Her mit dem schönen Leben!

Konkreter Anlaß, diesen Text zu schreiben, war für uns ein Flugblatt mit dem Titel "PC oder Lust am Leben", das vor einiger Zeit im Haus Mainusch die Runde machte. Wir sehen darin nur ein weiteres Beispiel, wie eine Argumentation, die derzeit in viele gesellschaftliche (Herrschaft-) Diskurse eingebracht wird, auch vor "linken Zusammenhängen nicht halt macht. Wir halten es daher für notwendig, diesem Diskurs etwas entgegenzusetzen. Und das gerade, weil dieser unsrer Meinung nach in Zusammenhang mit dem in den letzten Jahren zu beobachtenden patriarchalen Rollback und einem gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck steht, den auch Teile der Linken anscheinend mitvollzogen haben bzw. mitvollziehen. Unser Text ist weniger ein Beitrag zu männlichen antipatriarchalen Theorie-bildung(1), als ein Versuch zu zeigen, daß gegen herrschende Verhältnisse - die sich zunehmender Legitimität "erfreuen" (immer noch) anders gedacht, geschrieben und gehandelt werden kann.

Der Begriff "PC" begegnet uns im allgemeinen als "Totschlagphrase", die dazu dient, emanzipatorische Politikvorstellungen als totalitär, dogmatisch, lustfeindlich, etc. zu stigmatisieren. Dabei ist es auffällig, daß "PC" begrifflich nicht konkret bestimmt wird. Die Unschärfe des Begriffs erlaubt pauschale Aussagen, Unterstellungen und Diffamierungen. Diejenigen, die "PC" als "Kampfbegriff" nutzen, legen sich damit nicht fest und können bei Kritik und Nachfragen jederzeit umdeuten, worauf sich die Bezeichnung eigentlich bezieht.(2) An dieser Stelle wollen wir darauf hinweisen, daß der "PC-Diskurs" in der BRD ursprünglich als eine Argumentationslinie auftauchte, die sich in der Neuen Rechten bzw. der sich gerade etablierenden deutschnationalen Rechten verorten läßt. (z.B. Anti-PC-Kampagne der "Jungen Freiheit ) Darauf werden wir später noch ausführlicher eingehen.

PC-Diskurs und neuer Antifeminismus

Wir sehen einen Zusammenhang zwischen dem PC-Diskurs und antifeministischen Positionen. Denn häufig richtet sich das "Argument" gegen ein Politikverständnis und politische Praxen, die auf eine Zerstörung patriarchaler Herrschaft gerichtet sind, also z.B. feministische Theoriebildung, Parteilichkeit mit Überlebenden sexueller Gewalt, Kampf gegen Zwangsheterosexualität und Kleinfamilienideologie. Gerade die Forderung von Frauen an Männer, sich mit ihrem eigenen Anteil an struktureller sexistischer Unterdrückung auseinanderzusetzen, wird mit häufig mit dem "PC"-Vorwurf abgebügelt.

In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff "Lustfeindlichkeit": Es kommt der Vorwurf, neue - diesmal linke - (sexual-) moralische Kategorien zu installieren, die vor allem Männern die Freiheit nehmen sollen, "lustvoll" und frei all das auszuleben was Mann gerade will. Das heißt also eben auch Sexismen frei ausleben zu können, ohne jegliche Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen. Hier wird die Gleichung: Feministische Forderungen = PC = Einschränkung individueller Rechte und Freiheiten aufgestellt. Dabei ignoriert eine solche Haltung (bewußt?) patriarchale Herrschaftsverhältnisse und reproduziert Männliche Macht- und Unterdrückungsmuster. Die Freiheit und die Lust, die hier verteidigt werden, ist die Freiheit von Männern, von Herrschaft profitieren zu können und ihre strukturell begründeten Privilegien "lustvoll" auszuleben. "Lust" schließt für uns in diesem Zusammenhang auch z.B. eine Lust an Herrschaft, Unterdrückung, Erniedrigung, Gewalt, ein.

Die LUSTfrage...

Vor diesem Hintergrund können wir nicht anders, als die pauschale Forderung nach "Lust am Leben" erst mal in Frage zu stellen. Wir sehen "Lust" in einem patriarchalen Kontext nicht als etwas Positives, Wertfreies. Vielmehr impliziert "Lust" in diesem Zusammenhang zunächst einmal Unterdrückung, zumal dieser Begriff männlich bestimmt ist. Oft dient der Verweis auf die (individuelle) "Lust" Männern als Legitimation für z.B. sexistische Anmache / Witze usw.. Sprüche wie z.B.: "Ich hatte da halt Lust drauf", "Mir war grad danach" blah, blah, sind Teile eines scheinbar unerschöpflichen Reservoirs von TYPischen Ausreden. Damit wird das patriarchale Unterdrückungsverhältnis ignoriert und das eigene Verhalten, losgelöst von dessen gesellschaftlicher Funktion dargestellt(3). Die männliche Freiheit, die Sau rauslassen zu können, kommt nun als Prinzip "Lust am Leben" daher. Kritik an männlichem Dominanzverhalten wird als "lustfeindlich" und wie auch sonst, dogmatisch-pc-knigge abgetan, wenn nicht ins Lächerliche gezogen. Damit machen Typen sich und ihr patriarchales Verhalten unangreifbar. Sie greifen damit auf ein "altbekanntes"- und bewährtes Muster zur Sicherung ihrer Privilegien zurück.

Da wir "Lust" nicht losgelöst von ihrem patriarchalen Kontext sehen können, kann für uns eine Forderung nach "lustvollem Leben" nur mit einer scharfen Kritik und Ablehnung von Dominanzstrukturen und Hierarchien verbunden sein. "Her mit dem schönen Leben" kann überhaupt nur dann eine emanzipatorische Forderung sein, wenn damit die Vorstellung von Herrschaftsfreiheit einhergeht, da sonst immer die Frage bleibt, wer hier schön lebt und auf wessen Kosten.

...und der Angriff gegen Männergewalt und Mackerstrukturen

Ein emanzipatorisches Politikverständnis (ganz grundsätzlich: der Kampf um eine umfassende gesellschaftliche Befreiung) beinhaltet für uns eine konsequente Ablehnung jeglicher Form von Unterdrückung, von Diskriminierung, von Herrschaft. Das Patriarchat sehen wir als ein grundsätzliches Unterdrückungsverhältnis. In diesem Sinne heißt das primär für uns als Männer bewußt zu versuchen männliche Privilegien, die wir (all-)täglich (re-)produzieren, zu hinterfragen und aufzugeben. Einen antipatriarchalen Anspruch zu vertreten, heißt für uns zunächst und zuallererst, uns und unser eigenes männlich-dominantes / sexistisches Verhalten vor allem für Frauen und auch für andere Männer angreifbar zu machen. Damit gehen wir gerade nicht davon aus, daß wir einen individuellen Weg hin zum wahren Antisexisten gefunden haben. Der ist in einer patriarchalen Gesellschaft schlicht unmöglich.

In diesem Zusammenhang steht auch erstmal die Feststellung, daß Grenzen für uns nicht horizontal, im Sinne einer Abgrenzung "guter Antisexisten" von "bösen Obersexisten" verlaufen, sondern vertikal, d.h. daß wir davon ausgehen, daß alle Männer in patriarchale Strukturen verstrickt sind. Die Konstruktion von "Obersexisten" ( oder wahlweise -Rassistlnnen ...) verschleiert, daß oft im alltäglichen Verhalten und "normalen" Verhältnissen (beispielsweise: Hetero- Zweier-beziehung, Familie) sexistische Unterdrückung stattfindet. Die eigene Verstricktheit in Unterdrückungsstrukturen wird heruntergespielt und/oder verleugnet. Und von bösen Oberschweinen kann mann sich mit gutem Gewissen abgrenzen, ohne sich selbst und die eigenen Mackerstrukturen in Frage stellen zu müssen

Herrschaftsstrukturen abzulehnen und - im Sinne einer Utopie befreiter Verhältnisse - überwinden zu wollen, bedeutet gerade auch Männergewalt und Mackerstrukturen als Ausdruck des patriarchalen Unterdrückungsverhältnisses anzugreifen. Uns wird (in oben genanntem Flugi) unterstellt, das Angreifen sexistischer Verhaltensweisen wäre ein Ausdruck von "Selektion (in den "eigenen" Reihen), Elitebewußtsein und Kaderdenken". Es ginge uns schlicht darum, "die politische und moralische Führung in der Szene" erlangen zu wollen.

Hier wird völlig ahistorisch und wenig reflektiert mit Begriffen wie Selektion und Kaderdenken um sich geschmissen - diejenigen, die tatsächlich "selektiert" wurden/werden, für die Selektion zur tödlichen Realität wurde/wird, werden von den Verfasserlnnen des Flugis für ihren plumpen Abwehrmechanismus instrumentalisiert.

Solche Gleichstellungen kotzen uns schlicht an.

Von dem Verständnis, antipatriarchale Positionen als Ausdruck "elitärer Machtpolitik" zu begreifen, ist es auch nur ein kurzer Schritt, z.B. die Definitionsmacht von Frauen in Frage zu stellen, darüber was sexuelle Gewalt, Sexismus, etc. ist. Im Sinne vermeintlicher "Freiheit" bestimmen dann wieder Männer, wo Grenzen zu ziehen sind, wo sexualisierte / sexuelle Gewalt beginnt. Die Verdrehung von Opfer/Täter ist damit perfekt, wo Männer sich als Opfer totalitärer Ideologien darstellen. Die Definitionsmacht bezüglich sexueller Gewalt, die von Frauen erkämpft wurde, wird wiederum völlig von ihren gesellschaftlichen, also patriarchalen Bedingungen losgelöst und zum Despotismus einiger Frauen über Männer erklärt. Die Normalität sexueller Gewalt wird geleugnet oder ausgeblendet und es wird "Objektivität" eingefordert. Daß diese Objektivität eine männliche ist, bleibt natürlich ebenso außen vor ("sich nicht so anstellen", "das is doch normal", "Kavaliersdelikte", etc.).

Diejenigen die hier die PC-Keule schwingen, stabilisieren nicht nur (bewußt) Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse, sondern gehen noch drüber hinaus, indem sie versuchen den Widerstand dagegen als elitäre Machtpolitik zu stigmatisieren. Es wird nicht mehr von der Realität einer Dominanzgesellschaft mit vielfachen Unterdrückungsmechanismen - also z.B. Patriarchat oder Rassismus - und den damit einhergehenden hegemonialen(4) Diskursen (Normalität!) ausgegangen, sondern davon, daß es erst die VerterInnen antipatriarchaler, antirassistischer etc. Politik sind, die Dominanz in die ach so tolle Welt einführen.

Uns geht es nicht um das Etablieren neuer Machtverhältnisse oder moralischer Dogmen, wie es durch Begriffe wie "Elitebewußtsein und Kaderdenken" suggeriert wird, sondern um das Bekämpfen des bereits VorHERRschenden.

Die Anti-PC%trategie der Neofaschistlnnen

Die Funktion der PC-Argumentation wird noch einmal besonders deutlich daran, daß dieser Begriff seine heutige Popularität in der BRD durch den gezielten Einsatz in bürgerlich-konservativen Medien wie der FAZ erhielt und von neofaschistischen Kreisen begeistert aufgegriffen wurde. Die Rechte hat nämlich gut erkannt, daß es sich hier um eine Gelegenheit handelt, emanzipatorische Politik zu diffamieren und die Positionen ihrer eigenen rassistischen, sexistischen, behindertenfeindlichen etc. Herrschaftsideologien zu stärken.

So hat - um Beispiele zu nennen - PC in zwei der erfolgreichsten neofaschistischen Projekte der letzten Jahre einen zentralen Stellenwert. In dem Sammelband 'Die selbstbewußte Nation' von Rainer Zitelmann - dem "Glaubensbekenntnis" der Neuen Rechten für die 90er - sind politisch Korrekte das Synonym für die politischen GegnerInnen schlechthin: Feministinnen, Antirassistinnen, Linke. Und die Wochenzeitung 'Junge Freiheit' hat 1996 eine Werbe- und Propagandakampagne mit Aufklebern und Plakaten durchgeführt, auf denen schlicht zu lesen war. political correctness nein danke, Junge Freiheit.

Die Absicht ist leicht zu durchschauen: Dem eigenen Klientel ist schon klar, wer die 'politisch Korrekten' sind und zudem versucht sich das rechte Schmierblatt in der Öffentlichkeit als modern und undogmatisch darzustellen. Sowohl die NeofaschistInnen, als auch die bürgerliche Presse konstruieren mittels PC eine angebliche Hegemonie linker Dogmen, gegen die sie sich selbst als progressiv abgrenzen, so daß herrschende Unterdrückungsverhältnisse entweder nicht thematisiert (also als gegeben akzeptiert) oder bewußt forciert werden.

... und die Linken?

Die Rechte hat es mit der Etablierung von "PC" als politischem Stigmawort und dessen Funktion, emanzipatorische Inhalte als totalitär und verbohrt zu diffamieren, soweit geschafft, daß dieser Begriff "... selbst in linksalternativen (oder vielleicht richtiger: vormals linksalternativen) Kontexten" (5) dazu dient, bestimmte linke Grundpositionen in Frage zu stellen oder auch anzugreifen (s.o.). Auch in linken Zusammenhängen finden sich Angriffe gegen vermeintliches "PC"-Verhalten: "Wenn heute in der Linken Argumentations- und Verhaltensmuster bestehen, die nicht mehr selbst hinterfragt werden, dann ist das ein Ergebnis der politisch korrekten Tabuisierung. Gegen so etwas zu polemisieren ist in Ordnung. [...) Was wir letztendlich kritisieren, ist die in der Linken stattgefundene, reduktionistische Verwendung von "p.c." als dogmatischer Verhaltenskodex, welcher nur noch zur Selbstbestätigung in den eigenen Lebenszusammenhängen dient."(6)

Die Kritik an solch einem Verhalten finden wir richtig. Allerdings haben wir auch hier massive Probleme mit der Verwendung des "PC"-Begriffs und den Zuschreibungen wie Tabuisierung oder dogmatischer Verhaltenskodex. Solche Begrifflichkeiten finden sich klar in Argumentationen der Rechten wieder (die sich im übrigen als TabubrecherInnen (7) in der Öffentlichkeit darstellen). Zudem ist "PC" in der BRD zunächst einmal eine Konstruktion der Rechten, um linke Politik zu diffamieren (s.o.). Deren "Kritik" an "PC" meint eben nicht nur vermeintlich "totalitäre und intolerante Geisteshaltungen", sondern überhaupt das Festhalten an bestimmten linken Grundpositionen. Wir finden es gefährlich, wenn selbst in linken Zusammenhängen eine Terminologie verwendet wird, die eher aus rechten Zirkeln stammt und die den common sense gegen feministische und antirassistische Positionen mobilisieren soll.

Außerdem war und ist "PC" in linken Zusammenhängen in der BRD niemals ein positiver Bezugsrahmen gewesen. Political Correctness ist ein Konstrukt des politischen Gegners. Klar haben wir auch Probleme mit sowas wie linker Nabelschau - das jedoch unter Bezugnahme auf PC abzubuchen, ist einfach zu polemisch und billig. Gerade solche Punkte werden schon ohne "PC"-Bezug seit Jahren bearbeitet und kritisiert. PC ist und bleibt für uns ein Stigmawort, das sich gegen emanzipatorische Politikvorstellungen richtet - unabhängig davon, wer es gebraucht. Natürlich kann es berechtigte Kritik an unhinterfragten, erstarrten linken Dogmen geben, wie z.B. seitens der Feministinnen am marxistischen Hauptwiderspruchsdenken oder seitens schwarzer Frauen an der weißen Frauenbewegung. Eine solche Kritik sollte aber differenziert und nicht pauschalisierend oder gar Unterdrückung leugnend sein.

Einige autonome Mainzelmänner

  1. (1)..., weil unsre Positionen bekannte sind, schreiben wir hier überhaupt nix Neues. Das ist auch hier nicht unser Anspruch.

  2. (2) Vgl.: Karsta Frank, "PC-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik", in: Das Argument, 213/1996
  3. (3) Die Funktionsexueller Gewalt - und dazu gehören auchwitze, sprüche, anmachen - ist die Aufrechterhaltung herrschender Unterdrückungsverhälnisse. Allein von daher kann sexistisches Verhalten weder individualisierend dargestellt, noch entschuldigt werden.
  4. (4) kurz: Hegemonie = Das (Vor-) Herrschende
  5. (5) Vgl.: Karsta Frank, "PC-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik", in: Das Argument, 213/1996
  6. (6)siehe: ARRANCA! Nr 12, 1997 S.69
  7. (7) das aktuelle Beispiel für einen Tabubrecher aus der rechten Ecke der SPD ist Gerhard Schröder mit seinen ultrarechten Forderungen zur Asylpolitik

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