Aus: Rote Pressekorrespondenz Nr. 12 vom 9.5.1969 Westberlin, Redaktion Solveig Ehrler, Günter Matthias Tripp, Druck Zahl-Wienen

Peter Tautfest
Drei rote Banner
Zur revolutionären Berufspraxis als Lehrer


Von der Parole der revolutionären Berufepraxis als Lehrer beflügelt leisteten eine Reihe von Germanisten in den vergangenen Semesterferien ihr Praktikum ab, um die Möglichkeiten, an der Schule revolutionärer Lehrer sein zu können, zu testen. Sie machten dabei enttäuschende Erfahrungen. Ihren Bericht haben sie in der RPK Nr. 6 veröffentlicht. Dieser stark resignative und demobilisierende Bericht ist in einem Teil der Germanistik-ad-hoc-Gruppe(*) auf starken Widerstand gestossen. Aus der Diskussion über diesen Bericht sollte eine Antwort hervorgehen. Als erster Entwurf einer solchen Antwort entstand eine bisher nur einem kleinen Kreis als das "Drei Banner Papier" bekannt gewordene Polemik. Die Weiterarbeit wurde zunächst dadurch behindert, daß diese Polemik selbst starken Widerspruch provozierte.

Es wurde beschlossen, von einer Veröffentlichung abzusehen, bis die Diskussion über diesen ersten Entwurf weitere Kreise der ad-hoc-Gruppe insonderheit den Kreis der Praktikanten erfaßt haben würde.

Inzwischen ist geraume Weile vergangen, ohne daß das Papier in der ad-hoc-Gruppe selbst geschweige denn über diese hinaus bekannt geworden ist. Nach wie vor ist der stark resignative Erfahrungsbericht der Praktikanten das einzige Dokument zur Frage der revolutionären Berufspraxis als Lehrer, das weitere Verbreitung gefunden hat. Es ist jedoch unzumutbar daß zu einem Zeitpunkt, wo die Möglichkeiten revolutionärer Berufspraxis allseitig diskutiert werden, die Diskussionen und Auseinandersetzungen über die revolutionäre Berufspraxis als Lehrer auf einen so kleinen Kreis wie den der Germanistik-ad-hoc-Gruppe beschränkt bleibt. Angesichts dieser Tatsache hat sich der Verfasser der "Drei Banner Polemik" dazu entschlossen, die bislang eingehaltene Fraktionsdisziplin zu brechen und in eigener Verantwortung diese Polemik zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung soll ein Diskussionsbeitrag zu dem in der kommenden Woche unter dem Thema "Revolutionäre Berufspraxis als Lehrer" stattfindenden Teach-in sein, das am 16.Mai um 16. Uhr im Audi-Max der FU stattfindet.
Peter Tautfest

l. Zur Frage der Lehrerorganisation

Der Bericht der Praktikanten (RPK Nr. 6) beschwört die Schwierigkeiten, die Lehrer zu organisieren, weil nur wenigen die Einsicht in kritische Theorie zu vermitteln ist und weil sie ansonsten Kleinbürger sind. Es wird erwogen, sie über ihre privaten Bedürfnisse zu politisieren. Solche Ausführungen und Überlegungen sehen davon ab, daß die Lehrer als Agenten eines Subjektes, das sie selber nicht sind, der Organisation bedürfen und nicht als Lehrer mit ihren privaten Bedürfnissen und Nöten. Gerade nicht die privaten sondern die politischen Bedürfnisse drängen nach organisatorischer Absicherung. Nicht der Status der Lehrer, sondern ihre Funktion als Agenten der Arbeiterklasse, deren Aufgabe es ist, bei der Verschärfung des Klassenkampfes mitzuwirken, läßt Organisation notwendig erscheinen.

Freilich sollen die Nöte der Lehrer nicht unberücksichtigt bleiben, sollen jedoch nur in dem Maße zum Gegenstand der Agitation werden, als sie sich politisieren lassen, d. h. in dem Maße, als sich die Lehrer dadurch aus Agenten der Bourgeoisie in Agenten des Klasseninteressen des Proletariats verwandeln lassen.

Daraus folgt, daß die Kader einer künftigen revolutionären Lehrerorganisation sich aus den bereits politisierten Studenten rekrutieren werden. Damit sind jene Genossen gemeint, die nach langjähriger Partizipation an der Studentenrebellion in den Schuldienst gehen, finster entschlossen, einen Unterricht zu erteilen, der dazu geeignet ist, in der Schülerschaft Aktivitäten zu fördern, die den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Sieg des Proletariats zum Ziel haben. 

Die Organisation der Lehrer als Agenten der Arbeiterklasse stellt uns vor eine Reihe von Problemen, von deren richtiger Lösung der Sieg der proletarischen Linie und die Vermeidung des Abgleitens in den Revisionismus abhängt. Zunächst belehren uns die Erfahrungen der Praktikanten, daß kaum einer von uns bis jetzt seine Ausbildung sowie die Revolutionierung seines klein-bürgerlichen Bewußtseins soweit vorangetrieben hat, um in der Lage sein zu können, als Agent des Proletariats zu handeln. Ferner, daß wir der Aufgabe, den Unterricht zu revolutionieren und einen revolutionären Unterricht zu erteilen, nicht gewachsen sind. Deshalb müssen die ad-hoc-Gruppen, die die Parole von der revolutionären Berufspraxis ausgegeben haben, sich als Kader der revolutionären Lehrerorganisation schulen, sowie immer weitere Kreise der Studentenschaft dafür gewinnen, sich dieser Parole anzuschließen. Die Ausbildung und Schulung künftiger revolutionärer Lehrer sowie die Beratung schon im Schuldienst stehender revolutionärer Lehrer muß Teil des von den ad-hoc-Gruppen initiierten Lehrprogramms werden, dessen Gestaltung die politisierten Studenten immer mehr in die eigenen Hände nehmen werden.

Die Frage nach dem Ausbildungsprogramm der künftigen revolutionären Lehrer ist nicht zu beantworten, bevor wir nicht wissen, wie wir mit den Schülern arbeiten sollen, bevor wir nicht wissen, wie die Schüler, und gerade die rebellischen, auszubilden sind. Freilich werden diese Probleme nur gemeinsam mit den Schülern zu lösen sein. Dennoch sollte man, um nicht von der proletarischen Linie abzuweichen, folgendes sich vergegenwärtigen: auch die Schüler, und gerade die rebellischen, sind nicht das Subjekt revolutionärer Veränderung, sondern können bestenfalls zu Agenten dieses Subjekts, das sie selber nicht sind, ausgebildet werden. Aus der Erkenntnis nämlich, daß die Schulen ebenso wie die Universitäten die sozialisierenden Charakterfabriken des Kapitals sind, deren Sabotage dem Kapitalismus schwere Schläge versetzen wird, folgt noch nicht, daß die Schülerrebellion, die den Schulapparat zu blockieren sucht, naturwüchsig die proletarische Linie verfolgt. Aus der Erkenntnis, daß die privilegierten Klassen ihre Kinder einem Sozialisationsprozeß unterwerfen müssen, der diese fungibel macht, im Interesse der Herrschaftserhaltung dieser Klasse auch für ihre Nachkommenschaft, folgt noch nicht, daß die Sabotage dieses Anpassungsprozesses am Status der Kinder der Bourgeoisie als Privilegierte irgend etwas ändert. Schon gar nicht wird das bürgerliche Klassenbewußtsein durch die bloße. Negation, des bürgerlichen Sozialisationsprozesses angepaßt. Der nicht sozialisierte Bürger wird zum extremen Individualisten, da der Individualismus als das Rückgrat des bürgerl.. Klassenbewußtseins anzusehen, ist der nicht sozialisierte Bourgeois der aus den Fugen der Bourgeoisie geratene extreme Bourgeois. Wenn also die bürgerliche Sozialisation nicht durch eine sozialistische ersetzt wird, wird die antiautoritäre Schülerrebellion, die ihr innewohnenden antikapitalistischen und damit progressiven Momente nicht entfalten können; sie wird zu einer Bewegung verkommen, der man allzu deutlich ansieht, daß sie von den Kindern der privilegierten Klassen getragen wird. Einer solchen Bewegung gegenüber ist die Arbeiterklasse mit Recht mißtrauisch.

Was sozialistische Sozialisation bedeutet, scheint für einen Grundschullehrer sowohl einfacher als auch aussichtsreicher zu beantworten. Der Grundschullehrer steht einem hohen Prozentsatz von Kindern gegenüber, die mit 14 Jahren in die Produktionssphäre abwandern, es ist eine sowohl einfachere als auch einsichtigere Aufgabe, in einem Proletarierkind ein resistentes antiautoritäres Bewußtsein zu wecken, um es optimal auf den Klassenkampf vorzubereiten, der von seiner Klasse und zum großen Teil in der Betriebssphäre wird angefochten werden müssen. Doch der Grundschullehrer steht auch Kindern der Bourgeoisie gegenüber, die nicht einfach für die Revolution abzuschreiben sind, zumal die Arbeiterklasse der Verbündeten in der Intelligenz, vor allem in der technischen Intelligenz bedarf, oder besser, ihrer eigenen Intelligenz bedarf. Aufgabe des Grundschullehrers ist es, hier schon die Angehörigen der künftigen Intelligenz zu Verbündeten der Arbeiterklasse zu machen, die gleichsam in ihrem Auftrage ihr Privilegium nutzen, eine höhere Bildung zu erwerben. Auf dieser Stufe wird es der Lehrer freilich noch leichter haben, gemeinsam mit den Kindern des Proletariats die Destruktion des bürgerlichen Klassenbewußseins einzuleiten. Diese Überlegung lehrt uns zweierlei:

1. haben die ad-hoc-Gruppen die Agitation an den PH's voranzutreiben.

2. wird klar, daß die Kinder der Bourgeoisie ihre eigenen Klassenschranken nur dar überwinden und sich aus dem faulen Sumpf ihrer Klasse nur dort emanzipieren können, wo sie mit ihren Altersgenossen aus der Arbeiterklasse koalieren und das über die Zeit hinaus, wo sie die gleiche Schulbank drücken. Dies werden sie nur in einer revolutionären Jugendorganisation tun können, in der die Jungarbeiter, Lehrlinge und Schüler sich gemeinsam schulen, gemeinsame Praxisformen erproben und gemeinsame solidarische Aktionen unternehmen. 

Für den künftigen revolutionären Lehrer bedeutet dies, daß er seine Aufgabe nur wahrnehmen kann, wenn er selbst durch die Schule dieser revolutionären Jugendorganisation gegangen ist. Konkret bedeutet dies, daß die ad-hoc-Gruppen initiierend und/oder kooperierend an der Arbeit einer solchen revolutionären Jugendorganisation sich beteiligen müssen. Dies wird nur möglich sein durch die gleichzeitige Beteiligung an der Schülerrebellion und an der Arbeit in der Betriebssphäre.

Aus alledem folgt, daß die ad-hoc-Gruppen drei rote Banner aufzupflanzen bzw. drei Hauptquartiere als ihre Außenstellen einzurichten haben:

  1. Das Hauptquartier der Organisation der revolutionären Lehrer, sowie der Reorganisation der Ausbildung künftiger Lehrer,
  2. Das Hauptquartier der Schülerarbeit.
  3. Das Hauptquartier der revolutionären Jugendorganisation.

Der ersten Außenstelle obliegt es, zu allen Genossen, die in den Schuldienst abwandern, Kontakt zu halten, sie bei ihrer Arbeit zu beraten, zu unterstützen und zu überwachen. Aus der Notwendigkeit, die Lehrer zu beraten, ergeben sich die Themenstellungen und Arbeitsaufträge für das Ausbildungsprogramm der künftigen revolutionären Lehrer. Es wird sich als notwendig erweisen, zum Beispiel umfangreiche Überlegungen darüber anzustellen, wie der Lektüreplan für einen revolutionären Deutsch-Unterricht aussehen kann. Es wird sich als hilfreich erweisen, die Erfahrungen aufzuarbeiten, die die französischen und italienischen Genossen gemacht haben bei dem Versuch, die Schulen als Brückenkopf gegen den Kapitalismus auszubauen. 

Die zweite Außenstelle versucht, die Zusammenarbeit der Studenten mit den rebellischen Schülern zu organisieren. Durch diese Außenstelle soll es ermöglicht werden, für eine große Anzahl von Studenten das Postulat, den Beruf gemeinsammit den rebellischen Schülern zu erlernen, wahrzunehmen. 

Der dritten Außenstelle obliegt es, Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Lehrlingen und Jungarbeitern zu erkunden, die die Gründung einer revolutionären Jugendorganisation zum Ziel hat. Diese Organisation hätte zu gewährleisten, daß die Schüler sich aktiv an dem Kampf der Jungarbeiter und Lehrlinge beteiligen - die Berliner Demonstration der Lehrlinge z, B, hätte den Streik der Schüler nach sich ziehen sollen -. Zu denken wäre an eine Basisgruppe, die der ad-hoc-Gruppe der Lehramtskandidaten direkt angeschlossen ist, die es Studenten ermöglicht, auf ein bis zwei Semester in einen Betrieb zu gehen, um da selbst Erfahrungen der Organisation und Kaderbildung unter den Jugendlichen der Arbeiterklasse zu sammeln. Aus den kombinierten Erfordernissen der dr[fehlt im Original] ergibt sich das vollständige neue Ausbildungsprogramm der künftigen Lehrer, Dieses Progamm wird nach und nach das gesamte Lehrprogramm der Germanistik, Romanistik, Anglistik, Geschichtswissenschaft ganz und gar verdrängen, sowie das Programm der schulbezogenen naturwissenschaftlichen Fächer stark modifizieren. 

2. Zur Frage des Unterrichts

(Unter Unterricht sind hier die Aktivitäten des Lehrers im weitesten Sinne zu verstehen. )

Bevor der Begriff des emanzipatorischen Unterrichts sinnvoll diskutiert werden kann, ist dieser Begriff seines Klassencharakters zu entkleiden. Ein Unterricht, der darauf ausgelegt ist, die Kinder der Bourgeoisie von ihren unmittelbaren Zwängen zu befreien, ein Unterricht also, der der unmittelbaren Bediirfnisbefriedigung dienen soll, ist zu verwerfen. Es muß aufgeräumt werden mit dem Postulat von der unmittelbaren Emanzipation von Zwängen und der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen unter Abstraktion einer Überprüfung des Klassencharakters dieser Bedürfnisse. Zwar ist der Gymnasialschüler in einer repressiven Maschine eingespannt, die rücksichtslos über seinen Willen hinweggeht, um ihn zu deformieren; dennoch sind die Schulen im Vergleich zu den Betrieben als heitere Tummelplätze der Privilegierten anzuschauen. Das heißt, daß mit der Emanzipation und mit Bedürfnisbefriedigung nur die Emanzipation und Befriedigung der Bedürfnisse der Arbeiterklasse gemeint sein dürfen. So verstanden bedeutet emanzipatorischer Unterricht einen Unterricht, der die Schüler dazu anreizt und befähigt, an dem Kampf der Arbeiterklasse und ihre Emanzipation mitzuwirken; der den Schülern klarmacht, daß sie die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nur in der Teilnahme am Kampf der Arbeiterklasse um ihre Emanzipation erlangen werden,

Nicht den Bedürfnissen der Kinder der Bourgeoisie gilt es in erster Linie Rechnung zu tragen; vielmehr gilt es, ihre Bedürfnisse mit denen der Arbeiterklasse zu vermitteln. In der Schülerrebellion sind über sich selbst hinausweisende antikapitalistische Momente enthalten, die die spezifischen Bedürfnisse der Schüler mit denen der Arbeiterklasse unter ganz bestimmten Umständen identifizierbar machen. Diese antikapitalistischen Momente aus den bislang nur antibürgerlichen Attitüden zu entfalten, sowie diesen Identifikationsprozeß voranzutreiben, ist Ziel des emanzipatorischen Unterrichts.

 Auf der Grundlage dieser Grundsätze ist die Möglichkeit eines von den Praktikanten in Frage gestellten "interessanten" Unterrichts noch einmal zu überdenken. Dabei ist davon auszugeben, daß zwischen Schülern und Lehrern eine affektive Bindung besteht, sei sie nun positiv oder negativ besetzt, die das Verhältnis der Schüler zu dem Gegenstand ihrer Arbeit weitgehend bestimmt. Ein interessanter Unterricht wäre ein Unterricht, der die Schüler libidinös durch den Lehrer hindurch an den Gegenstand bindet und sie ihre Befreiung in der Abarbeitung an diesern Gegenstand finden läßt, Konkret: Aufgabe eines revolutionären Lehrers ist es, über den Mechanismus einer libidinösen Bindung an ihn selbst eine libidinöse Bindung an die Bewegung herzustellen, als deren Agent er fungiert. Hierbei darf man nicht in den Fehler verfallen, libidinöse Bindungen schlankweg mit bürgerlicher Autoritätsfixierung zu identifizieren, (In der Tat ist die Homosexualität als Form libidinöser Bindung eine extreme Form der Autoritätsfixierung. ) Es geht nicht darum, über den bürgerlichen Autoritätsmechanismus, der gemeinhin zum Vehikel reaktionärer Inhalte gem acht wird, nun "progressive" Inhalte zu vermitteln, Ein progressiver Inhalt ist ein bürgerlicher Humbuk, wenn der Inhalt nicht die Form und umgekehrt die Form den Inhalt bestimmen. Das bloßeAuswechseln der Inhalte ändert an der Tatsache nichts: autoritärer Scheißer bleibt autoritärer Scheißer, gleich ob er Goethe ode Rosa Luxemburg lesen läßt.

Was die veränderte Form der affektiven Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern angeht, ist festzuhalten, daß es keinen geschichtslosen und klassenindifferenten Begriff von Autorität gibt. Bürgerliche Autoritäten sind qua Amt mit dieser ausgestattet und erhalten sich ihre Autorität durch Sanktionsandrohungen. Der autoritäre Scheißer erwirbt sich seine Autorität nicht in gemeinsamer Arbeit, geschweige denn im gemeinsamen Kampf, sondern verschafft sie sich durch Unterwerfung.

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen bürgerlich repressiver Autorität und einer emanzipatorischen , nicht bürgerlichen. (Der Verfall emanzipatorischer Autoritäten zu bürgerlich reaktionären läßt sich an jenen kommunistischen Bewegungen verfolgen, die die revisionistische Linie eingeschlagen haben, während die ganz anders gearteten Autoritäten derer, die die proletarische Linie hochhalten, nach wie vor emanzipatorischen Charakter haben. ) Ziel des revolutionären Lehrers muß es sein, nicht über den Mechanismus bürgerlicher Autoritätsstabilisierung lediglich ausgewechselte Inhalte zu vermitteln, sondern den Wechsel der Inhalte selbst einer Politisierung des Unterrrichts subsequent zu machen, der die Schüler dazu befähigt, solidarisch mit den unterdrückten Massen um die Befreiung dieser Massen und durch diese Arbeit um ihre eigene Befreiung zu kämpfen.

3. Zum Deutsch-Unterricht als Literaturunterricht

Der Stellenwert der Literatur und der Lektüre ist nur im Rahmen eines in Phasen gegliederten Politisierungsprozesses zu begreifen. Dieser Prozeß gliedert sich in: Aufklärung, Schulung, unmittelbare Praxis, Vorbereitung auf zukünftige Praxis. Da wir vorerst davon ausgehen müssen, daß die Schüler nicht schon auf der Grundschule eine Allianz mit ihren Altersgenossen aus der Arbeiterklasse eingegangen sind, und sich der Arbeiterklasse verpflichtet fühlen, da wir ferner davon ausgehen müssen, daß die politische Praxis noch nicht zum Initiator und Gegenstand von Diskussionen werden kann, da wir es ferner mit Kindern der Bourgeoisie zu tun haben, die ihren Erfahrungshaushalt noch aus ihrer Lektüre decken, für die es also so etwas wie Bildungserlebnisse gibt, da wir von alledem ausgehen müssen, kann die Literatur für den Unterricht zum Initiator von Diskussionen werden, in der die Aufklärung über den Charakter der kapitalistischen Gesellschaft vorangetrieben wird. Schließlich ist ja auch die Studentenbewegung über die kritische Theorie zur Praxis gekommen. Voraussetzung ist eine wohldurchdachte Literaturauswahl, die zweierlei gewährleistet: 

  1. daß sie den momentanen Bedürfnissen der Schüler entgegenkommt und
  2. daß die durch sie initiierten Diskussionen diese Bedürfnisse zu verändern und zu politisieren in der Lage sind.

Erfahrungen jedoch belehren uns, daß Aufklärung ohne simultane Bewegung bloßes ästhetisches Genießen der durchschauten Zusammenhänge bleibt. In dem Maße, in dem die Schüler sich an der durch die Jugendorganisation vermittelten Praxis beteiligen, ersetzt diese Praxis selber die Literatur als Gegenstand der Diskussion. An diesem Punkt bekommt die Lektüre einen anderen Stellenwert. Die Beschäftigung mit ihr wird zur Schulung. Schulung und Aufklärung werden letztlich folgenlos bleiben, wenn sie nicht auch die zukünftige Praxis, will sagen, die Berufswahl der Schüler beeinflussen. Der Unterricht hat zugleich eine Berufsberatung in dem Sinne zu sein, daß die politisierten Schüler in Diskussionen erkunden, welche Berufe es ihnen am besten ermöglichen, an entscheidender Stelle zum wertvollen Bundesgenossen der Arbeiterklasse zu werden. Der Komplex Beruf und Klassenkampf ist im Unterricht erschöpfend zu thematisieren.

 4. Zur Ausbildung künftiger revolutionärer Lehrer

Aus den Ausführungen über die an den revolutionären Lehrer gestellten Anforderungen leitet sich das Ausbildungsprogramm der künftigen Lehrer und damit die Hochschulstrategie der ad-hoc-Gruppen für dieses und die folgenden Semester her. Die Vorbereitung der großen Masse der linken Studenten auf ihre künftige Funktion als Agenten des Proletariats im Schulbetrieb ist ein in ähnliche Phasen gegliederter Prozeß wie der der Ausbildung der Schüler. Die erste Phase, die Phase der Aufklärung, hat zum Ziele, möglichst viele Studenten zu politisieren, zu potentiellen Verbündeten der Arbeiterklasse zu machen. Zur Aufklärungs- und Agitationsplattform sind eine Reihe der traditionellen Seminare tauglich, sofern sie von starken Kadern besucht werden, die dafür sorgen, daß in diesen Seminaren die richtigen Probleme zur Sprache kommen. Das funktioniert über mehr oder minder drastische Beeinflussung bis hin zur Umfunktionierung der Seminare. Die zweite Phase, die der Schulung, geht aus der ersten hervor, involviert jedoch nicht mehr ein diffuses Publikum, sondern in ihr organisieren die bereits politisierten Studenten ihre eigene theoretische und praktische Arbeit. Als Plattform für die Schulung kommen in erster Linie die von uns selbst in eroberten Freiräumen in eigener Regie durchgeführten Lehrveranstaltungen in Frage. Dort, wo ausreichende Freiräume nicht vorhanden sind, sind sie durch entschlossenes Vorgehen bei der Umfunktionierung traditioneller Lehrveranstaltungen zu erobern. Wie die Aufklärung in die Schulung übergeht, so geht die Schulung in die spezifische Berufsausbildung über, in der sich die Genossen auf die spezifischen Probleme als künftige Lehrer vorbereiten. Auch für diese Veranstaltungen, deren Themenstellungen aus den Anfordernissen der drei Hauptquartiere tiervorgehen, kommen die schon eroberten sowie die noch zu erobernden Freiräume in Betracht. Um die Organisation, sowie die Ausbildung der revolutionären Lehrer schon zu diesem Semester beginnen zu lassen, ist es erforderlich, daß die ad -hoc -Gruppen erstens die drei roten Banner aufpflanzen und zweitens ein konzises Programm ausarbeiten, das sich nach den Anfordernissen des in die drei Phasen gegliederten Prozesses richtet.

*) Aus der Ad-hoc-Gruppe Germanistik enstand im Laufe des Jahres die Rote Zelle Germanistik. Von dort kamen die Gründungsmitglieder der 1970 von Jürgen Horlemann, Peter Neitzke und Christian Semler in Westberlin initiierten Kommunistischen Partei Deutschland (Aufbauorganisation), die sich 1980 wieder auflöste.