Leserbrief zum Editorial der Nr. 435

"Über die Hutschnur": Zensur in der Interim

"Eine Redaktion" hat entschieden, was dem geneigten Interim-Publikum zugemutet werden kann und was nicht. Angeblich sind die RedakteurInnen dafür, "kontroverse Positionen zu veröffentlichen". Erreicht sie aber ein Text zur Vergewaltigungsdebatte mit einem radikal anderen Ansatz als der sonst publizierte, geht's ihr "über die Hutschnur" und sie zensiert ihn einfach weg. Nicht mal in den Ordner wird er gesteckt.

Angeblich sei in dem Beitrag von Mili-Tante Spinne "völlig überflüssige Polemik" und "Anpisse" enthalten, die die Diskussion "kaputtmache". Uns ist dieser Text ("Mola - die Morgenlatte") ebenfalls zugewachsen und wir können uns der Meinung "Einer Redaktion" nicht anschließen:

1. "Polemik", laut Falken-Lexikon "der an die Öffentlichkeit getragene Streit, meist wissenschaftlichen Inhalts", kann gar nicht "überflüssig" sein, denn es ist genau das, was in der politischen Auseinandersetzung angesagt ist.

2. "Anpisse" gab's in den bislang abgedruckten Beiträgen zuhauf, ohne daß dies von den Redaktionen bemängelt worden wäre. Z.B. bezichtigte I.N.A. ihren (Ex-)Freund sogar eines Verbrechens. Die 16jährige Killing Wolf schickte selbige I.N.A. zum Psychiater und andere Frauen äußerten sich stark beleidigend gegenüber Killing Wolf. In dem von "Einer Redaktion" wegzensierten Artikel werden unserer Meinung nach zwar die kritisierten Autorinnen inhaltlich scharf angegangen, aber nicht beleidigt, es sei denn, der Vorwurf, sie würden das gemäßigte Patriarchat in Deutschland mit dem radikalen Patriarchat in Afghanistan auf eine Stufe stellen, erfüllte die Kriterien einer Anpisse. Also: Wir sehen Ironie in dem inkriminierten Text, aber keine "Anpisse".

Wir fragen die RedakteurInnen was sie gegen Polemik haben und wo sie Anpisse sehen. Vielleicht gab's ja noch andere Gründe, den Beitrag wegzuzensieren, nur werden diese uns leider nicht mitgeteilt. Ihr solltet es der Einfachheit halber mit Abdruck des Artikels und Kritik daran versuchen. (Einige von uns würden selbst gerne Kritik an Mili-Tante Spinne üben, aber solange ihr Text nicht allgemein bekannt ist, geht's nun mal nicht.)

Bitte haltet uns LeserInnen nicht für blöd oder unmündig, selbst zu entscheiden, was für die autonome Diskussion zuträglich oder abträglich ist. Zensur darf es in autonomen Zusammenhängen nicht geben, sonst findet eine weitere Verengung der Bewegung statt, die ohnehin schon bedenkliche Dimensionen angenommen hat.

Gruppe zur Verteidigung autonomer Kritik & Selbstkritik


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