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KOSOVO Antikriegsseite


WESSEN SCHULD?

KRIEG IM KOSOVO  JENSEITS ALLER ILLUSIONEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. März 1999

"Der Krieg ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden.Zum systematischen Morden muß aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegsführenden." (ROSA LUXEMBURG)

Was passiert im Kosovo  die NATO kurz vor Intervention? War das Scheitern der Gespräche in Rambouillet vorauszusehen; will MILOSEVIC seine unverminderte Aggression beibehalten, trotz Drohungen und Aufmärsche, um wieder und wieder gegen KosovoAlbaner loszuschlagen, pokert er nur aus strategischen Gründen heraus, um rechtzeitig genügend Waffen an die Front zu bringen, und zeigt nicht seine nationalistische Mentalität, daß es ihm nur darum geht, die Machtverhältnisse in Jugoslawien zurechtzurücken, um später erneut das Land,die Region, vielleicht bald den ganzen Balkan, unter seine Einflußssphärenzu bringen?

Während die Gespräche in Frankreich immer wieder in "entscheidendeRunden" gingen, ging das Morden im Kosovo unvermindert weiter, istUnterdrückung und Vertreibung   eklatante Verstöße gegen die Menschenrechte  an der Tagesordnung, neues Elend, neues Leid, die Übergriffe aufdie Zivilbevölkerung finden kein Ende, neue Flüchtlingsströme, Erschießungen, Plünderungen, mehr als eine halbe Millionen Menschen auf der Fluchtdas ganze Arsenal der Mordbanden aufgefächert. Der Aggressor in Belgradhat in den zurückliegenden Monaten eine Politik der verbrannten Erdebetrieben, und nichts war dem SADDAM von Serbien heilig, nicht einmalseine eigene Bevölkerung, die unter seiner Politk lei den muß. Serbienunter MILOSEVIC wurde zum zweites Irak  Mitten in Europa! Und dernächste Waffengang; ist nun Mazedonien an der Reihe? Historischbetrachtet, hielt Jugoslawien der Modernisierung  und Globalisie rungnicht mehr stand. Es gehört zu den ersten Staaten/Staatengemeinschaften,die jetzt vollends zerfallen, und tatsächlich ist der Totalitarismus, derin den letzten Jahrzehnten dort entstand, beispielhaft für dieAtomisierung und Vermassung der Men schen, die systematisch auf kommendeKriegseinsätze vorbereitet wurden.

Jetzt sind die Modelle dieser Wucherungen abgelaufen, haben sich erledigt. Die furchtbaren Irrtümer der bisherigen Naivitäten derBlockademecha nismen des Kopfes haben sich als real erwiesen, und könnenden Schatten der Geschichte nicht mehr überspringen. Sie wiederholt sichdoch, alles beginnt von vorn: MILOSEVIC erklärt sich einfach zurÜbergeordnetheit und wird weiter versuchen, die Vergangenheitzurückzugewinnen. Was für eine Karikatur! Größe? Größe? Größe? Die Visionbricht sich Bahn: Das universale System des Weltbürgers, das Sammeln derkollektiven Kräfte, Kriegsziele! Geschichte respektiert weder Nöte nochdie spitzfindige Krititk  für verzwei felte heilsgeschichtliche Inbrunstfehlt ihr der Platz. Wer sich Freiheit als ver ästeltes System dieserverödeten Gesellschaftssysteme vorstellt, verläßt das Podium. DieTotalität, Zusammenfassung und Konsolidierung; der Me chanismus; ihreAnpassung an den historischen Untergrund  ist das nicht Warnung genug,dem Krieg abzuschwören?

Die Glaubwürdigkeit der NATO ist vollends dahin. Sie und die UNO hatversagt, sie werden weiter versagen, weil es ihr niemals um die Menschenging, son dern um den Konflikt, sogar um Krieg, den sie irgendwann habenwird, wenn nicht heute, dann morgen! Ob mit oder ohne Waffengang,fortgesetzter Gewalt und Gegengewalt, die Un terdrückung im Kosovo wirdbleiben, sie wird immer dann zurückkehren, wenn ein machtversessenerDiktator seine Position festigen will  eine Tragödie, mitten in Europa!Die normale Dimension   Krieg, Krieg, Krieg  ist zurückgekehrt, und wirdschon wieder gedanklich, moralisch und gefühlsmäßig in die Etiketteirgend einer Vaterlandsverteidigung gesteckt. Säbelgerassel, großeErlebnisse, Erschütterungen und keine Lehren daraus ziehen, weil niemandsie ziehen kann oder will. Es ist alles nicht so schlimm: Im erstenGolfkrieg von 1991 gab es einen Aufstand der Karnevalsvereine, die sichihre Feiern nicht nehmen lassen wollten; die zurückliegenden Angriffe derAmerikaner (Dezember 1998) auf den Irak tangierten schon fast niemandenmehr, und jetzt ist es wieder offensichtlich: Ein paar lose Gedanken,vielleicht ein "schrecklich"! Das ist es, was die Moderne aus den Menschengemacht hat. Die Erschossenen von Racak: Über die Greuel der Vergangenheitläßt sich leicht plaudern, doch niemand packt den rettenden Strohhalm. Gibt es ihn noch? Sich einander fremd und feind sein, nur durch Kampf und Gewalt dieAusbrei tungschancen nutzen; kann das erstrebenswert und Zielvorstellungsein? Die Verdichtung der Kriegsideen zu einem Konglomerat, die wieder undwieder durch die Jahrhunderte geistern, die die Rassen und Klassen inihren Bann gezogen haben, die Führer, die Volksverführer, dieStaatsrepräsentanten, die Kanzler und die Minister, die ihnen dienen unddienten; sie sind es, die über moralische Werte entscheiden, überVerstand, Talent und Hierarchien; Stam meskulturen; Musik, Befehl undGehorsam, brennende Dörfer: Wer sich dem Staat nicht beugt, ist ein"vaterlandsloser Geselle". Jugoslawien hat mit Dschingdarassa dieEingliederung in ein lebenslängliches Gefängnis geprobt; Unterordnungunter andere, ein Befehl von außen, militäri sches Salutieren, Tugenden,Gängelung, Respekt vor kriegerischen Mitteln; das ist die Nabelschnur dieverbindet, ob in Afghanistan, in den Kurdengebieten, in Eritrea, inÄthopien, im Irak, in Bosnien und anderswo; es sind immer wie der dieHaß,Fremd, und Feindseligkeitsimpulse, die die Völker verfolgen, die unsverfolgen, uns nicht zur Ruhe kommen lassen, durch die Jahrhunderte derKriege geistern. Die Wahrnehmungsschwierigkeiten werden größer, verleihendem Durchein ander einen ohnmächtigen Charakter.

Der "heroische Mensch" verwirklicht sich im Blut!!Es sind die kultischen Rituale damit das Volk im Krieg zur "innerenEinheit" findet. Horste, Gaue, Boden, Mahnfeuer. Sie singen Kampf undSoldaten lieder, Kameradentreffen, Trainingslager, Aufmärsche,Luftabwehrraketen, Batte rien, Mannschaftswagen, Panzer, MIG29,Hubschrauber, Tarnkappenbomber, UBoote und Marschflugkörper. Egal wer siehat, besitzt, oder einsetzt: Werden sie zu "gewünschten" Ergebnissenführen, zur Flurbereinigung, zum Einlenken, zum Ausrasten, zurallerletzten Chance, zur endlosen Vernicht tung  Krieg, wofür? Kann dienormale Dimension eigentlich noch zurückkehren, oder wird die Moderne inden "großen Erlebnissen" enden müssen? Die Frage spitzt sich zu: Bestehendie Errungenschaften des 20. Jahrhunderts nur noch in den Thesen der biologischen Rein(er)haltung eines Volkes? Serben, Kroaten, Albaner Diffamierung der Schwachen, der Weichen, der Sensiblen; die bewährte Selektion des Starken!! Sollte es genau das sein, was in der "natürlichen Auslese" gipfelt, im antisemi tischen, pathetischen Wahn, der Erziehung zum Hartsein? Ist es nicht der dunkle Vergessensgrund, der sich wie eine Hölle in die Herzen eingegraben hat, wird in ihm nicht das Schicksal allerVölker endgültig besie gelt, gilt dort nicht die Verdammung bis hinein inalle Endzeiten?

Das jugoslawische "Paradies", die Küsten, die Badespaß und Kommerz bis zum Abwinken ermöglichten  jetzt zeigen die unermeßlichen Leiden, daß wir Gefangene der Schaltkreise des Revisionismus der Geschichte sind. Die Toten, ins öffentliche Bewußtsein gerückt, die Objektivität und Automatik eines Medienkriegs: Kann die abnorme Psyche, die nur noch mit engstirnigen Hilfsmitteln agiert, den Wahn des Krieges eigentlich noch beenden? Was den Opfern angetan wird, den Heimat und Staatenlosen, das zeigt un ser Armut, verschleierte Schuld und Scheinhaftigkeit. Immer nur Finster nis, Nebel und Wolken: Die Melancholie der Feldschlachten, "chirurgische" Eingriffe, mit dem Ziel, die zerstörte Welt wieder real zu machen; der Glau be an die Barmherzigkeit der Bomben. Was im Gedächtnis aufbewahrt ist, ist der Krieg, wie ein von Parasiten befallenes Lebewesen. Doch die entstandenen Gedächtnispathologien sind schemenhaft, mit Träume rei umwoben, weil die bürgerlichen Demokratien der Moderne ihre Fassade wol len, weil sie unsere Träume verabscheut; denn was vergessen werden soll, bleibt vergessen, die fairen Informationen, der Sturz des Lügengebäudes, die Trommeln des Krieges!

Wir sind die Nachbeter, das Vergessen um die Erfahrungsprozesse wird ver gessen gemacht; Katastrophen, die die Welt bewegen das ist unsere Ver geßlichkeit in der Alltäglichkeit. Wir sind Motoren, die die unverantwortlichen Handlungen dem Leben hinter lassen, vererben, mit Prozeßakten, Konferenzen, kriegerischer Diplomatie, Fäden ziehen, Abbilder zeichnen, Adern zerplatzen lassen, aus Niederlagen und Fehlschlägen positive Stimmungen ederen  der unmittelbare Eindruck, mit dem Gedächtnisinhalte liquidiert werden. So sind wir  Leben leicht gemacht!!

"Bedenk es wohl, wir werden"s nicht vergessen", läßt GOETHE den MEPHISTO sagen: Der Sprung nach vorn, mit gelöschten Lebensjahren verliert sich die Erinnerung an den Krieg. Wir haben keine Lust mehr, an richtige Lehrsätze zu glauben, an die Kunst lehre des Gedächtnis, daß ein Körper ohne Kopf wie jemand ist, der an einer Laterne hängt! Bis ans Ende der Tage bleibt dieser Kurzschluß bestehen: Das Kriegsdrame schlechthin. Doch die gebildeten Menschen verwandeln sich in summarische Antwor ten: Historie ist sich vollziehende Geschichte. So, wie wir sie haben wollen? Von den Anfängen bis zur Gegenwart ist Krieg aktive Vergeßlichkeit. Und Vergeßlichkeit wird in der Moderne hofiert; denn wir lernen von Kindesbeinen an, die Lebensabfolgen dem Zeitstrom anzupassen, dort wo die Trennungsli nien zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verlaufen. Alle Bege benheiten in Jugoslawien sind "nur" Aufzeichnungen des alltäglichtrivialen. Darin kollabiert einer gewisse Verlustigkeit, die, wenn man sich an die Zeitlich keit der Erfolgsaussichten erinnert, Krieg zu verhindern, schon morgen wieder vergessen ist; nur halbe Wahrheit, flache Unbedeutendheit. Es ist ein Sterben bis in das Unendliche hinein. "Denn alles was entsteht, ist wert, daß es zu Grunde geht!" Haben wir ein schlechtes Gewissen  worüber? Krieg ist wie das Phantasiewerk einer Steinfigur, die aus dem Fenster gewor fen wird; sie zerplatzt an der Oberfläche und offenbart ihre Geheimnisse: Alle widerwärtigen Erinnerungen sind im Torso gespeichert: Zeitaufenthalte, Gegen stände, Begebenheiten; alles wird rastlos zuzammengescharrt: Gestalten, die Bücher, die Friedensverträge, die beschwichtigenden Hände, die regressi ven Kinderphantasien, die Selbstsicherheit, der Ruhm des Erinnerns. In der Kultur des Krieges sind wir Spielbälle der Lebenskräfte, die wir aus löschen.

Krieg ist quälend wie der Hunger, der Durst in der Wüste, allgegenwärtig. Jeglicher Widerstand scheint sinnlos; der Rahmen bleibt zerstört, gespeichert sind nur die sonderbaren Beobachtungen, das Hoffnungen zunichte gemacht wurden, und der kranke Wahn ein Spinnennetz um die Heuchelei spannt. Der Mensch ist bedürfnisabhängig NICHT MEHR das Maß aller Dinge, er wird verlacht, verleumdet, in den Tod getrieben, wenn es den Regierenden paßt, und die Militärs sie für tauglich halten: Kalkulierbare Regulierungs versuche, die je nach den Zielen und Erfordernissen eines Staates schwan ken. Merkwürdig ist diese Mischung von Geschlecht, Vaterland; geformte Züge lei. Krieg ist wie ein Leben im Film   wir spulen, spulen und spulen; konflikt reiche Bilder, immerwährende Erlebnisse, die Grenzen des kurzen Abends, rudimentäre Oberflächen, die an viele Gesichter erinnern; an den Kitsch, an das Erbrechen, an den Knall und an die Bombe; mysteriöse Gesellig keit, Peinlichkeiten, Grausamkeiten, Erbärmlichkeiten kretinenhaften Spielen gleich. Der Anfang im neuen Ende: Krieg aus dem Fernsehen, von der Front, im Hintergrund die zerstörte Landschaft. Drenica, Gornja Klina, Srbica, Lausa, Likovac, Rezala,Tusilje neues Elend und Vernichtung; der Krieg ist der wahre Held, der aus der Geschichte kam, in der Geschichte verschwindet, unter taucht, sich davonmacht, wie ein Phönix aus der Asche neu entsteht!!

Das Ende der Party rückt näher und näher, die Einschläge sind schon zu hören! Wo ist sie geblieben, die Spur des Optimismus? Wir schleppen uns mit dem Krieg durch das Leben, reden ohne Gesichter; billige Bekenntnisse, ein Nebeneinander von Traum und Verzweifelung in den Köpfen, die von Gewalttätigkeit träumen und/oder den Zukunftsvisionen völlig aufgesessen sind. Der gefesselte Mensch, Abwechselung und Abenteuer, Sex aus dem Internet, Kriegsspiele auf dem heimischen PC  jetzt ist er wieder allgegenwärtig, der Dilettantismus, der Weltbrand des vehementen Verlangens der Moderne. Die meschliche Verzweifelung hat den niedrigsten Punkt erreicht, der uns an zeigt, daß wir Verzweifelungstäter sind; wir sehen die tragische Verstrickung in der Mutlosigkeit erwachen: Sind erst die Kriegsgelüste befriedigt, die Deu tungen für die Zukunft festgelegt, kann man mit Inbrunst der nächsten Verhei ßung entgegensehen. Vom Traum zum Alptraum: Der Krieg, die drangsalisierte anonyme Macht. Ist es nicht an der Zeit, sich von dieser Verfaultheit, der Verfallenheit, der in neren Vergiftung zu verabschieden? Diese Idee, das sind abstrakte Wunschbilder, leere Reden über Gut und Bö se, weil kein Aufschrei durch die Welt hallt; Ruhm und Schande  was für eine Wirklichkeit.

Der Krieg ist zum unverrückbaren Dogma geworden; er zerkleinert den ohn mächtigen Menschen; auf Schritt und Tritt sehen wir den Trauerspielen zu, dem schleichenden Tod ganzer Ethnen; Daseinsbewältigung! Können wir den Weltbrand durchstehen; wann wird sich die Schlinge zuzie hen, wann ist die letzte Leichenfledderei beendet? Bilder, Töne, Erlebnisse; Erfahrungen; ohne Altersunterschiede  sie sind alle Zeugnisse der Niederlagen. Krieg ist Debatte, beiläufige Erklärung, Statement, Weltflucht, Blindekuh spiel, ein Platz auf der Landkarte, schon morgen ausradiert: Wenn nur noch Erniedrigung zählt, ist alles zeitlos geworden, individuelle Perversion für die Zukunft!! Das ist ein Fakt, so banal, daß wir es nicht hören wollen, die ewigen An klagen, das moralische Gewissen des Schreibers vom Dienst, niemand will mehr in den sich verändernden Menschen hineinsehen; der Skandal wird vor unseren Augen gefeiert, die entsetzlichen Folgen unseres Tuns; der perverse Thrill, der unübersehbare Schauer der Langeweile, überspielt, aus gebreitet. Krieg ist unser persönliches Projekt, das mit den heruntergestam melten Worten "was sollen wir tun", wie ein Fallbeil wirkt; das Geheul der Hölle, infernalisches Seufzen, Schluchzen, Stammeln. Wir führen Selbstgespräche; produzieren schematische Abläufe, wehrlosen Kreaturen gleich. Und während die Kälte in uns eindringt, wird es Nacht, in der wir von Episo den hören; Anekdoten, komponieren Kriegshymmnen, ineinandergemischt, ausgebreitet, verglichen, kunstvoll zusammengerührt. Krieg ist gesellschaftliche Dramatik, die bei den Helfershelfern beginnt, bei den Vorgesetzten aufhört. So sieht europäische Wirklichkeit aus; der Shodown ist die Wiederbelebung der Vergangenheit; die Geschwindigkeiten einer Schlacht  die Ordnung bleibt eingehalten.

Wir leben mit Massakern  das ist der beklemmende Wirklichkeitsbezug. Unser Lebensbezug ist Tarnung, wir durchlaufen alle Stationen der Schinder stätten, aber der geblendete Mensch will sich weiter ein Leben in diesem warenproduzierenden System vorstellen können; das Land der Verheißung; Geselligkeiten und Vergnügen, so als ob nichts geschehen wäre. Das ist wahrhaftige, nicht mehr einzulösende Schuld. Sind wir ergriffen, empört, ein Leben zu opfern, bei sicherem Wissen, daß es hätte gerettet werden können; übernehmen wir die Verantwortung? Werden wir zu Komplizen, die pflichtgemäß die Untaten anderer verham losen? Dort, wo Ziel gleich Start ist und Start gleich Ziel, werden die Grenzen der Schulderörterung verwischt, zunichte gemacht. Bilder bleiben Granit, die selbst in den heißesten Kriegsszenen den menschlichen Vulkan nicht mehr erhitzen. Der Volkstribun wird zum Volksbetrüger; die Ware Mensch verfault, wird abgeschoben in irgendein Lager mit begrenzter Haltbarkeit. Ist sie abgelaufen, wird er ersetzt  die marktwirtschaftliche Prosperität; die Krise des Geldes, der Ware, an das System der Produktivität gekoppelt, an Reproduktion, an Kaufkraft, am Verkauf der Ware Arbeitskraft, an Surplus und letztendlich an Weltmarktstabilitäten  bis zur universellen Schuldhaftigkeit. Das ist die innere Struktur der Ökonomie; bewußt gezüchtet, bis ins unerträg liche gesteigert; die aktuelle Katastrophe, kein Zwischenfall, der Alltag der Moderne. Es ist unser Leben, was derart verrinnt!

Deutschland in der Gegenwart; nicht mehr unselbständig, nicht mehr pas siv: Das Gebiet zwischen Rhein und Elbe, vom Ural bis zu den Pyrenäen, wann bläht es sich auf? Das KOSOVO als Einstieg? Deutschland in der Rolle einer kontinentalen Großmacht? Vom "Urlaub der Weltgeschichte" genesen, kann es jetzt rechtlich abgesichert, aufgerüstet und mit Mandaten versehen, vorstoßen; die Bedingungen für einen kommenden Nationalstaat schaffen, in den Kategorien der Macht zu denken, zu handeln. Die Mitte liegt eben im Osten, und der gedankliche Fortschritt kann schnell in seine eigene Zerschlagung münden. 1984 veröffentlichte MILAN KUNDERA seinen Aufsatz "Der Traum von Mitteleuro pa". Er beklagt dort, daß nach 1945 die Grenze zwischen Ost und Westeuroap über mehrere hundert Kilometer hinweg nach Westen verschoben wurde; Völker, wie die Polen, Tschechen und Slowaken, die sich "westlich" gefühlt hatten, lebten auf einmal im "Osten" und wurden diesem zugerechnet. Doch in Wirklichkeit sind sie schon "Mitteleuropäer"   die Basisgrenze ist bereits gespengt. Das Mitteleuropamodell Deutschlands kann mit dem KOSOVO Drama neu entfacht werden, die nostalgische Idee kann Realpolitik werden; wenn es Bodentruppen geben sollte, dann gibt es Interventionsrecht, nicht mehr künst liches, sondern natürliches Mandat. Die weitergeführte Ostpolitik  die Optionen Deutschlands, NAUMANNs "zentraleuropäischer Staat"; die Vision einer deutschen Hegemonie in Mittel europa, bald in Osteuropa? Nur wer sich darüber genügend Erkenntniskompetenz verschafft, wird ein sehen, daß die aktuellen Katastrophen, die Zukunft des Weltmarktes, keine Fortsetzung der Vergangenheit sein kann. Krieg, egal wo er stattfindet, ist dem Zusammenbruch sämtlicher Marktme chanismen zuzuschreiben. Er hat die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört, er wird sie weiter zerstören, weil für die Verteilung von immer mehr Gütern die bisherige Ver netzung ungeeignet ist. Immer wieder wird er daher in die nationalen/nationalistischen Zurichtungen der Menschen, in die abstrusesten Ideen von Opfer und Vaterland eimünden. Die kapitalistische Geldwirtschaft wechselt ihn aus wie einen Automaten; für jeden verscharrten Toten gibt es neue, bessere, "wahrere" Kämpfer. Da ist es schon egal, unter welcher Flagge sie kämpfen. Der Krieg und das Geld läßt sie ihre gesellschaftliche Irrelevanz spüren. Sie erahnen, daß bei ihrer Beerdigung lediglich ein Stück abgenutzter Münze verscharrt wird; Geld ver schafft eben keine Reinkarnation, Krieg erst recht nicht! Wer sich aufgeopfert hat, hat kein Anrecht mehr auf die Schicksalsgemein schaft; wer fällt, wird nicht mehr rehabilitiert. Das Boot ist voll, die Rettungsanker sind gekappt, wir schippern führungslos auf den Kriegsmeeren. Diese Moderne bringt kein Paradies mehr, kein golde nes Zeitalter. Spätestens dann, wenn die westlichen Marktdemokratien sich in ihre Bestandteile auflösen, wenn sie die Krise des warenproduzierenden Systems ebenso intensiv trifft, wie den Rest der Welt, wird es für niemanden mehr eine Extratour geben. Wie trostlos ist ein Leben in der Geldmoderne doch geworden!


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