt. Wenn wir diesen Krieg nichtsehr bald beenden, wird die Folge weitere internationale Anarchie sein - oder das Recht des Staerkeren! Eine solche Neue Weltordnung koennen wir uns nicht wuenschen. DieKonsequenz aus dem heutigen Krieg sollte deshalb sein, sich fuer eine Weltordnung einzusetzen, in der nicht das Recht der Starkengilt, sondern die Staerke des Rechts!

Das erfordert vor allem, das internationale Recht wiederherzustellen.Internationale Gerichte und UN duerfen nicht geschwaecht, sie muessen vielmehr gestaerkt - und reformiert - werden. Denn ohne siewird es keine zivile Weltordnung geben.

Die Diskussion darueber, wie eine solche Weltordnung aussehen soll - undwie sie hergestellt werden kann - sollte von uns in den kommenden Monaten gefuehrt werden. Und sie muss ein Ziel haben: Imkommenden Jahrtausend muss Krieg genauso wie die Pest zu den ueberwundenen Geiszeln der Menschheit gehoeren. !

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