ZUR NICHTVERÖFFENTLICHUNG DES PAPIERS "DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA - AUTONOME POLITIKUNFÄHIGKEIT" ("DIE UNGLÜCKLICHEN") IN INTERIM NR: 434 EUER VORWORT DAZU

Euer mysteriöse Vorwort hatte mich neugierig gemacht. Über den etwas holprigen Umweg Ordner-Kopierer hielt ich schließlich ein solch 'kostbares' Exemplar in den Händen. Nach der Lektüre desselben war ich allerdings mächtig verärgert -nicht über das Papier, sondern über Euren Umgang damit.

Ich bin einer jener Linksradikalen, die sich nach rund zehn Jahren, Anfang der 90'er, aus der autonomen Bewegung zurückgezogen haben. Die Gründe dafür sind vielschichtig und hinreichend bekannt ( Erstarren in Regeln, Ritualen, überkommenen Politikformen; Arroganz gegenüber Jüngeren und "Neuen"; unkonstruktive Streitkultur; katastrophaler Umgang mit feministischen Positionen, Patriarchat, Sexismus usw...}. Von daher bin ich ja einiges gewöhnt - dachte ich.

Ihr schreibt in Eurem Vorwort Ihr hättet Euch zur Veröffentlichung entschieden - und tut es dann doch erstmal nicht. Wieso eigentlich? Darüber, was Euch von der Veröffentlichung abgehalten hat erfährt mensch wenig bis nichts. Immerhin war Euch das Papier so wichtig, daß Ihr ihm das gesamte Vorwort und sogar die Titelseite widmet. War es die "Kritik unterschiedlicher Schärfe"? Habt Ihr etwa Boykottdrohungen bekommen? Warum traut Ihr Euch nicht, was über die Gründe zu schreiben? Wozu dann das Vorwort?

Das Papier beschäftigt sich ( am Beispiel der Zensur der Arranca! Nr.8 durch die Schwarzmarkt-Frauen - Vorwurf: Rollback gegen feministische Positionen) in erster Linie kritisch mit dem Thema Zensur innerhalb der Szene. Habt Ihr im ernst diskutiert, einen solchen Text nicht zu drucken, sprich: zu zensieren?? "Verschiedene Seiten" scheinen dies - so Euer Vorwort - zumindest zu tun. Was, bitteschön hat das noch mit Autonomie zu tun? Das erinnert doch eher an die Mechanismen totalitärer Systeme. (Das keine Mißverständnisse aufkommen. Auch ich habe meine Kritik an dem Papier bezüglich Feminismus, vor allem, weil viele positive Aspekte unfairer Weise nicht erwähnt werden. Ich werde mich aber hüten, das hier weiter auszuführen, solange ich nicht mal weiß, ab und wann Eure Leserinnen diese Kritik anhand des Papiers überprüfen können.)

Um Worte zu sparen ein Zitat aus jenem Papier:" Die Geschichte der Zensur ist zu einem gewissen Grad die Geschichte einer Unterdrückung und Kontrolle dessen, was die Leute sehen, und dem liegt die elitäre Angst vor dem Zugang der Massen zum Wissen zugrunde. Wer zensiert, maßt sich überheblich die Rolle des Informierten an. Er sagt: Ich kann dieses Bild kühl und leidenschaftslos zur Kenntnis nehmen, aber ich muß Menschen, die schwächer sind als ich, vor ihm bewahren."( Amy Adler, taz vom 26.6.96 ). Ich diskutiere gerne darüber, ob mensch Texte unserer politischen (z.B. Nazis, Eutanasiebefürworter etc) zensieren sollte. Innerhalb des eigenen politischen Spektrums halte ich das allerdings für fatal. Ich fand beispielsweise die Arranca! Nr.8 furchtbar schlecht. Das kann jedoch kein Grund sein, sie zu zensieren. Vielmehr kann es doch nur darum gehen, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen. Zensur entmündigt nicht nur die Arranca!, sondern auch ihre Leserinnen, einschließlich jener, die sie kritisieren.

Alle Szene-Zensorlnnen, von den Schwarzmarkt-Frauen bis zu jenen in der Interim sollten daher, meiner Meinung nach, eines Bedenken: Angeblich antifeministische Inhalte verschwinden nicht durch ihre Zensur, sondern dadurch, daß mensch sie öffentlich widerlegt. Denn die Gedanken existieren ja nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem in den Köpfen vieler Menschen. Oder anders gesagt: Je schärfer die Zensur, desto radikaler, ja reaktionärer werden die unterdrückten Meinungen. Als Beispiel möge Mensch sich mal den Untergang der realsozialistischen Staaten anschauen. So gesehen solltet Ihr aufpassen, daß Ihr den "Rollback" nicht selber mitproduziert.

Genau darum geht es zunächst mal in dem Text der Unglücklichen. Die Brisanz dessen haben sogar die potentiellen Zensorlnnen erkannt Deshalb wird jetzt auch nicht mehr die offene Zensur gefordert, sondern die 'softe' Variante eingeschlagen. Nun wird kommentiert. Und da Euer Kommentar nicht reicht, wird jetzt noch mal anderthalb Monate mit der Veröffentlichung gewartet, damit auch besagte Frauen/Lesben kommentieren können. Sagt mal, für wie blöde haltet Ihr Eure Leserinnen eigentlich? Meint Ihr nicht, wir sind in der Lage uns unseren eigenen Kopf über diesen Text zu machen, ohne diverse Kommentare, auch der letzten Nachtwächterinnen abwarten zu müssen? Glaubt ihr, wir würden die dann hinterher nicht mehr lesen, oder was?

Zensur ist Manipulation an der öffentlichen Meinung. Auch Kommentare versuchen dies zuweilen. Und Ihr fangt damit in Eurem Vorwort - sozusagen als Vorabrezension - gleich schon mal an:

- Ihr charakterisiert das Papier als Grundsatztext, der sich mit "Fragen von Identitätspolitik, Feminismus,(szeneinterner) Zensur und der sog. Sexualitätsdebatte beschäftigt". Vergessen tut Ihr dabei rein zufällig, daß er den unübersehbaren Untertitel "autonome Politikunfähigkeit" trägt. Paßt Euch das nicht?

- Ihr denunziert das Papier im vorhinein als "denunziatorisch". Das mag es tatsächlich sein. Nur, wieviele diskursive Texte in Eurem werten Blättchen - einschließlich Eures Vorwortes - sind das nicht? Normalerweise stört Euch sowas wenig. (z.B. killing wolf, Interim 431). Als einer der denunziatorischsten Texte der letzten Jahre ist mir beispielsweise der Text der Schwarzmarkt-Frauen zur Zensur der Arranca! in Erinnerung (Rollbackvorwurf). Daher verstehe ich die 'denunziatorischen' Elemente bei den Unglücklichen als eine Reaktion genau darauf.

- Ihr wollt den Argumentationsstil der Unglücklichen in Frage stellen. Schön wäre es, wenn Ihr das mit Eurem eigenen auch tun würdet. Das Papier hebt sich, wie ich finde, nämlich immerhin angenehm vom üblichen autonomen Argumentations-Mainstream ab.

- Ihr konstatiert dem Papier eine "epische Länge". Und deshalb wartet Ihr noch sechs Wochen und diverse Kommentare ab, damit Ihr am Ende 'ne 100-Seiten-Ausgabe machen könnt? (Ich bin gespannt, wieviel Zeit ins Land gehen wird, bis mein Brief in Eurer mittelfristigen Planung Platz findet).

Mal ganz "denunziatorisch" gesagt: Ihr tut Euch mit diesem Papier so schwer, weil es weh tut. Denn es kratzt an den wunden Stellen sowohl der Autonomen-, als auch der Frauen/Lesben-Szene. Er tut vor allem jener autonomen Elite (z.B. in der Interim) weh, die doch immer alles Wichtige so gerne unter Kontrolle hätte. Und er tut bestimmt auch vielen Feministinnen weh, die vom widerspruchsfreien Raum innerhalb der Szene träumen. Die Konflikte sind aber da. Genauso kraß, wie überall in dieser Gesellschaft. Sie zu zensieren, zeitlich zu verschieben, sie zu kommentieren, zu kanalisieren und in geordnete Bahnen zu lenken, beseitigt sie nicht. Es macht sie nur zur gefährlichen Zeitbombe. Oder zum letzten Grabstein der Autonomen Bewegung.

FÜR EINE FREIE POLITISCHE KOMMUNIKATION UND DISKUSSION!!

Fliegenpilz

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