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Löcher in der Mauer
Materialiensammlung
DDR 1989

Neue Chronik DDR
1. Folge 2. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3730305822

2. Folge 1. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3-7303-0594-8

14. November 1989

Die Zahl der seit dem 9. November erteilten Visa für Privatreisen ins Ausland erhöht sich auf 5 716 765, für ständige Ausreisen auf 11 754.

Die Leitung des Komitees der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion der DDR (ABI) unterbreitet den Vorschlag, die ABI nicht mehr wie bisher dem SED-Zentralkomitee und der DDR-Regierung, sondern unmittelbar der Volkskammer zu unterstellen und dieser für die gesamte Tätigkeit rechenschaftspflichtig zu sein. Ergebnisse der Kontrollarbeit der ABI sollen den Massenmedien zugänglich gemacht werden, um eine breite Information der Bürger zu ermöglichen und nachdrücklicher auf notwendige Veränderungen hinzuwirken.

Der Vorstand der DBID bestätigt in geheimer Wahl das Parteipräsidium, das zuvor die Vertrauensfrage gestellt hatte. Die Parteimitglieder werden aufgerufen, sich "mit politischer Standhaftigkeit in die revolutionäre Umgestaltung der DDR einzureihen".

Die tiefgreifende Umgestaltung des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums verlangen die Direktoren der Sektionen, Institute und Abteilungen für Marxismus-Leninismus von 46 Universitäten und Hochschulen der DDR. Seine bisherige Kennzeichnung als Instrument einer Partei könne nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Wissenschaftler treten jedoch prinzipiell für ein gesellschaftswissenschaftliches Grundlagenstudium aller Studenten ein.

Die Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität verleiht dem stellvertretenden Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, den Titel eines doctor theologiae honoris causa. In seinem Festvortrag verweist Dr. Stolpe darauf, daß "die gemeinsame Zukunftssuche aller Verantwortungsbewußten dieses Landes im gleichberechtigten Streitgespräch, im Messen der Visionen angesichts globaler und lokaler Herausforderungen beginnen muß, ehe Erneuerungswiderstände, Vergeltungsemotionen oder großdeutsche Traumtänze uns alle denk- und handlungsunfähig machen". Christen und Marxisten, Staat und Kirche in der DDR hätten einen Vorlauf an Dialogerfahrung, den sie nutzen sollten, um das gleichberechtigte Zukunftsgespräch aller in Gang zu bringen.

Der Politische Ausschuß des Zentralvorstandes der LDPD beschließt das Dokument "Leitsätze liberal-demokratischer Politik heute" und stellt es zur öffentlichen Diskussion. Es enthält detaillierte Überlegungen für die Gestaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für eine neue Stellung von Wissenschaft und Kultur sowie für eine neue Wirtschaftspolitik. Ihre Positionen formuliert die Partei dahingehend, daß sich "die LDPD 1. für einen Sozialismus engagiert, der die politischen Freiheiten und Rechte jedes Bürgers genauso garantiert wie er seine sozialen Rechte und Freiheiten verwirklicht 2. für einen Sozialismus einsetzt, der auf Leistung und Kompetenz beruht,- 3. für einen Sozialismus eintritt, der Pluralismus und Demokratie verkörpert, ohne die sie nicht sein kann, und der nicht gebunden ist an festgeschriebene ,eherne' Machtstrukturen. Der Aufbau des Sozialismus liegt im Interesse des ganzen Volkes und ist Sache des ganzen Volkes. Die Arbeiterklasse trägt dabei eine besondere geschichtliche Verantwortung. Politische Führung durch Parteien kann nicht vererbt und nicht in der Verfassung verordnet werden. Politische Führung hat zu tun mit der Fähigkeit, Vertrauen zu erwerben und Mehrheiten zu bilden, einen gesellschaftlichen Konsens herbeizuführen, Kräfte des Volkes zu mobilisieren und zu integrieren und sich demokratischem Urteil zu unterwerfen. (...)" (DM, 16. 11. 1989)

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