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BAHAMAS Nr. 22

Bernd Beier
Runder Tisch mit Koks und Kämpfern

"Affäre Mauss": Deutscher Export in den US-Hinterhof

Seit der Bonner Multiagent Werner Mauss am 17. November in Bogotá verhaftet und in einem Hochsicherheitsgefängnis zwischengelagert wurde, besteht in Bonn nur ein Interesse: die peinlichen Hintergründe der Affäre verborgen zu halten, den tatsächlichen Zusammenstoß mit der Hegemonialmacht USA in einem Wortschwall über den Frieden, den die beteiligten deutschen Stellen Kolumbien bringen wollten, zu verdecken.

Nach Darstellung von Winfried Wolf (PDS-Bundestagsabgeordneter) wird die Bonner Politik in Kolumbien durch fünf Punkte charakterisiert. Seit 1984 habe die Bundesregierung die Aktivitäten von Mauss in Kolumbien "positiv begleitet", wie Geheimdienstkoordinator Schmidbauer in der Bundestagdebatte am 14.12.1996 zugab. Entscheidender Hebel für die Einflußnahme Bonns sei der Einstieg von Mauss in die "Entführungsindustrie" in Kolumbien - einer in diesem Land höchst lukrativen Branche - gewesen, was zum einen Kontakte zu den in Kolumbien tätigen Konzernen, zum andern Kontakte zu der in dieser Industrie tätigen Guerillagruppe ELN mit sich brachte. Bis 1994/95 hätte sich die Bundesregierung in dieser Branche so weit vorgearbeitet, daß Bonn international als erste Adresse bei Entführungsfällen von Firmenvertretern galt. Belegt sind sogar Anfragen aus Argentinien an die Bundesregierung beziehungsweise das Bundeskanzleramt im Jahr 1996, sich um die Freilassung entführter Mitarbeiter der Firma Techint zu bemühen. Der wachsende Einfluß Bonns hätte andrerseits den Nachteil, daß die Aktivitäten von Mauss der Konkurrenz, beispielsweise dem CIA, nicht verborgen bleiben konnten.

Mitte der neunziger Jahre sei der in Kolumbien erreichte Einfluß der Bundesregierung groß genug erschienen, einen großen Coup zu landen: in dem Land, das seit Jahrzehnten in einem mal offenen, mal verdeckten Kriegszustand lebt, im Dezember 1996 einen Runden Tisch zu etablieren und die Bürgerkriegsparteien zu versöhnen. Geplant war, den nicaraguanischen Sandinistenchef Daniel Ortega, mit dem es in Bonn laut Schmidbauer ein langes Gespräch gab, als einen der Vermittler anzuheuern. Der Vorbereitung diente ein Treffen von Schmidbauer mit dem kolumbianischen Präsidenten Samper in New York im Sommer 1996, an dem auch Mauss teilnahm. Pikanterweise war auf dem Flug Sampers nach New York in der Präsidentenmaschine ein Päckchen mit einigen Kilo Heroin aufgefunden worden, was als deutlicher Hinweis auf die Verbindungen zwischen kolumbianischer Drogenmafia und Samper interpretiert wurde. Zudem hatten die USA Samper zuvor ein Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten verpaßt, so daß dieser sich ein Einreisevisum verschaffen mußte - nach Wolf schon ein deutliches Indiz für den nur mühsam verborgenen Interessenskonflikt zwischen Bonn und Washington. Teil des Friedensplanes sei es auch gewesen, den Drogenbossen eine legale Basis zu verschaffen. Diesen wurde in einem am 29. Mai 1996 entworfenen "inoffiziellen schriftlichen Angebot", das laut der kolumbianischen Zeitung El Espectador (Ausgabe vom 1.12.1996) gemeinsam von einem Beauftragten der kolumbianischen Regierung und Schmidbauer entworfen wurde, garantiert, bei Selbststellung nicht an die USA ausgeliefert zu werden und Teile ihres Vermögens behalten zu dürfen. Die Interessen deutscher Konzerne wie Siemens und Mannesmann hätten in der Bonner Politik ebenfalls eine Rolle gespielt. Schließlich sei auch die kolumbianische Regierung in den Konflikt involviert gewesen. Spätestens seit 1987, als Bonn sie gebeten habe, Mauss nicht zu enttarnen und im Gegenzug die Hilfestellung des Bundeskriminalamtes bei der Aufstellung einer kolumbianischen Sondereinheit anbot, sei sie über die Bonner Politik offiziell informiert gewesen. Mindestens bis Oktober 1996 sei die Samper-Regierung auch geneigt gewesen, das Bonner Spiel mitzumachen - Kolumbiens Innenminister Horacio Serpa war zumindest an einem der rund sechs Sondierungsgespräche beteiligt.

Der konspirativeAufwand für diese Art der Außenpolitik war beträchtlich. Die beschriebenen Treffen mit Mauss und kolumbianischen Vertretern in Bonn waren geheim, ebenso, daß Mauss und seine Ehefrau Ida bei dem Treffen Samper-Schmidbauer in Washington beteiligt waren. Mauss sei, so Wolf, der kolumbianischen Regierung als offizieller Vertreter der Bundesregierung präsentiert worden. Ein bei Mauss im Zeitpunkt seiner Verhaftung gefundenes Schreiben, das von der deutschen Botschaft in Bogota ausgestellt worden war, wies ihn als "in offizieller Mission" reisend aus. Mauss war zudem mit mehreren echten falschen deutschen Pässen ausgestattet, die von "ehemaligen" BND-Mitarbeitern erstellt worden waren, was, so Wolf, unnötig gewesen wäre, hätte Mauss nicht auch gegenüber der kolumbianischen Regierung ein doppeltes Spiel gespielt. Die Behauptung Bonns, mit Mauss habe "kein dienstlich-offizielles Dienstverhältnis" bestanden, brachte es zudem mit sich, daß über Mauss' Aktivitäten nicht einmal in der Parlamentarischen Kontrollkommiossion (PKK) berichtet werden mußte - jenem Gremium zur Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit, in dem die Beratungen geheim und die Mitglieder zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Schließlich hätten auf Vermittlung von Bundesregierung und Mauss im Juni 1995 drei führende VertreterInnen der ELN in Deutschland geweilt: Manuel Perez, Comandante Nicolas und Comandante Antonia Garcia. Schmidbauer hierzu im Bundestag: Nach seiner Kenntnis hätten die Gespräche nicht stattgefunden, er könne dies aber auch nicht ausschließen und glaube nicht, daß man in jedem einzelnen Fall dieser Gespräche irgend jemandem Rechenschaft ablegen müsse.

Zu einem Eklat auf diplomatischer Ebene kam es im Januar, als der US-Botschafter Myles Frechette, in einem Interview mit der kolumbanischen Zeitung El Tiempo auf angebliche Vermittlungsversuche Bonns im Sommer 1996 hinwies: "Ungefähr in der zweiten Juliwoche 1996 teilte dieser Minister Schmidbauer amerikanischen Diplomaten in Deutschland mit, daß er in Deutschland mit der kolumbianischen Regierung und dem Cali-Kartell zu verhandeln gedenke, und fragte, ob die amerikanische Regierung an einer solchen Verhandlung interessiert sei. Wir lehnten das sofort strikt ab." Die deutsche Botschaft in Bogota dementierte: "Die Erklärung von Botschafter Frechette über den Inhalt der Gespräche von Staatsminister Schmidbauer mit einem Vertreter der US-Botschaft in Bonn trifft nicht zu." Schmidbauer dazu in der letzten Bundestagsdebatte: "Herr Frechette hat gesagt, es seien Emissäre abgesandt worden. Wir erfinden solche Emissäre nicht." Schmidbauer gab also nur ein Scheindemento, das sich nur auf den direkten Kontakt zwischen ihm und amerikanischen Stellen bezieht. Und die Erklärung des deutschen Botschafters in Bogota zu dem heiklen Punkt von Verhandlungen mit dem Cali-Kartell spricht Bände: "Ich sehe keinen Sinn darin, dieses Thema weiterzubehandeln. Bonn und Washington haben deutlich erklärt, daß sie keine Befürworter von Verhandlungen mit dem Cali-Kartell oder mit irgendeinem anderen Drogenkartell sind. Deutschland und die USA haben ausgezeichnete diplomatische bilaterale Beziehungen. Der gegenseitige Umgang ist freundschaftlich." So freundschaftlich, daß die Telefonate von Mauss im Entführungsfall der Firma FLS in Kolumbien möglicherweise von amerikanischen Dienststellen aufgezeichnet und zwecks Unterbindung von Mauss' Aktivitäten gezielt an kolumbianische Behörden übermittelt wurden. Laut Schmidbauer ist der Bundesregierung darüber nichts bekannt.

Kein Wunder ist es, daß gerade in der Frage eventueller Vereinbarungen mit den Narcobossen die Bundesregierung von den USA unter Druck gesetzt werden. Die USA wollen seit jeher deren Auslieferung in die Vereinigten Staaten durchsetzen, die Narcobosse fürchten nichts so sehr wie gerade das. Hingegen ist jeder Versuch, zu einem Friedensarrangement in Kolumbien zu kommen, ohne die Narco-Kartelle einzubeziehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt: zu groß ist die Macht der Narcobosse, die die dritte bewaffnete Macht neben dem Staat und den fortlaufend größere Gebiete kontrollierenden Guerillagruppen darstellen. Genau diese Situation mangelnder innerstaatlicher Souveränität des von den USA gestützten Staatsapparates ruft imperialistische Konkurrenten mit eigenen politischen Konzepten auf den Plan. (1)

Schmidbauer und die Guerilla

Was die angepeilten Verhandlungen der Bundesregierung mit Guerillagruppen angeht, ist zweierlei zu bedenken: Für die Guerilla-Organisation ELN, die mit der weit größeren FARC in einer mehr oder weniger brüchigen Koordination verbunden ist, sind die Vereinigten Staaten der Hauptfeind. In einer Zeit, in der sich das sogenannte sozialistische Lager aufgelöst hat, scheint sie sich der BRD und perspektivisch der EU als Gegengewicht gegen die US-Dominanz bedienen zu wollen. Die europäische Variante eines spätkeynesianischen Kapitalismus erscheint irgendwie humaner als der "Neoliberalismus" made in USA und die knallharte amerikanische Repressionspolitik, die laut Noam Chomsky rund die Hälfte der für Lateinamerika zur Verfügung gestellten Militärhilfe nach Kolumbien leitet. Verdeutlicht wird dies durch eine von ELN-Chef Manuel Perez unterzeichnete Erklärung. In dieser Erklärung, die Mitte Dezember an den kolumbianischen TV-Sender CMI gerichtet wurde, teilte die ELN mit, sie habe Brigitte Schoene, Frau eines Ex-BASF-Managers in Kolumbien, in deren Begleitung Mauss verhaftet worden war, nicht entführt; vielmehr habe sie auf eine ausdrückliche Bitte der Bundesregierung bei den Bemühungen um die Freilassung von Brigitte Schoene mitgeholfen. Mauss habe dabei als Unterhändler fungiert. Zudem habe er als "Friedensvermittler" im Bemühen um eine Beilegung des Guerillakrieges in Kolumbien gewirkt und Kontakte zur Bonner Regierung hergestellt.

Für Bonn hingegen eignen sich Organisationen wie die ELN prinzipiell als potentielle Einflußfaktoren. Ihr grundsätzlicher Dissens mit dem US-amerikanischen Einfluß nach Wegfall der Partner für ihre traditionelle "internationalistische" Orientierung und die Tatsache, daß eine eigenständiges nationales Entwicklungsmodell innerhalb der "Neuen Weltordnung" nicht mehr möglich ist, bringt sie in eine Situation, in der es ihnen ratsam erscheint, sich der Unterstützung mächtiger Paten zu versichern. Aus Bonner Sicht können daher lateinamerikanische Befreiungsbewegungen im Hinterhof des mächtigsten Konkurrenten eine ähnliche Rolle spielen wie die nationalistischen Bewegungen in Osteuropa: zunächst als Agenturen deutschen Einflusses, und später, nach gelungener Integration in den Staatsapparat, als BRD-freundliche Fraktion der neuen Eliten. Deutlich wird dies am politischen Schicksal von Daniel Ortega. Dereinst als nationaler Befreiungskämpfer angetreten, mutierte er unter dem Einfluß der SU und Kubas zwischenzeitlich zum Marxisten-Leninisten, später erfolgte unter dem erfolgversprechenderen Patronat der Sozialistischen Internationale die Metamorphose zum demokratischen Sozialisten europäischen Zuschnitts. Nach dem Scheitern des sandinistischen Projekts steht er nun als dienstbarer Geist für allerlei "unkonventionelle Lösungen" zur Verfügung (2).

In Kolumbien sollte nach den Vorstellungen der Bundesregierung offenbar der deutsche bzw. europäische Exportschlager "Am Runden Tisch erreichen wir die Zivilgesellschaft" ein weiteres Mal zum Einsatz kommen. Bei der Übergabe der Macht an deutschfreundliche Eliten in Polen hatte sich dieses Möbel bewährt, in der ehemaligen DDR wurde mit ihm der Anschluß an die BRD eingeleitet. Attraktiv für lateinamerikanische Intellektuelle, die auf eine nicht US-dominierte Entwicklung setzen, könnte dieses Modell vor allem deshalb sein, weil es den direkt und brutal ausgetragenen Machtkampf mit den alten Eliten zu vermeiden scheint - einen Machtkampf, der "fortschrittlichen" Konzepten in Lateinamerika in der Tat bisher - sieht man einmal von Kuba ab - nur Niederlagen bereitet hat. Da diese Konzepte in der Regel auf eine staatlich vermittelte Modernisierung abzielten, die an der Waffenbrüderschaft zwischen den USA und den alteingesessenen Kompradoren-Regimes scheiterte, liegt es für die politischen Organisatoren der Verarmten - als potentielle neue Elite - nahe, sich für die scheinbar alternativen europäischen Konzepte zu interessieren. Insoweit ist die Vermutung nicht aus der Luft gegriffen, daß an die Stelle der Orientierung an staatssozialistischen Entwicklungsmodellen eine ebenso fatale Hinwendung zu Rechtsstaat und Zivilgesellschaft "hecho en Alemania" tritt.

Auffällig ist, daß gerade dieser Aspekt von der deutschen Lateinamerika-Solidaritätsbewegung weitgehend ignoriert wird. Das unkritische Verhältnis, das sie in früheren Zeiten zu den staatssozialistisch orientierten Bewegungen hatte, setzt sich heute fort in einer ebenso unkritischen Begleitung der Affirmation von Demokratisierung und Zivilgesellschaft südlich des Rio Grande sowie aller möglichen marktkonformen NGOs. Vielleicht kommen Überreste dieser Bewegung nun ihrem langjährigen Ideal des "gemeinsamen Kampfes" real nahe. Wenn es den ehemaligen Kadern der Befrei-ungsbewegungen unter deutsch-europäischer Protektion gelingen sollte, demokratisch legi-timierte Verantwortung auszuüben, kommen vielleicht auch ihre metropolitanen Verbündeten in ihrer Eigenschaft als unvergleichlich qualifizierte Lateinamerika-Experten zu ihrem wohlverdienten Einsatz in der deutsch-europäischen Außenpolitik.

Anmerkungen:

1) Eine gewisse Analogie bietet die wachsende Einflußnahme Japans in Peru über Fujimori, der in einer eskalierten Bürgerkriegssituation an die Macht kam.

2) Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die politischen Entwicklungswege ehemaliger lateinamerikanischer Guerilleros: "Anfang Januar (1994) ... nahm Salinas de Gortari, (der damalige Staatspräsident Mexikos; Anm. "Beute") Kontakt zu den Chefs einiger revolutionärer und ex-revolutionärer Kräfte Mittelamerikas auf. Und als er feststellte, daß diese den Aufständischen [gemeint sind die Zapatisten, Anm. d. Red.] nicht etwa behilflich waren, und im Namen der Realpolitik (deutsch und hervorgehoben im Orig., Anm. "Beute") sein Regime unterstützen würden, bat er sie um wirksame Hilfe. Der nicaraguanische sandinistische Ex-Comandante Tomás Borge berät alsdann seinen ,Freund Carlos' (Salinas de Gortari; Anm. "Beute"). Der salvadorenische Comandante Joaquín Villalobos, Ex-Chef der FMLN, der sich ebenfalls nach rechst entwickelt hat, ging sogar soweit, in den Kriegstagen das am stärksten umkämpfte Gebiet zu überfliegen und dabei die mexikanischen Militärs zu beraten." Aus der linken mexikanischen TageszeitungLa Jornada vom 16.12.1994, zitiert nach Die Beute 2/95, Seite 10/11.

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