Erklärung der antifaschistischen Aktion Lingen

Am 13.9.97 fand in Lingen eine antifaschistische Demonstration mit ca. 300 Teilnehmerlnnen statt. Diese richtete sich vorwiegend gegen den Neonazi Jens Hessler, der in der Schwedenschanze in Lingen einen Versand mit Nazi-Musik und anderem faschistischen Propagandamaterial betreibt Gegen ihn laufen z.Zt. zwei Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Hessler hatte gegen diese Demonstration eine Gegendemo angemeldet, die zunächst verboten worden war, später aber durch eine einstweilige Verfügung vom Landgericht Osnabrück doch noch genehmigt wurde. Auch verdichteten sich im Vorfeld die Hinweise, daß anläßlich der Demo Neonazis nach Lingen anreisen würden.

Aufgrund eines „Notrufes", den wir daraufhin an verschiedene Stellen gefaxt hatten, entschieden sich viele Leute, die vorhatten, an der Gegendemo zur NPD-Kundgebung in Hamburg teilzunehmen, spontan, doch noch nach Lingen zu fahren und uns zu unterstützen. Kurz vor der Demo war durchgesickert, dalß die Nazis van Hamburg nach Lingen mobilisierten

Es gelang Hessler, ca. 60 Neonazis nach Lingen zu holen, ca. 45 von ihnen konnten ungestört einen Aufmarsch durchführen. Es wurden Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" skandiert. Redner war der bekannte Anti-Antifaschist Thomas „Steiner"‘ Wulff Jens Hessler marschierte an der Spitze des Aufmarsches. Andere Neonazis waren in Hesslers Haus geblieben, oder fuhren in Autos herum, um Demoteilnehmerlnnen zu fotografieren.

Die antifaschistische Demo unter dern Motto „Die Strukturen der Faschistlnnen aufdecken und angreifen“ war nicht angemeldet. Im Vorfeld hatte die Polizei die Zufahrtsstralßen abgesperrt und Vorkontrollen durchgeführt Die Demo wurde aber geduldet, wenn auch mit Polizeibegleitung und unter der Auflage, die Vermummung zumindest teilweise abzunehmen Kapuzen und Sonnenbrillen wurden toleriert. Vorausgegangen war eine Absprache mit der Polizei, die zugesagt hatte, die Demo zu „schützen“, Vermummung aber nicht tolerieren wollte. Diese Absprache wurde später von einigen heftig kritisiert. Im Prinzip stimmen wir dem zu, daß Absprachen mit den Bullen scheiße sind und Vermummung - nicht nur in Anbetracht der fotografierenden Nazis und Bullen - sinnvoll gewesen wäre. Die meisten Leute konnten aber mit der „Kapuzen-Sonnenbrillen-Lösung“ leben, da ansonsten auch die Durchführung der Demo selbst gefährdet worden wäre. Außerdem waren zur Zeit der Absprache vielleicht 50 Leute auf dem Marktplatz. Wären zu dern Zeitpunkt schon alle 300 Teilnehmerlnnen anwesend gewesen, hatte Vermummung möglicherweise durchgesetzt werden können.

Die Demo startete vom Marktplatz aus und verlief dann an der Bullenwache vorbei, wo ein Redebeitrag gehalten wurde, in dern es um die Verbindungen von Polizei, Staats-und Verfassungsschutz zu Neonazis und speziell um deren Umgang mit Jens Hessler, sowie um die Kriminalisierung von Antifa ging. An diesem Tag beschränkte sich die Polizei darauf, die beiden Demos nicht aneinandergeraten zu lassen. lm Verlauf der Demo wurde eine Person kurzzeitig festgenommen, da sie eine Zigarettenschachtel und eine leere Bierdose in Richtung der Bullen geworfen, und in eine Einfahrt uriniert haben soll. Die Person konnte aber, nachdem der Demozug gestoppt war und die Freilassung gefordert wurde, weiter mitlaufen.

Nächste Station war dann das Haus und Verkaufs/Versandraum von Jens Hessler, das durch massive Polizeikräfte abgeschirmt war. Dort waren nun auch die 45 Neonazis anwesend, die kurz zuvor von ihrem Aufmarsch zurückgekehrt waren. Diese fotografierten die Demoteilnehmerlnnen aus dern Dachfenster und vom Dach der Garage. Aufgrund der massiven Polizeipräsenz war ein direkter Angriff auf das Haus nicht möglich. Dennoch konnte vor dern Haus durch entschlossenes Aufreten und lautstarke Sprechchöre Stärke demonstriert werden. Der Fehler, den wir vor dem Haus machten, war der, daß die ersten Reihen ein Stück am Haus vorbeiliefen, und die Demo zum Stehen kam, als nur noch gänzlich unvermummte Leute davorstanden. Diese konnten die Nazis problemlos abfotografieren.

Nach einiger Zeit bewegte sich der Demozug dann wieder in Richtung Marktplatz, wo sich die Demo dann auflöste. Auch nach der Demo hielten sich auswärtige Neonazis teilweise noch mehrere Tage in Lingen auf, am Samstag feierten sie in einem angemieteten Saal. Einige Informationen besagen, daß sie an diesem Abend einen Angriffauf die Lingener Wagenburg geplant hatten, die schon mehrfach das Ziel von Neonazi-Angriffen war. An diesem Abend blieb ein Angriff jedoch aus. Eine Frau wurde am Sonntag abend von einem Neonazi verprügelt, weil dieser sie angeblich auf der Demo gesehen hatte. In den Tagen nach der Demo observierten Neonazis zudem ihnen bekannte Wohnungen von Antifas.

Im Nachinein gab es von einigen Seiten Kritik an Vorbereitung und Durchführung der Demo. (.. ) Zentraler Kritikpunkt war, daß nicht versucht wurde, die Nazis am marschieren, und auch am fotografieren zu hindern, sondern das Zuendeführen der Demo in den Vordergrund gestellt wurde. Diese Kritik sehen wir prinzipiell als berechtigt an. Wir waren an jenem Tag erstmal froh, die Demo überhaupt machen zu können, da wir nach diversen Absagen einiger Gruppen (die zum Glück doch noch erschienen sind) davon ausgehen mußten, mit extrem wenig Leuten dazustehen. Wir haben überhaupt erst am Vortag die Information erhalten, daß die Nazis eine Gegendemo angemeldet hatten, diese aber verboten warden sei. Daß die Demo nun doch erlaubt worden war, erfuhren wir erst kurz bevor der Demozug startete. Zudem gab es innerhalb unserer Gruppe ein Problem mit dern Informationstluß, so daß einige erst nach Ende der Demo erfuhren, daß die Nazis tatsächlich einen regelrechten Aufmarsch mit Fahnen und Redebeitrag durchgeführt hatten. Überhaupt gestaltete sich die Organisierung recht chaotisch, da wir gerade in den letzten Tagen vor der Demo mit unzähligen neuen Infos Situationen bombardiert wurden, was uns doch etwas überforderte. Dies aber nur zur Erklärung, nicht zur Entschuldigung.

Trotz des gelungenen Aufmarsches der Nazis und der Fehler, die gemacht wurden, werten wir die Demo prinzipiell als Erfolg. Es ist gelungen, Hessler in einer breiten Öffentlichkeit zu outen, was ein erklärtes Ziel der Demo war. Die örtliche Presse berichtete ausführlich. Der Einfluß Hesslers in der bundesweiten Neonazi-Szene wurde durch die Tatsache noch verstärkt deutlich, daß er Nazis u.a. von der NPD-Kundgebung in Hamburg nach Lingen mobilisieren konnte, und einer der Begründer der Anti-Antifa, Thomas Wulff, als Redner auftrat. Andererseits wird der gelungene Aufmarsch Hessler in der Neonazi-Szene Auftrieb und Anerkennung verschaffen. Aber hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage“ (Demo-Parole var Hesslers Haus).

Dennoch werden wir uns fragen müssen, wie wir in Zukunft mit derartigen Situationen umgehen, ob das Ziel, eigene Aktionen durchziehen zu wollen, Vorrang vor der Verhinderung von Nazi-Aktivitäten hat, und ob Absprachen mit den Bullen so gerechtfertigt werden können. Auch bei der Planung der nächsten Demo werden wir einiges anders machen müssen. (...)


ACHTUNG, ACHTUNG: Zum Stempeln von Geldscheinen

Seit einiger Zeit sind Geldscheine im Umlauf, die mit einem Spendenaufruf bedruckt wurden. Dies finden wir an sich sehr gut. Dennoch haben wir sehr groBe Bedenken, wenn auf den Geldscheinen die Kontonummer und somit auch die Kontoinhaberin (eine Privatperson) benannt wird, da sie namentlich als Einzige für diese Aktion belangt werden kann. Diese Aktion wurde nicht mit der Kontoinhaberin abgesprochen. Sorgt also dafür, keine weiteren Geldscheine mehr in Umlauf zu bringen, und diejenigen, die solche Geldscheine besitzen, entweder ein paarmal in der Waschmaschine zu waschen oder den Aufdruck zu schwärzen. Gute und kreative Aktionen sind wichtig. Das Konto braucht weiterhin viel Kohle!!

Und Tschüß


Zur Übersicht der aktuellen Nummer