"Vor so einem muß man sich unbedingt in Acht nehmen!"1 Männerkritische² Anmerkungen zu Geronimos "Glut & Asche"

"Diese Schrift soll das 'Politische' gegen als 'politisch' maskierte, rassistische, therapeutische, juristische, moralische und auch terroristische Diskurse verteidigen. Dabei werde ich die von 68 ausgehende Entgrenzung des Politischen reflektieren und zum Teil argumentativ zurechtrücken." Geronimo, 1997 (Glut&Asche, S.29)

"Man ist sich aber einig, daß nur eine Zurücknahme der 68 in Bewegung gesetzten Entwicklungen eine Rückkehr zur "Normalität" ermöglicht." Diedrich Diedrichsen 1996 über die Anti-PC-Liga (Politische Korrekturen, S.43)

Geronimo hat mit "Glut und Asche" den dritten Band zur Geschichte und Politik der "autonomen Bewegung" vorgelegt. "Herzstück" dieses Bandes ist das Kapitel "Autonomie-Konpeß und Eigensinn". Hatte er noch in "Feuer und Flamme" (1990) einen selbst-bewußten, unsicheren, vorsichtigen Umgang mit feministischer Theorie und Praxis, bemäkelt er in seinem neuen Buch selbst-sicher aus einer männlich-verletzten Opferhaltung das "Zuweitgehen" bestimmter Feministinnen und deren männlichen "Trittbrettfahrern". Den Autonomie-Kongreß beschreibt er anfangs mit einer arroganten "Berlin = Nabel-der-Welt"-Sichtweise (wenn wir in Kreuzberg Probleme mit der 1.Mai-Demo haben, hat die autonome Szene einen bundesweiten Kongreß nötig), um im weiteren den Autonomie-Kongreß nur noch aus dem Blickwinkel seiner Verletzung zu schildern. Als Geronimo auf dem Abschluß-Plenum ein Statement gegen "Benimmregeln" halten wollte, wurde ihm von einer Frau das Mikrofon entwendet. Klar verletzt das, aber Geronimo ist in seinem neuen Buch auch nicht gerade zimperlich:

  1. Politische Kommunen sind für ihn nicht mehr auf der Höhe der Zeit und mit ihrem "regressiven Gemeinschaftsverständnis" sogar eine Gefahr für den emanzipatorischen Prozeß (S.273f.);
  2. er findet es "bemerkenswert", daß auf dem Autonomie-Kongreß eine AG "Männer-Radikale-Therapie" stattfinden durfte (S.242), die dann auch noch "zumeist dilettantisch" betrieben wird (S.182);
  3. er konstatiert einen "Bankrott der feministischen Kritik", weil die Frauen unfähig waren, das "gesamte Männergruppen-Mann-Konzept" zu stoppen "die vermeintlichen Bundesgenossen der mit guten Absichten maskierten Männergruppen-Männer sind ein Bumerang im antipatriarchalen Kampf..."; (S.163f)
  4. das gleiche gilt auch für Frauengruppen, die sich aus politischen Gründen zusammenfinden, welche über eine "absolut vorübergehende Notwehrorganisierung" hinausgehen (S.164 ). Diese Zitate ließen sich seitenweise ergänzen.

Ich werde mich in diesem Artikel nicht allein mit den Inhalten von "Glut&Asche" auseinandersetzen, sondern versuche auch Geronimos Anti-Feminismus als gesellschaftliches Phänomen der späten 90er Jahre zu verorten. Damit meine ich nicht, daß autonome / anarchistische Männer heute sexistischer sind als vor 5 oder 10 Jahren. Der Unterschied ist, daß heute anarchistische / autonome Männer auf den antifeministischen Backlash im allgemeinen und auf die Wild-men-Bewegung und die Anti-PC-Liga im besonderen zurückgreifen können. Die hegemoniale Männlichkeit ist in Bewegung geraten, sie modernisiert sich mit einem scheinbar anti-totalitären Anti-Korrektheits-Panzer. Sie konstruiert dabei einen neuen Popanz: der oder die machtgierige, doppelmoralisierende SpießerIn. Es sind jedoch weniger die wenig überzeugenden oder gar neuen Argumente, als vielmehr die Selhstsicherheit, mit der sich Geronimo & Co. breitbeinig postieren und befehlen, daß jetzt Schluß ist mit "privat ist politisch". Geronimo und die Geschichte der Autonomen "Zur Technik der Macht gehört (...) auch die Dethematisierung von Fragen und Konfliktlinien..." Geronimo, Glut&Asche, S.162

Bekanntgeworden ist Geronimo durch das 1990 herausgekommene Buch "Feuer & Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen". Er schrieb damals selbstkritisch: "Wieso erfolgt die Geschichtsschreibung über die Autonomen nicht gleich konsequent und vollständig von einem antipatriarchalischen Standpunkt aus? Das würde z.B. bedeuten, so gut wie alle für den Text benutzten Quellen in jeder Faser als zutiefst patriarchalisch anzusehen... Inmitten von hilflosen Versuchen sich einer Auseinandersetzung stellen zu wollen, die Männer radikal in Frage stellt und trotzdem notwendig ist .. bleibt die klammheimliche Verärgerung darüber, daß sich dieses Kapitel (über die autonome Frauenbewegung) nicht in den Griff bekommen läßt."(F&F, S.156f.) Es ist zwar möglich, die Geschichte einer bestimmten Bewegung zu schreiben, doch sollte klar sein, daß diese Darstellung nur ein Ausschnitt ist, in der geschichtlichen Abstraktion abgeschnitten von anderen Bewegungen, die unmittelbar mit dieser verheddert sind: Frauen-, Lesben-, Schwulenbewegung und auch die Männergruppenszene. Dies schien Geronimo in (F&F,203) noch bewußt zu sein: Der antipatriarchale "...Anspruch gilt natürlich auch für den gesamten Text dieses Buches, der in keinster Weise antipatriachal durchdacht, entwickelt und formuliert worden ist." (F&F,203) Und er gibt zu: "In der Frage des Patriarchats ist der Autor an die Grenzen seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit gelangt." (F&F,202) In den letzten sieben Jahren hätte er versuchen können seine Erkenntnisfähigkeit zu erweitern, das Buch nocheinmal durchzusehen mit antipatriarchalem Blick. Z.B. hätte Geronimo dann erkennen können, daß in den 70ern bei den Spontis die "Betroffenheitsideologie verbunden mit Tendenzen zu einer neuer Innerlichkeit", welche zu "resignativen Rückzügen in Wohngemeinschaften" und Therapiegruppen führte, auch der Ort in der BRD war, wo die Schwulen- und die Männerbewegung entstand. Was dann natürlich sofort die Fragen aufwerfen würde:

  1. Was ist passiert, wieso haben sich diese Bewegungen soweit auseinanderentwickelt,
  2. wie wurde die autonome Szene von feministischen Diskussionen und Kampagnen beeinflußt, was wurde aufgenommen, was nicht;
  3. weshalb taucht das Wort Anarchismus z.B. nicht im 500seitigen "Handbuch Männerarbeit" auf, wo diese doch in der BRD zuerst von Spontis und Graswurzlern praktiziert wurde?

Gleichzeitig würde ein antipatriarchaler Blick die Differenzen zwischen den herrschaftsfeindlichen Gruppen auf ein Minimum reduzieren und die Gemeinsamkeit der Auseinandersetzung mit Sexismus hervorheben. Wer heute noch großartig zwischen Anarchistlnnen, Autonomen und Graswurzlerlnnen differenziert macht vor allem eins: Dethematisierung der tatsächlichen patriarchalen Widersprüche. Geronimo scheint seine geschichtliche Konstruktion nicht mehr materialistisch als zu überarbeitende Ausgangsthese zu sehen, sondern inzwischen idealisierend an eine eigenständige, sich aus sich selbst zeugenden autonomen Szene zu glauben. In "Glut & Asche" betreibt Geronimo Verschleierung. Nur einmal werden die "Libertären Tage 93" erwähnt. Ich hatte den Eindruck, daß für die meisten Anwesenden 93 in Frankfurt diese Trennung zwischen Autonomen und Anarchistlnnen nicht nachvollziehbar war und eher als berliner oder frankfurter Szeneknatsch begriffen wurde. Für Provinzrevolutionärlnnen wie mich kann es solche Berührungsängste nicht geben, das wäre Metropolenluxus. Konflikte ergeben sich früh genug und die verliefen bisher - zumindest hier in der Provinz - immer zwischen feministischen und antifeministischen Positionen. So war dann auch klar, daß der große Knatsch während der Libertären Tage Sexismus zum Inhalt hatte. Ich habe die Libertären Tage mit dem Gefühl verlassen, daß auf absehbare Zeit, solange zumindest wir "herrschaftskritischen" Männer keinen erträglicheren Umgang mit Sexismus finden, kein gemischter (d.h, mit Frauen und Männern) Kongreß mehr möglich sein kann.

Dethematisierung von Sexismus

Der Geschichtsschreiber Geronimo erwähnt mit keinem Wort, daß es Interviews mit FrauenLeshen in Gießen, Hamburg und Freiburg zum Thema "Sexualität und Herrschaft" gegeben hat. Die Veröffentlichungen der Erfahrungen von FrauenLesben mit Männern im Bett und in der Beziehung haben quer durch die BRD für Verunsicherungen unter Männern geführt. Spätestens nach dem Autonomie-Kongreß war davon allerdings nichts mehr zu spüren. Bei Geronimo schon gar nicht: Vergewaltigungen in der Szene? Naja, es gab da mal eine "Reihe von Vergewaltigungsskandalen", "öffentlich behauptete Verbrechen" (S.157), damals in den 80ern. "Faschisten im Bett?", ja, damals in den 70ern vielleicht - und in Italien, nicht hier... Ebenfalls unerwähnt bleibt der "Mißbrauch mit dem Mißbrauch"-Kongreß Januar 94 in Berlin und überhaupt der gesamte Backlash im Bereich der Ächtung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Unterstützung für Überlebende (Wiglaf Droste, Mariam Niroumand (taz), ZEGG-Dsikussion). Vom Backlash in einem anderen Bereich, dem der "Männerbewegung" scheint Geronimo schon mal etwas gehört zu haben: völlig verquer wirft er den Männergruppen vor, daß sie sich ausschließlich aus "biologischen Männern" zusammensetzen (S.158). Deshalb ist angeblich die antifeministische "Wild men"-Bewegung entstanden (S.240). Nur in diesem Zusammenhang erwähnt er den Maskulinisten John Bellicchi: kein Wort davon, wer die Bellicchi-Veranstaltungen verhindert hat und auch ein Zusammenhang zwischen Bellicchi, ZEGG und der gesamten Anti-PC-Liga wird dethematisiert. Auf die "Sexualitäts-Debatte", ausgelöst durch eine "Arranca-Sondernummer", und die Diskussionen über diese Debatte wird mit keinem Wort hingewiesen. Geronimo geht auf Diskussionen um Sexismus und Patriarchat in der autonomen Szene sehr abstrakt ein; dabei bedient er sich aus dem Wortschatz des "dekonstruktiven Feminismus": er sieht sich selbst als "gesellschaftlich konstruierten Mann" und warnt vor einer Re-Biologisierung der Geschlechter. Daß dies bei ihm mehr als Phrasen sind, die er irgendwo aufgeschnappt hat, kann ich kaum glauben: Denn Geronimo warnt nur taktisch vor Biologisierung, tatsächlich gibt es in seiner Utopie noch Frauen und Männer in gegenseitiger Abhängigkeit: in einer befreiten Gesellschaft sollen "weder die Frauen von den Männern noch die Männer von Frauen" verlassen sein (S.168). Der Unterschied zwischen Frauen und Männern soll in Geronimos Utopie also derart fortbestehen, daß sie sich unterschiedliches zu geben haben. Meinetwegen kann Geronimo an dieser romantischen Idee festhalten, aber er soll dann aufhören uns "Männergruppen-Männern" Re-biologisierung vorzuwerfen (als wären wir außerhalb der Männergruppen schon "ent-biologisiert" oder irgendwie anders keine Männer, potentielle Vergewaltiger mehr). In diesem Zusammenhang finde ich die von Geronimo vorgeschlagene Ersetzung anti-sexistischer Theorie und Praxis durch "Liebe" gruselig.

Zum Politikverständnis Geronimos

Verschiedene Lesarten des Satzes "Das Private ist politisch!" "Ich habe zu viele Tragödien in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern erlebt, zu viele gebrochene Körper und verkrüppelte Seelen gesehen, die auf die sexuelle Versklavung der Frau zurückzuführen sind. als das ich in diesem Punkt meine riefe Empörung über das Verhalten der meisten von Euch Herren unterdrücken könnte." Emma Goldmann an Max Nettlau. 8. 2. 1935

"Bei allen Erscheinungsformen von Anti-PC scheint es ... darum zu gehen, Öffentlichkeit zurückzudrängen, Privatisierungen in jedem Sinne zu unterstützen. Von Kampf gegen die öffentliche Förderung von Kunst und Geisteswissenschaften in den USA bis zu den bekannten Klagen des Zuweitgehens von Feministinnen beim Regelnwollen des doch Privaten (Sex und Mißbrauch)..." Diedrich Diedrichsen, 1996 (Politische Korrekturen, S.17)

Unter dem Kapitel "Ist das Private immer noch politisch?" überprüft Geronimo die Aktualität dieses Satzes aus der Frauenbewegung. Er stellt fest, daß der Satz unterschiedlich interpretierbar sei. Es handele sich bei diesem Satz nicht nur um eine Kritik an bisherige Formen der Politik, sondern auch um eine Ausweitung des Politischen selbst auf das, was bisher als Privat galt. Diese Parole werde von Frauen gegen die ausschließlich von Männern gemachte Politik aufgestellt, in der Fragen nach Kindererziehung und Kinderläden keine Rolle spielen. Mitsamt diesen Fragen waren die Frauen in die Privatheit abgedrängt.(G&A, S.178) Doch schon die Aufteilung der unbezahlten Repro-Arbeit bzw. die Abwä1zung dieser Arbeit auf die Frauen und ihr damit einhergehender Ausschluß aus dem öffentlichen Raum sei politisch. (S.179) Daraus schließt dann Geronimo: "Insofern stritt diese Parole zu jenem Zeitpunkt nicht unbedingt für einen politischen Zugriff auf die Intimssphäre". (S.179) Nachdem Geronimo so lediglich das Politische auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erweitert sehen will, widmet er sich einer weiteren Interpretation des Satzes; "Schließlich enthält der "das Private ist politisch"-Gedanke die faszinierende Vision einer revolutionären Einheit von Leben, Politik, Theorie, Kultur, Alltag und Handeln-Können." (S.179) Diese Idee umschreibt er mit "Glaubwürdigkeit". Doch als "eine kritisch verstandene "politische Kategorie" ist dieser Begriff völlig untauglich" (S.180) Ein bißchen Übereinstimmung. zwischen Anspruch und Alltag ist für ihn noch o.k., aber bei einer Überinterpretation sieht er "totalitäre Tendenzen" (S.180) Seine subjektive Betrachtungsweise ist die, daß die Parole ".. im Verlauf der 80er Jahre von "Linken" und Feministinnen in einer Weise interpretiert wurde, in der die Praxis eines dauernden Kontrollblicks auf individuell privates Verhalten organisiert werden konnte." Danach folgt auf Seite 181 der Abschied von "Das Private ist politisch", die Forderung, nein der Befehl, nicht öffentlich Sexualität zu thematisieren und die Warnung "vor so einem" (!), der das Private öffentlich machen will.

Geronimos Reduktion des Politischen auf Kitas und Voküs ist absurd. Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird nicht nur durch zugeschriebene Verantwortung für Kinder und Hausarbeit eingeschränkt. Susan Brownmiller und Andrea Dworkin haben den politischen Charakter von Vergewaltigung und Pornographie herausgearheitet. Der Satz "Das Private ist politisch!" wurde an einem Punkt präzisiert: "Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger!" Foucault hat herausgearbeitet, daß es keine natürliche, d.h. unpolitische Sexualität gibt. Die 'FrauenLesben-Interviews zu Sexualität und Herrschaft" haben das noch einmal deutlich gemacht. Genau wie die Toleranz ist auch die Privatisierung ein Privileg der HERRschenden: Von einer Freundin, die gerade eine Diplomarbeit zu Emma Goldmann schreibt, habe ich das obige Zitat übernommen, welches zeigt, daß die Depolitisierung der Sexualität zum Programm vieler "herrschaftskritischer" Männer gehörte und immer noch gehört.

Geronimo macht sich zum intellektuellen Kämpfer der Anti-PC-Liga in der autonomen Szene. Seine Sprache auf Seite 181 ist paranoid: er erteilt Befehle und warnt uns (und unsere heile Privatwelt) "vor so einem", vor dem anderen... Und was macht man mit "so einem", der unsere Befehle nicht hören will? "So einer" wird schon merken, was es heißt, unsere Männlichkeit anzugreifen ?

Streitkultur - Grenzen - Verletzungen

Zunächst: als Heterosexueller hat mann die Möglichkeit, mit seiner Sexualität zu prahlen, sie in Form eines Schnodder-Gedichts dem social beat-Publikum vorzustellen oder darüber zu schweigen. Von mir jedenfalls ist noch nie verlangt worden in aller Öffentlichkeit meine sexuellen Praktiken und Phantasien kund zu tun. Es ist eines von vielen Privilegien, daß wir Männer der hegemonialen Art über Sexualität sprechen, wie, wo und wann es uns paßt: einE Priesterin, welche uns zwingen will, über unsere Sexualität zu reden; einE Spießerln, welcheR nicht bereit ist, unsere Sexualitätsphantasien zu hören.

Bei Überlebenden von sexualisierter Gewalt sind ambivalenterweise viel stärkere Scham- und Schuldgefühle da und die Notwendigkeit aus Heilungs- und politischen Gründen, darüber in einer bestimmten Öffentlichkeit zu reden. Dennoch sieht die Öffentlichkeit gerade auch in der autonomen Szene so aus, daß jede Frau, die eine Vergewaltigung benennt, angegriffen und verletzt wird. Wir sitzen uns in der autonomen Szene nicht als geschichtslose Menschen gegenüber: jedes dritte Mädchen und jeder siebte Junge durchlebt in dieser Gesellschaft sexualisierte Gewalt. Neben diesen traumatisierenden Grenzverletzungen kennen die meisten von uns auch die alltäglicheren, wie z.B die Invasionen von Jungen in die Spielterritorien von Mädchen in der Grundschulzeit: das Mädchen-Ärgern wird zwar nur von einer kleinen Zahl von Jungen ausgeübt, dennoch hat es eine eindeutig statistisch nachgewiesene geschlechtsspezifische Richtung. Die meisten unter uns haben patriarchal bedingte Schwierigkeiten, Grenzen so zu setzen, daß es uns gut tut. Wo ich Grenzen setze und wo ich mich auf etwas einlasse, etwas zulasse, ist quasi die Frage nach der Autonomie. Dies gilt individuell und sozial: "wir" können auch im Konsens entscheiden, wo "wir" gemeinsam Grenzen setzen. Dabei ist auch das Konsens-Prinzip vorsichtig zu handhaben, denn: Es existieren unterschiedliche Bedingungen, nicht nur zwischen Frauen und Männern sondern auch zwischen Frauen und zwischen Männern. Dies heißt aber nicht, daß "es damit doch immer und überall unterschiedliche Bedingungen " und somit "...nirgendwo mehr unterschiedliche Bedingungen" (S.151) gibt. Der Begriff "unterschiedliche Bedingung" zielt auf ein Herrschaftsverhältnis und nicht auf beliebige Unterschiedlichkeit. Für unsere patriarchale Gesellschaft sieht Bob Connell auch unter Männern unterschiedliche Bedingungen: neben der hegemonialen existieren noch untergeordnete, marginalisierte und komplizenhafte Männlichkeiten. Dennoch unterstreicht er, daß allen Männern gemein ist, daß sie von der "patriarchalen Dividende" profitieren. Für Auseinandersetzungen ist es wichtig, die unterschiedlichen Bedingungen zu klären. daß dies schwierig ist, weiß ich, das heißt aber nicht, daß es keine unterschiedlichen Bedingungen gibt.

Geronimos Streit-BegrifT sieht folgendermaßen aus: "Die in einem Streit benutzten Argumente werden ungeordnet ins Feld geführt, zum Teil zusammen mit den Positionen gewechselt wie das Unterhemd; man läßt sein Gegenüber nicht ausreden und plaziert seine "Argumente" zuweilen dicht an oder eher unter der Gürtellinie Kurz: Ein richtiger Streit ist fies und gemein." Dies ist nicht Geronimos Bestandaufnahme, sondern sein Konzept. Streitkultur lehnt er ab. Wenn ich zu seinen Gunsten annehme, daß er das Bild "unter der Gürtellinie" auf den Boxsport bezieht und nicht sexualisierte Verletzungen fordert, so zeigt die von Geronimo nicht wahrgenommene Zweideutigkeit dieses Bildes, wohin die von ihm geforderte Unvorsichtigkeit führt. Daß es wie im Krieg auch bei inhaltlichen Auseinandersetzungen unter Linken eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gibt, in denen zumeist Frauen versuchen, die Verletzungen zu begrenzen - denn sie sind es, die als unbezahlte Therapeutinnen die Verletzungen aufzuarbeiten haben -, vermag Geronimo scheinbar genausowenig zu sehen, wie die Gründe für den Rückzug von Frauen aus der Barbarei männlich-dominierten Streitverhaltens.

"Gewalt und Herrschaft gegenüber Frauen angehen!"'

Geronimos Ignoranz gegenüber Anarchistlnnen ( Graswurzlerlnnen und Horst Stowassers ("Freiheit pur") populistische Abwertung der Autonomen als unverständliche Sektiererlnnen erzeugt in mir das Bild von zwei vordergründig verfeindeten Generälen, die das gleiche Ziel verfolgen: durch Aufwertung der Unterschiedlichkeit der verschiedenen herrschaftsfeindlichen Szenen deren gemeinsame, in den Szenen verlaufende Kontfliktlinie, nämlich Sexismus, zu dethematisieren. Die letzten 15 Jahre haben sehr deutlich gemacht, daß herrschaftsfeindliche Gruppen sich als autonome, anarchistische oder gewaltfreie gründen, aber sich ganz anders formiert, nämlich anhand der Konfliktlinie "Umgang mit Sexismus", spalten.

Daß sowohl bei den "Libertären Tagen 93" als auch beim "Autonomie-Kongreß 95" die Patriarchats-Debatte - ungeplant - im Mittelpunkt stand, war abzusehen. Da der Autonomie-Kongreß sich aber nicht als Fortsetzung der Libertären Tage sehen durfte, durften auch die hier gemachten Erfahrungen mit Sexismus nicht offiziell genutzt werden. Spannend ist die Frage, ob auch der Graswurzel-Kongreß im Oktober 97 die Sexismus-Diskussionen (z B. ums Männer-Café und Männerschutzräume) während des Autonomie-Kongresses nicht sehen darf. Die Gewalt-Diskussionen zwischen GraswurzlerInnen und Autonomen nach dem Castor-Transport im Frühjahr 97 sind ein weiteres Beispiel für die Dethematisierung von Sexismus. Zur Vergewaltigung im Wendland während der Castor-Blockade 97 stellt die Graswurzel-Revolution fest: "Die allgemeine Nichtauseinandersetzung dokumentiert sich quer und unterschiedslos sowohl im gewaltfreien wie im autonomen Spektrum. Nahezu alle 'Erlebnisberichte' und Erzählungen von den Aktionstagen sparen die Vergewaltigung aus. Die nachfolgende Frühjahrskonferenz der Anti-AKW-Bewegend hatte zwar eine Arbeitsgruppe zur Gewaltfrage, nicht aber zur Vergewaltigung und Sexismus." (Vergewaltigung und Anti-Castor-Bewegung, gwr Sept. 97). Es ist beschämend, wieviel Raum jenem "Gewaltfrage"-Konflikt in der "gwr" und der "interim" aber auch in den Anti-AKW-Zeitungen gegeben wird: die Erklärung von Trebel verkommt so zu einer Gedenkminute.

"Für jeden Mann muß es selbstverständlich sein, seine Rolle gegenüber Frauen im Alltag zu hinterfragen und öffentlich zu diskutieren... es dürfen die alltäglichen Männerschweinereien nicht sorgsam ausgeblendet werden..." Geronimo, 1990 (Feuer und Flamme, S.203)

Anm.: l) Geronimo, Glut&Asche, S. ISI
2) Den Artikel habe ich aus einer männerkritrschen Perspektive geschrieben, nicht aus feministischer Sicht. Auch wenn ich (als Mann) versuche profeministisch männerkritisch zu sein und dem gerecht werden sollte, bleibt das Problem, daß Männer im Mittelpunkt stehen. Spätestens im autonomen / anarchisitschen Alltag zeigt sich, daß Männerkritik antifeministisch sein kann, wenn nach Vergewaltigungen in der Szene nicht die Unterstützung der Frau, die die Vergewaltigung benannt hat, im Mittelpunkt steht, sondern die "Umgang mit dem Vergewaltiger"-Diskussion.
3) Aus der "Erklärung von Trebel" vom 12.4.97, dem bundesweiten Anti-Castor-Delegiertentreffen~ zum Selbstmord einer Frau, die während der Aktionstage NIX³ vergewaltigt worden ist. Schwarze Feder

Geronimo, Glut & Asche. Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung

Juni 1997, Unrast-Verlag Münster, 24,80 DM

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