Redebeitrag der Queerulantenauf der Abschlußkundgebung den Herz-mit-Hirn-Blocks auf dem Berliner CSD 1997:

Die Schwulen haben den CSD, den sie verdienen Jedes Jahr das gleiche Ritual. Die selbsternannten Vertreter der Schwulenbewegung, in Berlin rufen die Parade zum CSD aus, die Lesben werden wie üblich ohne gefragt worden zu sein mitvereinnahmt.

Dagegen reklamiert eine Handvoll von Gruppen und Initativen, auch mehr schwule als lesbische, den CSD als politischen Kampf- und Erinnerungstag und fordern mehr Inhalte für diesen einen Tag im Juni. Wahlweise emanzipatorische, revolutionäre, oder einfach nur unkommerzielle Inhalte.

Der erbitterte Streit um die Richtigkeit der eigenen Position, von der ersteren Fraktion mit Hinweis auf die überwältigende Zahl der TeUnelhmerInnen an ihrer Parade verteidigt, von der letzteren mit Hinweis auf die kampfarischen und emanzipatorischen Wurzeln wahlweise den NewYorker Stone-waU-Riots oder der linken Bewegungsanfänge in den frühen 70ern in Westdeutschland und Westberlin begeifindet, führte 1993 und 1994 zu getrennten CSD-Demos.

Die erzielte Sichtbarkeit einer Spaltung der Schwulen- (und begrenzt auch der Lesben-)szene war der wahrscheinUch produktivate Effekt der zwei eigenständigen Demos.

In der Praxis wurde bei diesen das in den darauffolgenden Jahren zunehmende Dilemma jedoch schon deutlich: Mitnichten waren die beiden Demos kämpferische, entsch~ne, perofenrufende Großveranstaltungen, auf denen sich die Unke Pottieraktion der Lesben und Schwulen dieser Stadt in ihrer tausendfachen Starke gezeigt hätte, sondern die Demonstrantinnen waren iiberwiegend genauso party-feiernde Schwule und Lesben wie die auf der Konkurzenzparade am Kudamm, im Unterschied zu diesen vieheicht mit dem diffusen GefUhl, zur richtigen Seite zu gehören oder gehören zu wollen.

Weder in diesen noch in den folgenden Jahren entspann sich nach dem CSD eine neue Diskussion ihr Sinn und Inhalte lesbischer und schwuler Politik. Noch wuchsen aus den Auseinandersetzungen und Spöttereien neue Gruppen und Initativen, die den Mitbekannten und immer neu notwendigen Widerspruch zwischen der Anpassung- und Integrationspolitik der Homoverbände ( Wir woben ein Stück vom Kuchen abhaben! ) und einer emanzipatorischen Politik, viereicht sogar mit revolutionärer Perspektive (Wir woUen eine andere Bäckerei für Alle! ) mit neuen Ideen und frischem Elan fällten.

Vielmehr ging es dem Vorbereitungskrads den Unken oder unkommerziellen CSD-8ününisseE' in gewisser Weise wie den alten Gegnern - mit immer weniger Aktiven mußte eine Bewegung simuliert werden, die nur noch als Medien-Ereignis einmal im Jahr an den Fernsehkameras, Zeitungs~ournaUsten und dem gaffenden Hetero-publikum vorüberzieht und die sich aus der 8ewequng längst verschiedet hat - sei es in die gutbezahlten Jobs der neuen Dlenstleistungsgesellschaft oder in die immer schlechter gesicherte Arbeitslosigkeit und in beiden Fluten in eine kaum mehr zu trennende Partyszene.

Für uns, die Queerulanten, war eine Konsequenz aus dieser Situation die Verlagerung unseres Arbeitsschwerpunktes in diesem Jahr weg vom CSD hin zu der Verleihung den Braunen Stöckels auf dem lesbisch-schwulen Straßenfest. Wir haben versucht, den alten Konflikt wieder an den Ort zu tragen, wo ihn die Schwulen und Lesben noch wahrnehmen - nicht auf der sektseligen Parade oder Demo, sondern auf dem Fest, wo alle sich zusammen präsentieren und feiern wallen - und wo wir klar und deutsch sagen, mit wem wir nicht feiern und wer nicht zu uns gehört - die Schwulen Soldaten nicht, nicht die Schwulen Pullen, die Schwulen Manager und auch nicht Mannmeter und der SVD, die sich noch dem repressivsten Innensenator anbiedern, wenn es nur ein schwulen-freundliches Wort aus dessen Munde verspricht.

Die Frage bleibt, was macht der Haufen, der doch Jahr für Jahr im Internationalistischen-, oder SchmarotzerInnen- oder Herz-mit-Hern-Block der CSD-Parade entgegen, vorweg oder bluterher rieft, was machen wir, was macht ihr, außer die richtige Gesinnung einmal im Jahr auf die Straße und ansonsten euer Geld ins SO 36 statt ins Connection zu tragen? Habt ihr euch auch schon so kuschelig eingerichtet im Getto, wie ihr es den angepaßten Spießbürger-Homos gerne und regelmäßig vorwerft? Kann ja sein, daß ihr aUe vor lauter anti-rassisffscher, an~dfaschis~cher, an==h~uch-ravolutionärer Arbeit nicht dazu kommt, auch noch den Schwalenf~r~ das Leben schwer zu machen. Oder der neoliberale Alltag zwingt euch in die zeitraubenden Zweit- und Drittjobs zur Existenzsicherung.

Es gibt viele gute Grunde für den Rückzug aus der (schwulen/Iesben) politischen PrA~Q - und noch mehr Elchlohte. Auch wenn keizler von uns mehr den sicheren Weg zur Beniere Welt und zur Revolution kennt - ich mühte mich Wenigenz noch mit euch darüber -Wüten, wo er langgeht und wie Wir da hinkomme. Und mit wem Wir ihn suche sollen, auch. Dazu reicht ein halber Tag CSD-Demo im Jahr sicher nicht aus - also immer wieder: Raus aus den Lochern, Rein in die Straßen -den Ratten gehört das sinkende Schiff!


Zeitungsartikel:

Steine und Schlamm geworfen

Krawalle zum Abschluß der Demonstration in der City

Berlin (Ha). Krawalle trübten gestern abend den bis dahin friedlichen Verlauf des Christopher-Street-Days. Nachdem von einem Wagen des Demonstrationszuges am Nachmittag Steine und Schlamm auf Passanten und Autos geworfen wurde, versuchte eine Einsatzhundertschaft der Polizei an der Ecke Wilhelmsstraße Unter den Linden, diesen nach Polizeiangaben von der PDS gestellten LKW zu stoppen. Bei der Rangelei mit Polizeibeamten wurden mindestens zwei Teilnehmer des Zuges verletzt. Trotz massiven Einsatzes der Ordungskräfte konnte der Lastwagen, der von zum Teil angetrunkenen Autonomen begleitet wurde, dann durch eine Absperrung der Beamten brechen und mit hohem Tempo über die Linden zum Endpunkt der Demonstration am Bebelplatz zu gelangen. Hier erst konnten starke Polizeikräfte des Fahrzeug umstellen.

Wie es hieß hatten die Veranstalter des CSD schon in Höhe der Siegessäule den Wagen wegen der Gewalttaten aus dem Demonstration ausgeschlossen. Gegen 19:30 Uhr forderten die Autonomen zum "bilden von Ketten" auf und verließen mit drei Fahrzeugen den Bebelplatz begleitet von mehreren hunderten Punks. Auch vor dem Palast der Republik gelang es den mittlerweile zwei Hundertschaften der Polizei nicht, die Fahrzeuge zu stoppen. Nach Aussagen der Demonstranten hieß es am späten abend, daß man versuchen würde nach Kreuzberg zu gelangen.

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