Siemens abschalten!

Siemens begeht dieses Jahr sein 150jähriges Bestehen. Aus diesem Anlaß findet am 11./12. Oktober eine Führungskräftetagung von Siemens sowie ein feierliches Bankett im ICC in Berlin statt. Diese Party wird nicht so steigen können, wie sie das gerne hätten...

Die Feierlichkeiten rund um das 150jährige Bestehen sind begleitet von verschiedensten Gegenveranstaltungen, die verhindern wollen, daß Siemens seine Firmengeschichte mit aller Ruhe und dreister Gelassenheit "schönfeiern" kann. Ein Teil davon ist die Anti-SIEMENS-Demo mit bundesweiter Mobilisierung am 11. Oktober in Berlin.

Bereits im Februar sind mehrere tausend Leute gegen Siemens auf die Straße gegangen, Diese Demonstration soll daran anschließen und ein Zeichen dafür sein, daß es uns mit dem kontinuierlichen Kampf gegen Siemens ernst ist. Dieser Konzern verkörpert anschaulich die ganze Scheiße, die uns umgibt.

Siemens war von Anfang an maßgeblich am Aufbau des Atomprogramms der BRD beteiligt, alle AKW's hierzulande wurden vom 100%igen Tochterunternehmen KWU entwickelt und gebaut. Auch heute ist Siemens ein zentraler Spieler im atomaren Poker um Macht und Geld. Seit Bestehen der Anti-Atom-Bewegung wird Siemens als AKW-Produzent thematisiert - Siemens steht jedoch für weitaus mehr,

Der Geist in der Maschine

Mit Siemens als führendes Unternehmen im nuklearen Geschäft greifen wir ein Technologieverständnis an, mit dem im blindem Glauben an die Allmacht des technischen Fortschritts der Betrieb von Großindustrien zu rechtfertigen versucht wird, die das Leben von Menschen dem Profit opfern und die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zerstören. Wir wehren uns gegen technischen Machbarkeitswahn und den linearen Entwicklungsbegriff von Zivilisation, der ihm zugrunde liegt. Dieser suggeriert den Menschen u.a., daß die stets komplexer werdenden Probleme einzig von Experten gelöst werden können und eines Tages auch werden; mensch müsse nur auf sie vertrauen. Kurz: Ohnmacht sei Sachzwang, Siemens steht auch für die Konsumgesellschaft, in der Bedürfnisse künstlich geschaffen werden. Lohnarbeit muß geleistet werden, um diese Dinge herzustellen und erwerben zu können. Ohne endgültig bestimmen zu wollen, welche Bedürfnisse nun "echt" sind und welche nicht, wenden wir uns gegen die Ersatzbefriedigung der Warenwelt und einen Kulturbegriff, der existierende Unterdrückungsverhältnisse verschleiert und befördert; der Menschen nach ihrer Verwertbarkeit im kapitalistischen System klassifiziert, Die Konzernleitung war sich über diese Mechanismen durchaus im klaren. Bereits 1865 stellte Werner von Siemens fest: "Der bedürfnislose Mensch ist jeder Kulturentwicklung feindlich; erst wenn Bedürfnisse in ihm erweckt sind und er an Arbeit für ihre Befriedigung gewöhnt ist, bildet er ein dankbares Objekt" z.B. für elektrische Dosenöffner... In diesem Sinne kann es nicht darum gehen, Siemens als DEN Schweinekonzern anzugreifen - Angriffspunkt ist das dahinterstehende Prinzip. Nicht die Maschine, sondern das Denken, das die Maschine hervorbringt müssen wir angehen.

Siemens und die Rechten

Die Führung des Hauses Siemens war zu jeder Zeit eng mit dem jeweils herrschenden System verbunden und wirkte im Interesse der Profitmaximierung gestaltend an dessen politischen Zielen mit. Anfang der 30er Jahre unterstützte Siemens die Nazis mit großzügigen Spenden, Mitglieder des Firmenvorstandes waren im "Freundeskreis der NSDAP" aktiv. Als die Machtübergabe an die Nazis in greifbare Nähe rückte, gab der Konzern seine bislang eher abwartende Haltung auf und stellte sich klar auf deren Seite. Mit Beginn der Hochrüstung 1933/34 stand Siemens in führender Position. Seit 1940 mußten jüdische Zwangsarbeiterinnen in den Siemens-Werken schuften, 1942 ließ Siemens beim Frauen-KZ Ravensbrück ein eigenes Werk errichten. Nach wie vor verweigert der Konzern ein Schuldeingeständnis und materielle Entschädigung der Opfer. Die aktive Rolle von Firmen wie Siemens zu benennen, deren heutige Macht und Größe zu einem nicht unwesentlichen Teil auf der Vernichtung von Menschen durch Arbeit sowie der Kriegstreiberei im Faschismus beruht, ist keinesfalls Schnee von gestern in einer Zeit, in der GeschichtsrevisionistInnen "die Deutschen" zu den eigentlichen Opfern umdeuten und eine breite Öffentlichkeit gerne bereit ist, darauf einzusteigen oder zumindest so zu tun, als sei heute alles ganz anders.

Dabei kann auch bei Siemens von einem ideologischen Bruch keine Rede sein. Die 1958 gegründete, nach dem Familienmitglied, das dem Konzern während des NS vorstand, benannte Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung, ist eine rechte Denkfabrik, die sich um eine Modernisierung faschistischen Gedankenguts bemüht. Inhaltlich geprägt wurde die Stiftung von Armin Mohler, einem zentralen Theoritiker der sogenannten "Neuen Rechten".

Der militärisch-industrielle Komplex

Auch als Rüstungskonzern hat Siemens Tradition. 1848 stellte Werner Siemens die ersten unterseeischen Minen mit elektrischer Zündung her, aus beiden Weltkriegen ging der Konzern gestärkt hervor. Heute gehört Siemens zu den weltweit größten Lieferanten für Waffenelektronik und ist z.B. zusammen mit der Daimler-Tochter DASA an Entwicklung und Bau der neuen NATO-Flugabwehrrakete MEADS beteiligt, die ab dem Jahre 2005 zum Einsatz kommen soll. Siemens ist federführend beim Bau des FRM II Reaktors in Garching bei München. Dieser Farschungsreaktor wird mit hochangereichertem Uran (HEU) betrieben und ermöglicht der BRD den Bau von Atomwaffen. Plutonium lagert schon lange in Hanau und entsteht bei der "Wiederaufarbeitung" stets aufs Neue, Trägersysteme wurden und werden beständig weiterentwickelt und technisches Know-how ist durch Atomforschung und Reaktorbetrieb zur Genüge vorhanden; die Trennung von "ziviler" und militärischer Nutzung ist technisch unmöglich und politisch nichts als Augenwischerei. Die Bombe rückt in greifbare Nähe. Angesichts bevorstehender Kampfeinsätze der Bundeswehr, dem Drängen der BRD nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat, nach Stärkung der WEU als militärischem Standbein Europas, "Schnellen Eingreiftruppen" usw. wird klar, wohin die Reise geht: Die BRD will auch militärisch wieder Weltmacht werden, sich Rohstoffe und Märkte in aller Welt künftig auf eigene Faust sichern. Siemens als Schlüsselfigur des Atomprogramms anzugreifen ist Teil eines Kampfes gegen Militarismus und das imperialistische Großmachtstreben der BRD.

"Lex Siemens"

Die am 16.Juli vom Bundestag verabschiedete Novelle des Atomgesetzes läßt erneut den politischen Gestaltungswillen des Konzerns erkennen. Nicht nur, daß das noch nach DDR-Recht genehmigte Endlager Morsleben (dessen höhere Grenzwerte eines der wenigen Relikte des sonst so verteufelten "Unrechts-staats auf deutschem Boden' sind) zur Freude der bundesdeutschen Energiekonzerne noch über das Jahr 2000 in Betrieb bleiben kann und eine Privatisierung des Endlagerbetriebs vorgesehen ist - die weiteren Änderungen erweisen sich darüber hinaus als maßgeschneidert für den Siemens-Konzern: Zusammen mit der französischen Framatome hat Siemens die "neue Generation" von EPR-Reaktoren entwickelt, die in Viereth bei Bamberg und Greifswald entstehen sollen. Gerade recht kommt da die neue Möglichkeit des standortunabhängigen Genehmigungsverfahrens unter Ausschluß der Öffentlichkeit, auf daß teure und langfristige Gerichtsverfahren der nuklearen Expansion nicht länger im Wege stehen. Nachbesserungen an bereits bestehenden Anlagen müssen zudem gar nicht mehr genehmigt werden und müssen ausdrücklich nicht mehr dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Das einzige in diesem Bereich tätige Unternehmen ist der Siemens-Konzern.

Die Rennaissance der Atomenergie in der BRD

Daß der Konzern genau darauf hinaus will, zeigt auch der von Siemens entwickelte Fusionsforschungsreaktor "Wendelstein 7X", dessen Grundstein im Juni diesen Jahres in Greifswald gelegt wurde. Dies ist der erste Reaktorneubau seit Tscher-nobyl. Zusammen mit den dort geplanten EPR-Reaktoren und dem Zwischenlager Nord bei Lubmin bildet die Region das Herzstück der neuerlichen Offensive der Atomstrategen.

Und die Pläne reichen weiter: Durch die Fertigstellung des slowakischen AKW Mochovce erhofft sich Siemens den Einstieg in die Aufrüstung von 40 weiteren maroden Atomkraftwerken in Mittel- und Osteuropa. Mochovce soll für Siemens die Tür zu diesem Markt öffnen. Der Weiterbetrieb dieser Reaktoren wäre damit auf Jahre gesichert. Perfiderweise werden gerade die Ängste vor einem zweiten Tschernobyl benutzt, um einen Ausstieg aus der Atomenergie zu verhindern.

Auf ideologischer Ebene macht sich die Atomlobby zunehmend das Argument des Klimaschutzes zu eigen. Atomenergie wird als 'saubere" Sache hingestellt, Weder wird dabei auf den Jahrtausende strahlenden Müll noch auf die Verseuchungen eingegangen, die an jeder Stelle der nuklearen Kette vom Uranabbau bis zur Lagerung des Atommülls bereits heute Krankheit und Tod verursachen.

Nicht erwähnt wird die rassistische Kolonialpolitik in den Uranabbaugebieten, wo den zumeist indigenen Menschen keinerlei Mitspracherecht an der Ausbeutung der Uranvor-kommen eingeräumt wird (die BRD ist zu 100% auf Importe angewiesen, deutsche Firmen betreiben zahlreiche Minen in aller Welt), Nicht erwähnt wird, daß Siemens in Nigeria ebenso mit der Regierungsclique kooperiert wie Shell oder daß der Konzern in China am Bau des 3-Schluchten-Staudamms beteiligt ist, für den mehr als eine Million Menschen umgesiedelt werden sollen, von Folgen für Natur und Klima ganz zu schweigen. Vermutlich würde der Siemens-Pressesprecher gemäß der neuen Marketing-Strategie heute nicht mehr so offen bestätigen, daß es zur Firmenpolitik von Siemens gehöre, auf Menschenrechte und Ökologie keine Rücksicht zu nehmen.

Allein daß Siemens als führender Hersteller von Solarzellen z.B. durch den Aufkauf und anschließende Stillegung von Produktionsstandorten die Weiterentwicklung alternativer Energien blockiert, straft all ihr Geschwafel von "Nachhaltigkeit" Lügen, Wir stellen diesem ideologischen Kampfbegriff zur Sicherung von Profit und Macht unsere Überzeugung entgegen, daß es wirkliche Veränderung nur in einer Gesellschaft geben kann, in der für die Herrschaft von Menschen über Menschen kein Platz mehr ist. Es ist an uns, dafür zu sorgen, daß Siemens sich nicht als tollen Klimaschützer darstellen kann auch nicht auf der Propagandashow EXPO 2000 in Hannover.

Schließlich noch ein kleiner Hinweis: Auch Siemens muß seine Produkte transportieren, und Siemens ist nur ein Baustein des Atomgeschäfts. Im Rahmen der NIX mehr Kampagne gegen Atomtransporte gilt es, alle für den Betrieb der AKW's nötigen Transporte zu thematisieren und anzugreifen, ihre Kosten in die Höhe zu treiben. Treffen wir sie an ihrem wunden Punkt: dem Profit.

Siemens abschalten!

Für ein selbstbestimmtes, herrschaftsfreies Leben - ohne Staaten, Konzerne und Atomantagen! 4.10.: Anti-Siemens Party im Ex, Gneisenaustr. 2a Mehringhof, ab 21.00 Uhr +++ 7.10.: Eine einzige Scheibe Brot: Die Siemens-Fabrik im KZ- Ravensbrück. Dokumentarfilm mit Georgia Peet. Berlin 1993. Anschließend: Diskussion mit Georgia Peet. Regenbogen-Kino, Lausitzer Str. 20.00 Uhr +++ 9.10.: Wem gehören die Akten zur Zwangsarbeit? - Die Archivpolitik der Konzerne. U.a. mit Prof. Dietrich Eichholtz im Haus der Demokratie, Friedrichstr. 165, 19.00 Uhr +++ 10.10.: Gegen Verleugnung und Verdrängung -Entschädigung Jetzt! Mit ehemaligen Siemens-ZwangsarbeiterInnen im KZ-Ravensbrück, im Hendrik-Krämer-Haus, Limonenstr. 26, 10.00 Uhr. +++ Demo-VV im Versammlungsraum, Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, 20.00 Uhr +++ 11.10.: Die Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung - eine Denkfabrik der Neuen Rechten. Diskussion mit Peter Kratz im Tommy Weißbecker-Haus, Wilhelmstr. 9, 19.00 Uhr. +++ 11.10.: l50 Jahre sind genug - Siemens abschalten ZwangsarbeiterInnen entschädigen! Demonstration Breitscheidplatz, Berlin 12 Uhr. +++ 12.10.: Die verleugnete Verantwortung: Konzerne und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: 13.00 Uhr Entschädigung jetzt! Protestveranstaltung im Kulturzentrum Die weiße Rose, Martin-Luther-Str. 77 / 19.30 Uhr Den Opfern der "Vernichtung durch Arbeit" - Gedenkveranstaltung. Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz 1 +++ 13.10.: Die Macht von Siemens und das neue Atomgesetz. Vortrag von Jürgen Siebert. Mehringhof, Versammlungsraum, Gneisenaustr. 2a, 19 Uhr +++ Heute hier, morgen da: NIX mehr - Atomtransporte behindern

ANTI-ATOM-PLEMUM Berlin

V.i.S.d.P: S. Reicht, Schwarzer Weg 3, 13505 Berlin

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