Begleittext zur Ausstellung "Versuche über die Kulturfähigkeit der Autonomen"'. Schiffbrüchige Versuche über "die Autonomen" und ihr Verhältnis zur Kultur

"Kommunikationsguerilla will die Ästhetisierung öffentlicher Orte durchbrechen und soziale und kulturelle Räume repolitisieren, indem sie diese Ästhetisierung auf der Ebene der äußeren Form sichtbar macht und angreift." ("Handbuch der Kommunikationsguerilla", S. 33; wir lesen nicht "nur" "Die goldene Horde"!) Erstmal gut gelacht über die Ausstellungsankündigung der Floraveranstaltungsgruppe (VG), dem Konter Anerkennung gezollt, dann aber doch wütend geworden. Nun, es gibt wahrlich wichtigere Dinge als Auseinandersetzungen über die Dekoration der Florahalle - eigentlich kein Grund, Zeit und Papier drauf zu verschwenden.

Tu ich aber doch, denn erstens hat die VG ja schon die öffentliche Ebene gewählt, zweitens regt mich die Form auf, in der alte, kontraproduktive und klischeehafte Frontstellungen fortgeführt oder wiederbelebt werden und drittens finde ich die dahinterstehende grundsätzliche Diskussion wichtig, die ruhig auch mal in der Zeck geführt werden kann.

1) Vorgeschichte der "Ausstellung"

Eines Tages im April waren Wände der Florahalle strahlend weiß. Nachträglich erfuhr man, daß die teils jahrealten Sprüche an den Wänden der Partydekoration im Weg standen, angeblich für irgendwelche Dia-Shows - unter der Hand hieß es dagegen, daß der "Hippiescheiß" eh gestört hatte. Beide Begründungen und die Art des Vorgehens (keine Absprache oder Ankündigung) haben mich genervt und einige der alten Sprühereien gehörten für mich schon zur Flora dazu (ohne ihre inhaltliche Aussagekraft hier überbewerten zu wollen). Deshalb und weil deren Entfernung zugunsten von Parties vielleicht symbolischer Ausduck der Floraentwicklung ist, wollte ich ein wenig Nachdenken und Diskussion darüber anstoßen - per Sprühdose, um auf der von der VG vorgegebenen symbolischen Ebene Kritik anzumelden. Das Ergebnis: da wo früher "Brände kommen, Feuer gehen, Rote Flora bleibt bestehen" stand, zierte nun "Parties kommen, Feten gehen, unsere Sprüche bleiben stehen - Flora bleibt rot (ein bißchen) (mindestens)" die zwischenzeitlich ordnungsgemäß weiße Wand. Nicht sonderlich intelligent und auch nicht für die Ewigkeit (ich hätte es nach ein paar Wochen selber wieder übergepinselt), sondern als Anstoß gedacht. Die Aktion hat mich einigermaßen überrascht in ihrer Peinlichkeit, Spießigkeit und Diskussionsverweigerung: vor der nächsten Party wurde wieder alles geweißt bis aufs "Flora bleibt rot" (das hättet Ihr ruhig auch gleich noch mitentfernen können, so ist es wirklich nur noch eine Worthülse, auch wenn es gut gemeint war) und immer noch kein Wort dazu. Mir hat das als Antwort gereicht, aber für andere ging es da erst los, neue Sprühereien kamen dazu. Einiges war auf der "Scheiß- Techno"-Ebene (bzw. versuchte wohl, durch Reproduktion autonomer Klischees zu provozieren), anderes durchaus aussagekräftig, z.B. ein hochkopiertes Zitat über Graffitientfernen aus "Die goldene Horde", deshalb die Anspielung der VG darauf. In dem Moment schien die Weißmachfraktion kapituliert zu haben, hat dann aber auf der Ankündigungsseite der Mai-Zeck mit der Ausstellungsankündigung reagiert. Der Part der Lächerlichkeit scheint nun wieder auf der Seite der Schmierfinke zu liegen.

2) Techno, Kultur, Rote Flora

In den neuen Graffities klingt sicher an, der alte Streit um Techno. Wenn da steht: "Krawallästhetik statt Yuppieambiente", dann wird aber auch klar, was für die diesbezüglichen Diskussionen in der Flora schon länger gilt. daß es nicht (mehr) um Techno an sich oder die Berechtigung von Technoparties in der Flora überhaupt geht, sondern um einige ihrer - auch politisch zu bewertenden - Begleiterscheinungen, Voraussetzungen und Folgen (geweihte Wände sind nur ein symbolischer Ausdruck dafür, als solcher aber von eigenständiger Bedeutung). Wie so oft in vergangenen Diskussionen, konstruiert der Text der VG aus der Problematisierung einzelner Aspekte eine grundsätzliche "Hierarchisierung von kulturellen und politischen Praktiken ... bei Autonomen". Damit werden alte Klischees und Frontstellungen (Hardcore vs. Techno, Politik vs. Kultur, Autonome vs. Spaß, ...) wiederbelebt und nebenbei auch eine Definitionsmacht beansprucht darüber, was Kultur ist und was nicht. Die eigenen kulturellen Formen werden zu Kultur überhaupt totalisiert. Das ist für mich genauso daneben wie das entsprechende Vorgehen von der anderen Seite, die pauschale Denunziation von Techno(-parties) als unpolitisch, kommerziell, kulturell minderwertig usw.

In der Flora hat sich aber inzwischen eine Sicht durchgesetzt, die diese Parties grundsätzlich in Ordnung findet. die VG hat sich an den meisten Punkten durchgesetzt oder es wurden Kompromisse gemacht. Ihre Herangehensweise wird zumindest toleriert, solange bestimmte Aspekte der Florapolitik und andere, auch weniger "professionelle" und hippe Kulturmachende nicht völlig an den Rand gedrängt wer- den. Jedenfalls sehe ich das so - vielleicht ist es nur Wunschdenken, weil ich die Nase absolut voll davon habe, mich gegen- über der einen Seite für mein Floraengagement zu verteidigen, weil die doch "politisch längst tot" sei und von der anderen Seite wegen des Festhaltens an politischen Ansprüchen an die Flora als dümmlichen Anachronismus betrachten zu lassen, der in seiner Borniertheit auch noch die Kultur einschränkt, unterdrückt, fast schon: zensiert. Daß jede politische Handlung sich in kulturellen Formen vollzieht und jede kulturelle Handlung politische Implikationen hat, gehört zurecht zum Argumentationsrepertoire der VG, wird wie in diesem Fall je- doch ignoriert, wenn es nicht in den eigenen Kram paßt - wohl um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Statt- dessen macht man/frau es sich leicht, zieht die Angelegenheit öffentlich auf die Ebene der bekannten Klischees; alle die den Text lesen, sollen den Eindruck erhalten, daß die innovative Kulturfraktion mal wieder Streß mit "den" (primitiven, eingleisigen, überpolitisierten) "Autonomen" hat. Ein öffentlich etabliertes und bis zum Erbrechen reproduziertes Deutungsmuster, das da benutzt wird und das im Rahmen mehrheitsfähig werdender Versatzstücke "der" Postmoderne durchaus Herrschaft absichernde Ideologie ist oder sein kann.

3) Arroganz

Die Benutzung von Begriffen wie kulturelle Grammatik, Semiotik usw. soll dem sympathisierenden Publikum zeigen, auf welcher Seite die Leute mit Hirn sitzen und auf welcher nicht. Es sind Schlagworte im doppelten Sinne mit ihnen wird auf "die Autonomen" eingedroschen und sie werden benuzt, weil sie gut klingen, ohne sie erklären zu müssen (geschweige denn wollen) oder darüber nachzudenken, ob sie überhaupt wirklich passen: kulturelle Grammatik z.B. meines Wissens nicht, denn die bezeichnet die Gesamtheit kultureller Verhaltensweisen-regeln, die gesellschaftlich Herrschaft absichten - dazu gehört das Sprühen (zumindest dem Anspruch nach subversiver) Parolen weit weniger als ihr Entfernen (siehe das bereits erwähnte "Handbuch der..."). Und was verdammt nochmal heißt denn "Kulturfähigkeit"? Und was hieße dann "Kulturunfähigkeit", die ja wohl eigentlich gemeint ist? Auf den ersten Blick klingt das witzig, und eine als Witz daherkommende Kritik kann ich gut annehmen. Aber dieses Wort und die Ass

oziationen, die es auslöst, kommen aus einer Begriffswelt, die ich völlig daneben finde, bei einigem Nachdenken kommt einem das Kotzen! Für mich ist das Teil eines Vorgehens, das stark davon angetrieben wird, so was wie kulturelles Kapital zu erlangen und zur Schau zu stellen, für das ich immer wieder Anzeichen sehe und das mich nervt. Dieser ganze Gestus von Altwissenheit in bestimmten kulturellen Bereichen, der den alten dogmatischen Führungsansprüchen von Politmackern durchaus ähnelt, für die eigenen Zukunftsperspektiven und Geltungsansprüche aber inzwischen erfolgversprechender ist. Da wird eine bestimmte Ausdrucksweise entwickelt und gepflegt, um ganz vorne dabei zu sein. Von dort aus wird dann wohlwollend (oder nicht) alles andere bewertet. Die l7°C ist z.B. "auch recht weit vorne", wegen der Kulturartikel und "abgesehen vom Layout". Ein kulturell und politisch innovatives Projekt, das aus der von den Macherlnnen wahrgenommenen Krise und Theorielosigkeit der Autonomen entstanden ist,

wird da gleichzeitig herablassend und anbiedernd nach ganz coolen Kriterien beurteilt - scheinbar mit Erfolg: das Fußnotenkapitel der neuesten Ausgabe zeige sich sehr wohlwollend gegenüber den Floraveranstaltungen, die persönlichen Kontakte sind hergestellt, die verbliebene Streetcredibility war bestimmt ganz natürlich dabei. Um die gröbsten Mißverständnisse zu vermeiden: einiges mag überzogen oder überinterpretiert sein (und ist eigentlich auch nicht mein Bier) und einen Großteil der Veranstaltungen, die dabei rauskommen, finde ich richtig gut. Aber die Grenze wird für mich da erreicht, wo das Verhältnis zur Flora instrumentiell zu werden droht, wo sich mit den anderen dort vertretenen Gruppen und Ansprüchen höchstens noch arrangiert wird und wo "die Autonomen" konstruiert werden, in einer Art, die nur der Abgrenzung und eigenen Aufwertung dient und auf gesellschaftlich längst etablierten Hierarchisierungcn beruht.

4) Autonomie und Postmoderne, Theorie(losigkeit) und Praxis(verweigerung)

Zum Klischee der autonomen Theorielosigkeit und der angeblich unüberbrückbaren Differenz zwischen bestimmten Theorie- und Kulturmustern und (autonomer) . Politik: Die Universitätsseminare zu Postsvukturalismus, Dekonstruktion usw. (im folgen- den benutze ich dafür einfach den Begriff Postmoderne, obwohl er problematisch ist) sind voll mit im weitesten Sinne "Autonomen". Das ist nicht überraschend, denn zumindest Versatzstücke von postmodernen Theorien waren immer auch wichtig für bestimmte autonome Spektren, z.B. in der Verortung gesellschaftlicher Macht(verhältnisse), der 8edeutung von Zeichen, Symbol und Form, zumindest ansatzweise auch der Geschlechter- und Identitätskonstruktion. Das mag gewagt klingen, natürlich lassen sich reichlich Gegenbeispiele finden - es hingt halt davon ab, worauf man/frau sich bezieht, wenn es darum geht, den Begriff "autonom" zu füllen ... und als deutscher Mittelschichtsstudent und "Nach-89er" ist mein Blickwinkel halt ein spezifischer. Das Abgleiten autonomer Modelle der Vermittlung von Politik, Kultur und eigenem Leben in Borniertheit, zerstörerische Ansprüche und Frustrationen, habe ich weniger als andere miterlebt. Vielleicht deshalb ist mein Verständnis von "autonom" immer noch stark geprägt von Begriffen, die andere scheinbar gar nicht damit assoziieren können: offen, durchdacht, solidarisch, suchend, innovativ, lebensfroh, kämpferisch, positiv.... Die Möglichkeit von Autonomie an sich oder gar einer autonomen, "entkolonialisierten" Identität wird durch postmoderne Theorien zurecht bestritten. Mit Autonomie verbundene Gedanken sind jedoch oft genauso Produkt wie Kritik der Moderne. Sie treffen sich vielfach mit postmodernen Theorien, soweit diese im Kern emanzipatorisch sind (und das sind einige). "Die Verhältnisse zum Tanzen bringen" klingt als autonome Parole inzwischen realitätsfremd, könnte aber genauso gut ein Ausdruck "postmodernen" Denkens und Handelns sein (von Queering bis Cyberpunk). Selbstverständlich kann man/frau den ganzenKram auch benutzen, um auf alles draufzuhaun, was sich links noch bewegt; selbstverständlich wirken viele "autonome" Praktiken entsetzlich krampfig, antiquiert und unbefriedigend. Wie mit all den schönen Modellen von kultureller Subversion, Guerillasemiotik, diskursiven Strategien, Nutzung neuer Technologien usw. mehr bewegt werden soll und wie das in "unsere" Praxis übersetzt und integriert werden soll, bleibt noch völlig unklar und zweifelhaft - vieles davon ist der pure Hype. Die Aufwertung der Zeichen-, Sprach-, und Kulturebene ist gerechtfertigt, um Aufklärungs- und Befreiungsvorstellungen zu problematisieren, ihre Verabsolutierung für mich jedoch nicht. Dasselbe gilt für die Kritik an "autonomen" politischen Plakaten: solange ich keine besseren finde, werde ich mit einem teils unbefriedigten Gefühl vieles vom Alten fortsetzen, gleichzeitig stets auf der Suche nach etwas Neuem und Lernprozessen sein. Bevor gar nichts mehr passiert, halte ich lieber bestimmte Theorie-Praxis-Widersprüche aus, solange ich das was dabei rauskommt, noch als irgendwie emanzipativ, antagonistisch und trotzdem "human", eben links- radikal bezeichnen kann. Es macht einen Unterschied, ob die Theoriearbeit der Selbstkritik und Weiterentwicklung dient oder eher der Aufarbeitung und Entsorgung der persönlichen Vergangenheit, der Legitimierung des politischen Sesselpupens, dem Aufspringen auf den neuesten Zug. Es macht auch einen Unter- schied, ob ich meine Erkenntnisse und Verunsicherungen mit anderen teile, um gemeinsam voranzukommen oder ob ich individuelles Prestige und Wissenshierarchien damit anstrebe. Da sehe ich die Differenz im Stil zwischen z.B. dem Text des Edutainmentclubs und dieser ach so witzigen Ausstellungsankündigung, auch wenn es unfair ist, das zu vergleichen. Wie überhaupt vieles vielleicht unfair und übertrieben ist in diesem Text - Es ist aber schwer, sich zwischen den Klippen von "Steinzeitpolitik" und "Diskursfetischismus" nicht von einem Extrem zum anderen treiben zu lassen, wenn man sich auf dem Meer dazwischen bewegen will. Da will ich mich aber bewegen, da vermute ich eine offene, handlungs- und lebensfähige Version von Politik und für mich ist die Rote Flora noch sowas wie ein Schiff auf diesem Meer. Ein Begriff für diese Politik ist mangels besserer Alternativen immer noch "autonom" und genausowenig, wie ich anderen meine Version davon vor- schreiben will, lasse ich mich auf positive oder negative Versionen davon reduzieren. Gerade weil die, die in und um die Flora etwas machen, in verschiedene Richtungen wollen, ist mir eine Gemeinsamkeit zumindest im Willen zur Auseinandersetzung und im Bezug auf alle, die sich dazu zählen, wichtig - ohne daß ein gemeinsamer Kurs dabei rauskommen soll oder überhaupt kann.

Roppinson Kruse

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