500 Berliner Polizisten suchen eine Zeitung

Nach konspirativen Strukturen einer autonomen Schrift gefahndet

Die Berliner Staatsanwaltschaft setzte am Mittwoch 500 Polizisten auf die Berliner Wochenzeitung Interim an. Gemeinsam mit sechs Staatsanwälten durchsuchte das uniformierte Großaufgebot den ganzen Vormittag lang mehrere Häuser und Wohnungen in den Bezirken Friedrichshain, Neukölln und Kreuzberg. Anlaß dafür ist laut Justizsprecher Rüdiger Reiff der Verdacht der »öffentlichen Belohnung und Billigung von Straftaten«. Das seit den achtziger Jahren immer donnerstags erscheinende Blatt der autonomen Szene in Berlin habe Anleitungen für den Bau von Molotow-Cocktails und Hakenkrallen gegen Eisenbahnoberleitungen ebenso veröffentlicht wie anonyme Bekennerschreiben zu Brandanschlägen.

In den Häusern und Wohnungen suchten Polizei und Justiz nach Heften, den Druckorten und den Vertriebsstellen. Das Aufgebot sei diesmal »sehr ungewöhnlich« gewesen, heißt es in Szenekreisen. Die Uniformierten hätten sich aber in ihrem Auftreten zurückgehalten, zumindest in regulär bewohnten Häusern.

Es war nach Informationen der jungen Welt nicht der erste Zensurversuch der Staatsanwaltschaft gegen das Blatt. Schon mehrfach wurden Ausgaben beschlagnahmt. Ähnlich wie die Zeitschrift radikal wird es von den Verfassungsschutzbehörden Berlins und des Bundes beobachtet und jährlich in deren Berichten aufgeführt. Die Redaktions- und Herstellungsstrukturen würden verdeckt arbeiten und bisher immer konspirativ bleiben, hieß es z. B. im '95er Verfassungschutzbericht von Berlin.

Ob die Durchsuchungen und die unter anderem mitgenommenen Kisten der Justiz neues Wissen brachten, ist noch nicht bekannt. Das Vorgehen paßt in die gegenwärtige Linie der Staatsanwaltschaft, zu der auch Anklagen gegen radikal und die ehemalige PDS- Bundesvorsitzende Angela Marquardt wegen eines Links ihrer Homepage zu radikal-Seiten gehören.

Tilo Gräser

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