Spaltprozesse

Ein Alternativgipfel, ein Gegenkongress, ein unabhaengiges Podium, eine Gross-Demo am 29.Mai, eine andere am 3. Juni - allein diese Aufzaehlung verraet, dass der Widerstand gegen die herrschende EU-Politik in sich gespalten ist. Zunaechst einmal ist das normal, es waere falsch, nur des Gefuehls der Einheit und Geschlossenheit wegen, inhaltliche Differenzen ueber Bord zu werfen. Das Ringen um Buendnisse und auch deren Verwerfung traegt wesentlich zu einer Fortentwicklung des protestes und den diesen tragenden Theoriebildungen bei. Voraussetzung dafuer ist jedoch, dass diese Spalt- und Vereinigungsprozesse einigermassen transparent verlaufen und einer ehrlichen Argumentation folgen.

Fragt man sich selbst als "linksradikal" bezeichnende Kader, so ist die Abgrenzung zu dem den Alternativgipfel tragenden Buendnis Koeln 99 klar - "reformistisch" heisst das Schlagwort. Die Aufnahme linker Diskurse erfolgt aus diesem Spektrum leider selten und dann auch oft nur vordergruendig. Wer zum Beispiel in der Umbenennung der Euromaersche gegen Arbeitslosigkeit in Euromaersche gegen Erwerbslosigkeit, Ausgrenzung und Rassismus ein positives Signal sah, wurde von der Agitation in Koeln weitgehend enttaeuscht. Das Verhalten der Polizei am 29.5. zeigt aber auch, dass eben diese Spaltung zwischen Reformisten und Radikalen erwuenscht ist. Die Veranstaltung einer "Scharnierveranstaltung" unter dem Titel "soziale Frage vs. Klassenkampf" war vielleicht ein gelungener Kompromiss zwischen Abgrenzung und Austausch.

Unklarer erscheint die Spaltung dem linksradikalen Gegenkongress, organisiert vom "bundesweiten linsradikalen Anti-EU- und WWG-Plenum" unter der Fuehrung der Oekolinxe, und dem daraus rausgeschmissenen Podium "last exit nation" - getragen von den antinationalen Gruppen venceremos, Berlin und demontage, Hamburg. Die Begruendungen des Ausschlusses, mit dem im uebrigen die betroffenen Gruppen im Nachhinein ganz gut leben konnten, waren die Kritik an nationalen "Befreiungsbewegungen", die die betroffenen "Gaeste" nicht haetten vertragen koennen, sowie die Angst, antinationale Diskurse koennten auf dem Gegenkongress dominieren, zu viele koennten sich fuer dieses Forum entscheiden.

Vor allem die zweite Argumentation halte ich fuer aergerlich obgleich ehrlicher. In welcher Position sehen sich denn die Organisatoren, dem gemeinen Publikum vorschreiben zu wollen, fuer welche Themen sie sich zu interessieren haben. So macht sich auch die Stimmung breit, Oekolinx betreibe Machtpolitik und versuche ihre Themen gegenueber anderen Gruppierungen durchzudruecken. Fuer Aerger sorgte dies auch bei der Vorbereitung der Demo am 3.6.. Wie man hoert, fuehlte sich insbesondere der Infoladen Koeln nicht genuegend in die Vorbereitung einbezogen, musste dann jedoch herhalten, als es darum ging, Info-Strukturen fuer das Desaster nach den von vielen erwarteten (oder herbeigeredeten) Polizeiuebergriffen aus dem Boden zu stampfen. Damit die Fronten transparent werden: Der Infoladen Koeln war es auch, der die Antinationalen bei der autonomen Durchfuehrung ihrer Veranstaltung unterstuetzte.

Aus: Das Gipfelstoererchen, Nr. 2, 5. Juni 99 (freie Tageszeitung zu den Gipfeln)


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