Vorbemerkung

Schon vor einiger Zeit erreichte uns ein Brief von einem der drei Männer, die als angebliche Mitglieder der Gruppe KOMITEE gesucht werden. Aufgrund qewisser Unklarheiten und eigener Schlampigkeiten kommt er erst jetzt an die Öffentlichkeit wofür wir uns hiermit vielmals entschuldigen! Wir denken aber, daß sein Inhalt durch die Verzögerung nicht an Wert verloren hat..

Hallo Szene,

Jetzt, da ihr diesen Brief von mir in den Händen haltet, dürften fast zwei Jahre vergangen sein, seitdem die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. im Frühjahr '95 versucht hat, den im Bau befindlichen Abschiebeknast Grünau in die Luft zu jagen. Ich bin einer derjenigen, (Peter, Bernd oder Thomas?) die sich als Folge der Ereignisse jener Nacht dazu entschieden haben, sich dem Zugriff der ermittelnden Behörden zu entziehen. Ob ich oder sonstwer irgendetwas mit dem damaligen Vorhaben dieser Gruppe zu tun habe oder nicht, soll an dieser Stelle weder mich noch andere interessieren. Doch die SoKo Osterei wird es sicherlich trotzdem interessieren, was sie aus diesem Brief an Fahndungs- und Vorwurfsmaterial herausziehen kann. So entsteht mein Brief sowohl unabhängig davon, was ich in der Nacht vom 10. auf den 11.4.1995 tatsächlich gemacht habe, als auch unabhängig davon, was ich für ein politisches Verhältnis zu Gruppierungen wie dem Komitee habe. Nur eines sei hiermit klar gesagt: Ich werde mich nicht von dem Vorhaben dieser Gruppe in jener Nacht distanzieren, da auch ich der Meinung bin, daß diejenigen die Terroristen sind, die Straf-, Zurichtungs- und Abschiebeknäste bauen lassen, und nicht diejenigen, die sie sprengen wollen. Darin sind

wir uns doch einig, oder!

WARUM DAS GANZE

Bis vor ca 4 Monaten war ich mir relativ sicher. daß ich mich aus dieser Fluchtsituation heraus nicht zu Wort melden würde, zumindest nicht auf der Ebene, die auf meine bisherigen Erfahrungen eingehen würde. Zu groß erschien mir die Gefahr, den Fahndungsbehörden in die Hände zu spielen. Ich hatte daß Gefühl, wenn ich alles weglassen würde, was mich oder andere in irgendeiner Art gefährden könnte, nach außen ein Bild desorientierter Frustration entstehen zu lassen, was meiner tatsächlichen Situation nicht entspräche. Während dieser Zeit begann ich, mich mit Biographien politisch verfolgter linker Frauen und Männer, die ins Exil gingen/gehen mußten, zu beschäftigen. Alle hatten sie über sehr interessante Erfahrungen zu berichten, ich selber konnte mich jedoch in keiner dieser Biographien wiederentdecken, da die betreffender Personen die Möglichkeiten offiziellen Asyls in Anspruch nehmen konnten. Dieser offizielle Status pragte deren Lebensreaiität so, wie meine derzeitigen Realitäten von den Bedingungen eines Lebens unter klandestinen Vorzeichen geprägt sind. Da es mir selber sehr wichtig wäre, auf die Erfahrungen derjenigen zurückgreifen zu können, die irgendwann in ihrem Leben oder auch heute noch in einer vergleichbaren Situation steck(t)en, und ich wenig (Interviews in der Radikal, Briefe Abgetauchter aus dem Kaindl-Verfahren) finden konnte, was sich mit meiner derzeitigen Situation, ausgehend von der Position selbstgemachter Erfahrungen, auseinandersetzt, habe ich mich entschlossen, mich an die Arbeit zu machen. Vieles von dem, was meinen neuen Alltag extrem bestimmt, wird sich in diesem Brief nicht wiederfinden, da ich darüber nichts sagen kann. So kann ich nur hoffen, daß Euch beim Lesen weniger langweilig ist, als mir beim Schreiben - Ich bin wenig zuversichtlich und entschuldige mich schon mal vorsorglich....

CEST LA VIE, ERSTE HÄLFTE

Von dem Zeitpunkt an, da ich um meinen Haftbefehl wußte, waren die Stunden, Tage und Wochen von einer undefinierbaren Angst gezeichnet, die nahezu jede Bewegung bestimmt hat. Ich wußte ja, daß auch mein Bild sowohl bundesweit im Fernsehen, als auch in international erhältlicher, deutscher Presse zu bewundern war. Ich habe mich einige Tage nicht aus der Wohnung getraut, sowohl aus der Angst heraus, erkannt zu werden, aber vor allem aufgrund der Möglichkeit, in eine zufällige Kontrolle zu kommen und keinen Namen mehr zur Verfügung zu haben, um mich auszuweisen. In der Wohnung versuchte ich mich schwebend zu bewegen, um ja keine Geräusche zu verursachen. Ich habe viel TV geglotzt, gelesen, geschlafen, wirre Sachen geträumt und darüber nachgedacht, was ich mit der Situation denn jetzt eigentlich anfangen soll. Es war schnell klar, daß ich mich selber in dieser Situation um die nächsten Schritte nicht kümmern kann (es sei denn, ich hätte mich stellen wollen, aber das war nur für einen kurzen Zeitraum Teil der damaligen Überlegungen), und so mußte ich mich vor allem in Geduld üben was bei den durch die Situation bedingten Kommunikationsschwierigkeiten und diversen Mißverständnissen manchmal gar nicht so einfach war. Während der ersten Zeit war die Angst vor einem einreitenden Einsatzkommando ständig latend präsent, auch wenn diese Angst real gar nicht meiner Situation entsprach.

AUF NEUEN WEGEN

Das änderte sich in dem Moment, in dem ich eine neue Identität in den Fingern hatte und ich mich wieder auf die Straße traute. Meine Angst erkannt zu werden, war, nachdem inzwischen einige Wochen vergangen waren, gegen Null geschrumpft. Ich wu8te ja um die Schnellebigkeit dieser Zeit, um den oberflächlichen Blick derjenigen, die täglich von obenuntenvornehintenrechtsundlinks mit tausenden von Informationen zugekleistert werden. Ich ging davon aus, daß die Masse der Menschen unsere Fahndungsbilder längst wieder in die Sphären ihres Hirnes verbannt hatte, wo sie alles aufbewahrt, was ihnen zuviel oder zu langweilig erscheint. Ahnlich habe ich die Bullen eingeordnet, bei denen die meisten derer, die sich nach dem 11.4.'95 nicht ausschließlich mit der Suche nach uns beschäftigten, ja auch nur ihren SStundentag abreißen und eher an die nächste Bratwurst denken, als daran, da9 ihnen gerade ein "mutmaßlicher Terrorist" über den Weg läuft Trotzdem bin ich fast in Ohnmacht gefallen, als zum ersten (und bisher einzigen) mal ein Streifenwagen aus voller Fahrt direkt neben mir anhielt und die beiden Schnösel raussprangen. Und tatsächlich hinterlä8t auch heute noch jede Begegung mit der anderen Seite ein flaues Gefühl im Magen, auch wenn mir mein Kopf sagt, da8 die durch mich hindurchsehen. Eine realere Angst stellt für mich die zufällige, unerwünschte Begegnung mit Bekannten dar, eine Begegnung, die ich womöglich nicht einmal realisieren würde und so nicht auf sie reagieren könnte. Das Ergebnis könnte ein Sceneklatsch allererster Güte über Aufenthaltsort und Aussehen des XY sein. Anna und Artur hatten zwar das Maul, aber welche wollten darauf schon vertrauen.....

Irn großen und ganzen ist die neue Realität von vielem geprägt, was überhaupt nicht so neu ist, aber auch von vielem, was eine radikale Veränderung im Verhalten erfordert. Zum Beispiel habe ich während des letzten Jahres wahnsinnig viele Leute kennengelernt. Viele, die mir konkret weitergeholfen haben und die über meine Geschichte Bescheid wußten, aber noch viel mehr Leute, die mit meiner Flucht nichts zu zun hatten/haben, denen gegenüber ich ein wirres und hoffentlich kontrollierbares Lügengeflecht über meine Vergangenheit und Zukunft zu präsentieren habe. Für mich wird das in dem Ma8e schwieriger, in dem ich Vertrauen zu den "Neuen" entwickle und ich bei mir das Bedürfnis entdecke, meine wahre Identität preiszugeben. Meiner Einschätzung nach ist es sinnvoll, eine sehr kleine Anzahl vertrauenswürdiger Menschen in die eigenen, besonderen Lebensumstände einzuweihen, da es immer wieder nötig sein wird, wegen kleiner und grö8erer Hilfeleistungen auf Genossinnen "von auBen" zurückzugreifen und es nötig sein wird, mit welchen offen diskutieren zu können, mit denen der/die Geflüchtete im übertragenen Sinne "die selbe Sprache spricht". Es wird aber weitaus mehr Menschen im Umfeld geben, denen eine Lebenslüge zu präsentieren ist, die erklart, warum du da bist, wo du bist, was du früher gemacht hast, warum du nicht wieder dahin willst, wo du herkommst und für den Fall, daß du mit aktiven Linken zu tun hast, wirst du erklären müssen, warum du selber so unaktiv bist und du wirst das wahrscheinlich auf eine Art erklären wollen, die dich nicht dein Gesicht verlieren läßt. Ich denke, in bezug auf dieses Lügengeflecht ist es wichtig, sich eine Geschichte auszudenken, die zum "Lügner" paßt, möglichst einfach ist und ihn gleichzeitig genügend schützt. Da die allermeisten nicht wissen, warum du jetzt in ihrer Nähe lebst, werden oft für deine neue Realität absurde Fragen gestellt. Das geht von "kommste mit auf dieunddie Demo?" bis "warum hast du eigentlich keine Lust, Auto zu fahren?" und ist im einzelnen zwar einfach zu lösen, aber du mußt deine Geschichten im Kopf behalten und darfst dich nicht in Widersprüchen verwickeln. Ich finde das mitunter recht schwierig, aber auch immer wieder lustig, weil Schauspielerei auch so seine reizvollen Momente hat.

Eine andere Frage, die es zu klären gilt, ist die der Kleiderordnung. Du hast deine dir lieben Gewohnheiten, die du nicht aufgeben willst, andererseits ist ein Veränderungsprozeß angesagt. Ich bin in der Lösung dieser Frage sehr opportunistisch veranlagt und versuche mein Äußeres jeweils dem vorgefundenen Mainstream anzupassen. Der Mehrzahl der Leute, mit denen du zu tun hast, wird es sowieso egal sein, was du für Klamotten anhast oder ab deine Frisur dem neusten Scenenit entspricht. Du änderst also dein Außeres (oder auch nicht), ein Vorgang, der dir zu Anfang vielleicht schmerzt. Aber in dem Maße, in dem du merkst, daG dir das neue Aussehen nicht das ehen in deinen Augen rauben kann wird dir das Äußere egaler werden. Die, die sich wirklich für dich interessieren, werden sich aufgrund deinens Verhaltens entscheiden, ob sie dich mögen oder nicht und wenn du dich in deinen beziehungen früher korrekt verhalten hast (oder es zumindest versucht hast), dann wirst du es auch in einer Situation tun, die durch illegalität und den damit verbundenen Lügengeschichten geprägt ist. Das merken die Leute und wenn man dich früher aufgrund bestimmter Eigenschaften gemocht hat, dann wird das auch m Zukunft so sein. Ich denke, daß innerhalb der deutschen Scenen sowieso und immer noch vielzuviei Wert darauf gelegt wird, daß eine bestimmte Kleidernorm eingehalten wird Sie druckt nichts anderes aus, als nach außen sichtbar einer bestimmten Gruppe von Leuten zugehorig und innerhalb dieser Gruppe integer zu sein. Das für sich alleine genommen stellt keine Persönlichkeitswerte dar, Verbirgt sich in der 'schönen" Hülle ein Egoarsch, so wird er auf die Dauer gesehen wenig FreundInnen finden.

C EST LA VIE. ZWEITE HÄLFTE

Weitaus schwieriger fällt es mir. die persönlichen und politischen Verluste zu begreifen und zu verarbeiten. So steltte sich bei mir eine spürbare Trauer erst nach Monaten ein. zu einem Zeitpunkt. als ich bereits dachte, die Verluste meiner langjährigen Freundschaften überwunden zu haben. Während der ersten Monate war ich dermaßen überwältigt von den Erfordernissen der neuen Situationen. daß ich kaum dazu kam. Trauer zu entwickeln. Als die Dinge sich soweit entwickelt hatten, daß ich auch für längere Zeit an einem Ort bleiben konnte, begannen sich auch neue Beziehungen zu entwickeln. Bis dahin hatte sich meine Wahrnehmung der Verluste hauptsächlich darauf beschränkt. daß fast alles weg ist. was den früheren Alltag prägte. Die Freundschaften. Versuche kollektiver Lebensformen, der politischen Alltäglichkeiten, Geld beschaffen, das so oft gehaßte langweilige Normale - ist einfach zerplatzt wie eine Seifenblase. die ich bis dahin für stabil gehalten hatte. Was bleibt sind einige Freundschaften, die sich allerdings auch den neuen Bedingungen anpassen müssen und sich zwangsläufig verändern. In diesem Gefühl eines "universellen" Verlustes hatte für mich die Trauer um Einzelne wenig Raum. Und vielleicht, weil ein universeller Verlust eine für mich kaum greifbare Größe war, habe ich selbst ihn nicht richtig wahrgenommen. Aber vielleicht war das alles ja auch nur eine prima Verdrängungsleistung von mir. Muß ich mal mit meinem Psychiater reden. Ich war halt plötzlich auf einer Reise ohne Rückkehr und um das durchzuhalten. mußte ich zunächst mal in einer bestimmten Weise funktionieren. Ich habe zwar nie gedacht. daß ich am nächsten Tag wie nach einem Alptraum wieder aufwachen würde, und dann wäre alles wieder so. wie es einmal war. Aber daß es tatsächlich und wahrscheinlich (falls die Anklage nicht in sich zusammenbrechen sollte. denn mehr als ein paar Indizien haben die Bösen ja nicht) auf lange Jahre dabei bleiben wird. daß ich nicht in meine alten Lebenszusammenhänge zurückkehren kann. hatte für mich eine Größe, bei der ich mich ziemlich schwertat. sie in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen. Aber zurück zu den neuen Beziehungen. Je länger ich also mit immer den selben Leuten zusammen war. desto mehr wurde mir klar. was ich mit den alten Freundinnen eigentlich verloren habe. Hier gib es niemanden. mit der oder dem ich eine jahrelange Geschichte habe, zwischen denen und mir ein Blick genügen würde, wo oft Worte überflüssig sind. Dann frage ich mich in den Momenten der Trauer und Einsamkeit. wo sie denn geblieben sind. meine Liebsten. wie es denn zu schaffen ist. daß Alte sich ändern zu lassen. es aber trotzdem in das Neue hinüberzuretten und gleichzeitig die Geduld zu haben. im Neuen die neuen Beziehungen zu finden und zu Freundschaften wachsen zu lassen, in der Hoffnung, daß nocheinmal so etwas Intensives ensteht, wie das. was es in der Vergangenheit gab. Und je mehr ich zur Ruhe kam, desto mehr wurde mir bewußt. daß ich ein akzeptables politisches Arbeitsfeld finden muß. um mein Leben von neuem mit einer sinnvollen Aufgabe zu füllen. Es stellten sich also immer dringlicher folgende Fragen:

Um die Zeit zu überbrücken habe ich damals relativ schnell angefangen. zukunftsorientiert zu lernen. Ich denk, diese ersten Monate, (in Bezug auf eine Lebensentscheidung kann das durchaus auch länger dauern. wie ich nach fast zwei Jahren leider immer noch feststellen muß) die man benötigt um sich in Ruhe für eine längerfristige Lebensperspektive entscheiden zu können. sollte man nutzen, um es sich gutgehen zu lassen und Dinge nachzuholen. die man immer schon machen wollte, sofern sie unter den veränderten Bedingungen noch möglich sind. Du muß es irgendwie schaffen. zur Ruhe zu kommen. um wohlüberlegte Entscheidungen für deine weitere Zukunft treffen zu können. Ein spürbarer Unterschied zu früher ist. daß du plötzlich über eine ungeheure Menge Zeit verfügst. die erstmal gefüllt werden will. Du hast keine Dates mehr. der Gang aufs Sozi erübrigt sich. die alten Lohnarbeiten sind nicht mehr und du fragst dich. was du mit all der Zeit anfangen sollst. während der du früher deinen Freundinnen die Ohren vollgejammert hast Wie wäre es zum Beispiel damit. die Marxschen Analysen auswendig lernen oder all die Romane lesen. die du immer schon mai lesen wolltest? Du kannst versuchen. all den Schlaf nachholen, den du in den letzten Jahren versäumt hast und zwischen den Schlafpenoden deinen Stil im Dartspiel zu verfeinern. Du kannst die Sprache lernen. die du immer schonmal lernen wolltest oder du kannst für den nächsten Marathon trainieren. Du wirst sicherlich etwas nachzuholen haben, was dir Freude bringt und dir zudem noch nützlich erscheint. Ich denke, daß es überlebenswichtig ist. sich mit Dingen zu beschäftigen, die dir wichtig sind und nicht einfach so in den Tag hineinzuleben. da man durch die Leere die dabei entstehen kann. Gefanr läuft. das eigene Selbstwertgefühl zu zerstören: meiner Meinung nach eine der schlimmsten Sachen. die einem Menschen in so einer Situation passieren kann.

Wie wahrscheinlich alle. die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, habe auch ich sehr viel darüber nachgedacht. was für mich eine lebenswerte Zukunftsperspektive sein kann. Sich diesem Problem zu nähern. gibt es meiner Meinung nach mindesten drei Möglichkeiten:

Wenn ich den politischen Kampf da führen will. wo sich meine kulturellen Wurzeln befinden. dann wird sich das organisieren lassen, wenn sich der Delinquent damit abfinden kann. die Art und Ebene seiner politischen Aktivität seinen veränderten Lebensbedingungen anzupassen und persönlich in der Lage ist. verantwortlich mit dieser Extremsituation umzugehen. Und wenn ich immer schon in einem chinesischen KungFu-Kloster alt werden wollte, dann wird sich auch der Weg dahin finden lassen. Glücklicherweise gibt es innerhalb der Linken fast zu jedem Ort Kontakte und je nachdem, wie exotisch sich die Zukunft ausgemalt wird. ist es vor allem eine Frage der Zeit. bis alles Notwendige organisiert wurde. bzw. ob es Leute gibt. die bereit sind. für derart exotische Wünsche ihre Zeit zu opfern. Es macht meiner Meinung nach wenig Sinn, diese schematische Darstellung mit all den konkreten Beispielen zu füllen, die jede Lebensentscheidung mit sich bringen könnte. Jeder Mann und jede Frau wird sich in einer solchen Situation entsprechend seiner/ihrer Bedingungen entscheiden müssen und viele vergleichbare Situationen anders erleben. als ich. Die moglichen Zukunftsperspektiven werden entscheidend durch Geschlecht und Hautfarbe geprägt sein. desweiteren, ab es ein Umfeld gibt, daß diese Situation mitträgt oder man, wie wahrscheinlich die allermeisten der illegalen Immigrantlnnen. in einer feindlichen Umgebung auf sich alleine gestellt ist und sich das Leben suchen muß. Ich als weißer Metropolenmann hatte als Teil der Westberliner Altlinkenscene zudem das Glück. auf weitverzweigte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen zu können. Die Allermeisten hätten in einer ähnlichen Situation sicherlich weitaus mehr Probleme erlebt als ich.

Meine Erfahrung ist. daß sich scheinbar vieles organisieren läßt. wenn sich welche finden. die es organisieren können (und wollen).

Dies soll das abrupte Ende meines Briefes sein. Ich konnte Euch leider nur darüber schreiben. wie ich die Zeit nach dem 11.4.95 empfunden habe. Aus sicherlich verständlichen Gründen bin ich nicht bereit. mehr über meine Zukunftspläne im Konkreten zu berichten. Nicht geprägt ist mein Empfinden durch die viele Arbeit. die andere in die Organisierung meiner Zukunft stecken mußten. weil ich von dieser Arbeit kaum mehr als die Ergebnisse mitbekommen habe. Zu diesem Prozeß konnte ich kaum mehr beitragen. als meine Geduld. die es mir erlaubt. diese schwierige Situation ohne größere Schäden (hoffentlich stimmt das. auch darüber muß ich mal meinen Psychiater reden) zu überstehen. Ich möchte an dieser Stelle all denen danken, die mir und uns geholfen haben. die Flucht hinein in ein Leben außerhalb der Knastgitter zu organisieren. Natürlich gelten meine Grüße auch all den lieben Menschen. die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich und in diesem Zusammenhang ganz besonders den anderen Beiden. die aufgrund desselben Vorwurfes wie ich gesucht werden.

Viel Glück wünsche ich den Angeklagten im radikal-Verfahren

NO PASARAN

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