zurück

Löcher in der Mauer
Materialiensammlung
DDR 1989

Neue Chronik DDR
1. Folge 2. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3730305822  
2. Folge 1. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3-7303-0594-8

20. Oktober 1989

Im Zusammenhang mit der von der DDR in Übereinstimmung mit der polnischen Regierung getroffenen Entscheidung, DDR-BürgerInnen, die sich in der BRD-Botschaft in Warschau aufhalten, von dort aus die Ausreise in die BRD zu gestatten, erklärt der Sprecher des DDR-Außenministeriums, Botschafter Wolfgang Meyer, in einem ADN-Interview u. a.:

"Die DDR hat sich bei dieser Entscheidung ausschließlich von humanitären Gesichtspunkten leiten lassen und deshalb die Initiative ergriffen, der polnischen Regierung einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. ( ... ) Niemand sollte diese Entscheidung mißverstehen. Sie ist uns nicht leichtgefallen. Wir brauchen jede Bürgerin und jeden Bürger und sind gewillt, gemeinsam mit allen die Ursachen zu ergründen und zu beseitigen, die dazu geführt haben, daß uns so viele den Rücken kehren.

(ND, 21./22. 10. 1989)

Zu Anzeigen und Beschwerden gegen VP-Angehörige im Zusammenhang mit den Ereignissen am 7. und 8. Oktober in Berlin äußern sich in einem Pressegespräch Oberst Dr. Dieter Dietze, stellvertretender Berliner Polizeipräsident, und Klaus Voß, 1. Stellvertreter des Generalstaalsanwalts von Berlin.

Die VP-Maßnahmen an beiden Tagen hätten den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen, erklärte Dr. Dietze. Zum Schutz der VP-Kräfte habe man auf Sonderausrüstung zurückgreifen müssen. Es sei natürlich klar, daß polizeiliche Handlungen in der Öffentlichkeit, dazu noch mit Hilfsmitteln und in bisher nicht gekanntem Umfange, bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung auf Widerspruch stießen. Gegenwärtig lägen im Polizeipräsidium 60 Eingaben oder Beschwerden vor, denen gründlich nachgegangen werde.

Staatsanwalt Voß betonte in diesem Zusammenhang: "Wenn sich der Verdacht einer Straftat ergibt, wird der dafür Verantwortliche auch zur Verantwortung gezogen, das sehen die Gesetze vor, und wir werden dies auch konsequent durchsetzen." Unbeteiligten Personen zugefügte Schäden würden nach geltenden Rechtsvorschriften unverzüglich wiedergutgemacht.

In Gotha demonstrieren 6 000 Menschen.

Vor Arbeitern des VEB Bergmann-Borsig, Berlin, beteuert SED-Politbüromitglied Harry Tisch, er habe bei jüngsten Betriebsbesuchen "immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß wir endlich aufhören müssen, uns an Statistiken zu berauschen". Es sei "unverständlich, wenn jetzt schon wieder manche Betriebskollektive mit zusätzlichen Vorhaben zum XII. Parteitag kommen, aber gar nicht wissen, wie der Jahresplan zu erfüllen ist. Diese Praktiken müssen endlich aufhören." Auf Kritiken an Mängeln in der DDR entgegnete Tisch-. Ja, es gibt da Ungereimtheiten hinsichtlich der Preise, des Warenangebots. Doch wir haben niemandem ein Paradies versprochen" haben auch immer gesagt, der Sozialismus ist nur so gut, wie wir ihn zu machen verstehen. Alle gemeinsam, meine ich, ich will mich da nicht ausklammern. Wenn wir von Arbeit reden, dann meinen wir auch uns ganz oben', wie mancher sagt oder denkt. Wir sind für euch da, also ist solche Sicht schon mal falsch. Und - das könnt ihr mir ruhig glauben - wir fahren nicht nur spazieren oder sind auf Empfängen." In dem Pressebericht dieser Begegnung heißt es dann u. a. weiter:

"Der Vorsitzende des FDGB-Bundesvorstandes klammerte auch die Frage der Repräsentation nicht aus: Daß ein Staat, der Beziehungen zu fast allen Ländern der Erde unterhält, auch entsprechend repräsentieren muß - darin stimmen wir wohl überein. Das gilt für Autos wie für Gästehäuser.

(T, 23. 10. 1989)

nach oben