Kommentar zur "Kaiser's-Aktion" am 3.10.97

Es handelt sich hier um die Meinung eines einzelnen Mannes, der aber schon lange autonome und militante Politik macht.

Ich bin zufrieden mit dem Ablauf der Aktion an sich. In den letzten Jahren sind große, gut geplante und völlig "verlustfrei" (in Form von Festnahmen und/oder Verletzungen) verlaufene militante Aktionen sehr rar geworden.

Mensch kann sich streiten, ob es notwendig ist, zur Eigensicherung gerade sehr einfache Autos wie den von einer in der letzten Ausgabe der Interim behaupteten Wartburg als Barrikade zu benutzen. Mensch kann sich ebenfalls streiten, ob die Zerstörung von Telefonzellen an dieser Stelle Sinn macht. Einerseits ist die Telekom ein kapitalistischer Monopolkonzern der alle nervt, andererseits ist in der Gegend die Verbreitung der privaten Telefonanschlüße immer noch relativ gering, so daß die Menschen oft auf solche Zellen angewiesen sind. An diesen Details will ich mich aber nicht aufhängen, denn die Aktion an sich begrüße ich aufs Schärfste.

Was mir fehlt, sind zwei inhaltlich-politische Aspekte:
1. Wie wurde die Aktion in der Erklärung politisch begründet? Meine Meinung: Sehr dürftig.
2. Wie wurde die Aktion der Bevölkerung vermittelt, insbesondere den AnwohnerInnen?
Meine Meinung: Gar nicht.

Zu 1.: Die Bestimmung als Aktion gegen die Gutscheine zum Lebensunterhalt für AsylbewerberInnen und Flüchtlinge ist klar, deutlich und richtig. Konzerne, die an der offen rassistischen Ausbeutung und Abschreckung von Flüchtlingen verdienen indem sie sich als Handlanger des Staates profilieren, sollten an allen möglichen Punkten zur Rechenschaft gezogen werden. Aber: Wenn mensch deshalb zu heftigen militanten Mitteln greifen möchte, dann müssen diese sehr viel ausführlicher begründet werden, als nur mit wenigen Zeilen, die nicht mehr ausdrücken, als das, was die "Szene" kennt. Denn sicherlich sind wir uns alle darüber einig, daß es so nicht mehr weitergeht, wir dagegen kämpfen müssen. Aber bei einer Aktion dieser Größe sollte schon etwas mehr über die Hintergründe reflektiert werden als es in paar 20 Sätzen möglich war. Außerdem stört mich die relative Beliebigkeit des Objektes. Ihr schreibt in der Erklärung selbst, daß nicht bekannt sei, welche Kette sich an dem neuen Abrechnungssystem beteiligen will. Warum dann nicht warten, bis das bekannt ist? Eine Aktion wird nicht dadurch besser, daß sie technisch gut machbar ist, sondern daran, daß sie die real Verantwortlichen trifft. Sicher, wenn mensch sowas als "Warnung" verstehen will, macht es noch Sinn. Aber erstens bezweifle ich, daß jetzt Aldi, Norma, Edeka, Rewe und wie sie noch alle heißen jetzt wirklich kalte Füße gekriegt haben; und zum anderen könntet ihr mit einer solch vagen Begründung eigentlich präventiv jeden Supermarkt in der ganzen Stadt abfackeln. Wäre da nicht einer in einer "besser situierten" Gegend sinnvoller gewesen?

Zu 2.: Eine militante Aktion sollte sich wenn möglich selbst vermitteln. Das ist seit den späten '60ern bis heute eine politische Grundforderung an Militante, die erst das Mittel der (unpolitischen) Gewalt in (politische) Militanz verwandelt. Da es aufgrund der staatlichen Repression, der Zensur und der geringen gesellschaftlichen Relevanz unabhängiger oder autonomer Medien über diese per "Erklärung" schlecht möglich ist, den Inhalt einer Aktion über die Szene hinaus zu vermitteln, müßten im konkreten Fall andere Wege der Vermittlung gefunden werden. Speziell hier hätte den AnwohnerInnen erklärt werden müssen, warum sie nun sehr viel weitere Wege für ihre notwendigen Einkäufe zurücklegen müssen. Das ist in einer Gegend, in der sehr viele alte Menschen leben besonders wichtig. Da die Aktion - wie berichtet - tatsächlich ohne das Rufen von Parolen gelaufen ist, vermittelt sie sich nicht von selbst, denn ein Supermarkt ist für die meisten Menschen eben vor allem einfach nur ein Supermarkt, wo mensch das immer kärglicher werdende "tägliche Brot" einkauft. Hier hätte bereits im Vorfeld für das Verbreiten der Erklärung gesorgt werden können. Heißt: Flugblätter an öffentlichen Orten auslegen, das Platzfest der Grünen zur Öffentlichkeit instrumentalisieren, Parolen sprühen, in der Umgebung Transparente aufhängen. Dadurch, daß diese Möglichkeiten versäumt wurden, mußte das Ganze für die AnwohnerInnen als ein sinnloser Überfall erscheinen und sie dementsprechend verunsichern. Das Gefühl, "Ich bin der/die Nächste", dem/der die Bude abgefackelt wird, kann entstehen. Das ist sicher nicht das Gefühl, auf dem sich linksradikale Politik zu einer größeren Akzeptanz im Stadtteil transportieren läßt. Die Konsequenz kann also nur heißen: Wenn militante Aktion dieser Größenordnung, dann auch Vermittlung, weil sie sonst buchstäblich nur verpufft!

In diesem Zusammenhang möchte ich den HerausgeberInnen und KleberInnen des Plakates: "Die Würde der Menschen ist unantastbar - die der Profiteure nicht" sagen, daß ich dieses absolut gut finde. Für mich ist damit der Inhalt der Aktion voll auf den Punkt gebracht. Wunderbar! Zwar glaube ich nicht, daß Oma/Opa Müller/Meier das auch versteht... Aber wenigstens ein gelungener Versuch, die Vermittlung des Kaiser's Brandes im nachhinein doch noch zu versuchen.

Ich hoffe, meine Kritik ist solidarisch genug ausgefallen, und ihr fühlt euch nicht auf die Zehen getreten. Wenn ihr vorhabt, sowas nochmal zu machen, dann achtet auf die Details, und bleibt bei eurer brillanten Technik!

Und zum Schluß noch eine Bemerkung an die Interim: Ich fände es besser, wenn ihr wieder wöchentlich erscheinen würdet. Die Qualität der Zeitung steht und fällt mit ihrer Aktualität. Wenn ihr aus irgendwelchen Gründen z.Zt. nicht wöchentlich erscheinen könnt, dann schreibt doch bitte 'mal was zu den Gründen

Ein autonomer Anarchist

Mit solidarischen Grüßen an "Freies Fluten"

Feuer und Flamme für jeden Staat!

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