Kampf gegen den Weißen-Kreis
Aus den Anfängen der MieterInnen-Initiativen in Westberlin
Quelle: Berliner Extra-Dienst v. 30.11.1968

ROLF CZESKLEBA
SANIERUNGS-DISKUSSION
MIT HAUSMEISTERN


Die Arbeit vieler Basisgruppen der APO beschäftigt sich mit den Problemen, die Stadtsanierung und Weißer-Kreis-Einführung für Westberlin bringen. Rolf Czeskleba vom Büro für Stadt Sanierung und soziale Arbeit, das sich als Kommunikations- und Informationszentrum für die Arbeit der Basisgruppen versteht, sprach am 12. November vor Hausmeistern der Baugesellschaft GeHAG im Schöneberger Prälaten zu diesem Problemkreis. Wir dokumentieren Czesklebas Referat, dem eine aufschlußreiche Diskussion folgte, im Wortlaut:

Was ich Ihnen, als Student der Soziologie, der sich auf Probleme des Städtebaus spezialisiert hat, in der nächsten halben Stunde vortragen möchte, sind etwas allgemeinere Gesichtspunkte zur Kritik der Baupraxis, die unter dem Namen Stadterneuerung in Berlin programmatisch vorgeführt wird.

Diese Verallgemeinerung mag Ihnen überflüssig erscheinen, die Sie praktisch nur mit wenigen Randerscheinungen von abweichendem Verhalten, dann aber unausweichlich konfrontiert werden: Hat jemand die Klingelanlage zerstört, den Fahrstuhl verschmutzt oder sanitäre Anlagen demoliert, dann hat er die Folgen zu tragen. Sind die einzelnen nicht zu ermitteln, dann ist gleichsam eine Prämie ausgesetzt dafür, doch zu wissen, wer der Täter war und warum er so und nicht anders handelte. Pauschalbegriffe vom Asozialen, Krawallmacher oder Gammler geraten hoch inKurs. Sie ersetzen die eindringliche Nachforschung nach den Ursachen des protestierenden Verhaltens durch die einfache Reaktion des Ausstoßens. Wer sich der Sache völlig sicher ist, daß Ausschluß aus der Gesellschaft ein ausreichendes Mittel ist, um rein technisch mitstörungen des Betriebs gegenüber gesellschaftlichen Problemen fertig zu werden, der kann allerdings die Isolierung der einzelnen Vorkommnisse beibehalten. Problematisch wird diese Einstellung in dem Moment, wo dieselben Phänomene des Vandalismus, die man schon hier und dort vorfand, bei Gruppen von Mietern häufiger auftreten, die sich weder durch eine bloß individuelle Vorgeschichte von anderen Gruppenmitgliedern unterscheiden noch durch äußere Urnstände, wie z.B. bei den Flüchtlingen, in eine kollektive Außenseiter-Position gerieten: bei den Abrißmietern, die als ehemalige Slum-Bewohner vielen suspekt erscheinen. Ihnen vorzuwerfen, was die Empörung gegenüber denen meint, "denen es anscheinend zu gut geht" (worunter nicht zuletzt auch der politische Protest der Studenten gezählt wird), wird man nicht so leicht rechtfertigen können. Schließlich werden Abrißmieter nicht erst durch Prospekte zur eigenen Entscheidung gebracht - so sehr diese Entscheidungen bei Ratenkäufen u.a. dem einzelnen aufgeschwatzt werden-und dann saniert. Sondern das Wissen, was für einen gut und richtig ist, hat im Fall der Sanierung der Staat schon längst gepachtet.

Es ist nicht zu leugnen, daß mit staatlichen Zwangsmitteln auch in Zukunft auf dem Wohnungsmarkt verfahren wird - auch wenn die staatlichen Mittel, die einigen als Wohnungszwangswirtschaft in ihren Privatinteressen zuwiderlaufen, im Weißen Kreis abgeschafft sein werden. Der Mieterschutz der Wohnungszwangswirtschaft wurde im Fall der Abrißmieter bereits vorzeitig aufgehoben: Bis 1968 waren es 6500 Haushalte, die von Maßnahmen zur Umbesetzung betroffen wurden. InAussicht genommen sind rechtswirksam z. Zt. über 50 000 Haushalte. Weitere 80.000 Haushalte gelten nach den - wenn auch groben -Kriterien der Bauverwaltung als sanierungsbedürftig. Was hat sich im Gegensatz zur bisher praktizierten Erhaltung von Gebäuden samt Einrichtungen, die teils mehr als 100 Jahre überdauert haben, in unserer Gesellschaft und in der Rolle, die dem Staat in ihr zufällt, derart geändert, daß nicht mehr - wie seit dem Ersten Weltkrieg - staatliche Kontrolle über den Wohnungsbestand und unbefristete Förderung von zusätzlichen Neubauten erforderlich erscheinen, sondern daß man meint, die Kontrolle über den Althausbestand aufgeben zu können, ohne das Ziel der Stadterneuerung zu gefährden? Immerhin besteht die Sanierung doch darin, die Fehler einer Vergangenheit zu korrigieren, in der uneingeschränkte Privatinteressen die Zukunft verbaut haben. Auf das Thema: Probleme des Zusammenlebens in Neubau-Siedlungen zugespitzt, hat man doch genauer zu fragen: Mit welchen Garantien rechnen die staatlichen Autoritäten, die sicherstellen könnten, daß die umgesetzten Mieter, sofern sie in Neubau-Siedlungen kommen, sich dort ebenso einfügen wie diejenigen Mieter, die aufgrund eigener - wenn auch nicht unbestimmter - Wahl sich zum Wohnen in einer neuen Siedlung entschlossen? Es sind die fügsameren unter den umgesetzten Mietern, die in den neu gebauten Vierteln nicht auffallen und sich nur die Sonderbarkeit gestehen, hin und wieder, aber auffällig regelmäßig bei dem früheren Kaufmann an der Ecke ihr Gemüse zu holen. Soll man zu dieser widersinnigen Erscheinung sagen: Das gibt sich früher oder später? Oder sollte man nicht lieber auf den Bauprozeß rückschließen, der solch monströses Verhalten hervorbringt?

Die Baupolitik des Berliner Senats hat mit den diesjährigen Bauwochen in der Ausstellung "Diagnosen" der jungen Generation der Architekten ihre eigenen Kritiker hervorgebracht. Die lehrreichste Diskussions-Veranstaltung war eine Konfrontation von Bewohnern des Märkischen Viertels mit den über ihre Köpfe hinweggehenden globalen und langatmigen Planvorstellungen von Senats-Baudirektoren. Stellvertretend für die Bewohner auch anderer Entwicklungs-Gebiete wie Britz/Buckow/Rudow und Falkenhagener Feld erfuhren sie den Grund, warum es in ihrer Siedlung zu wenig Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten gibt, und warum die Verkehrsverhältnisse auch erst später verbessert werden: Unter dem Druck, möglichst bald möglichst viele Wohnungen zu bauen, nahm man andere Pannen bei der Planung in Kauf. Was die Wohnungsbaugesellschaften dafür herhalten ließen, bei den diesjährigen Bauwochen mit sicherem Wohnen zu werben (sicher gegenüber dem künftigen Recht der privaten Althauseigentümer, angemessene Mieterhöhungen zu fordern und ihre Mieter andernfalls auf die Straße zu setzen), erwies sich als eine Zwangslage der staatlichen Wohnungspolitik: Indirekt war man durch die Zugeständnisse an private Interessenten (die Einführung des Weißen Kreises) gezwungen, der. sozialen Wohnungsbau gerade in Bezug auf die Sozial-Einrichtungen zu vernachlässigen. Weder diese Nachteile noch die ungünstige Lage der Entwicklungsgebiete am Stadtrand schlugen für die Mieter als Verbilligung aus, so daß die Miethöhe selber auch im sozialen Wohnungsbau problematisch wird. Bekanntlich sind in den Neubau-Gebieten Exmittierungen keine Seltenheit. Sie treffen ebensowenig wie der Vorwurf asozialen Verhaltens nur eine zu vernachlässigende Gruppe von Unangepaßten. Bereits eine kurze Krankheit kann bei der Zahlungsmoral, die die Baugesellschaften fordern - sie kündigen nach einem Monat Zahlungsrückstand -, zur Exmittierung führen. Nicht zuletzt die Industrie- und Handelskammer rechnete in ihrem Jahresbericht für 1967 dem Bausenat vor, daß die Mieten im sozialen Wohnungsbau zu hoch sind. Wie die IHK hervorhebt, sind die Baukosten je Wohnung im Bauprogramm 1967 gegenüber 1966 um ca. 7ooo DM für verbesserte Ausstattung und für den Bau von Parkpaletten gestiegen. Die CDU hat ihrerseits den Bau von Hochhäusern mit mehr als acht Etagen wegen der daber auftretenden Kostensteigerungen angegriffen. Diese Argumentationen vertreten jedoch nur scheinbar die Interessen der Mieter. Ein vollends kärglicher Wohnungsbau liegt nicht in ihrem Interesse. Sie haben auch nichts davon, daß die überhöhten Mieten im sozialen Wohnungsbau die Althausmieten durchschnittlich noch als billig erscheinen lassen. Und sie werden wenig davon haben, wenn der private Hauseigentümer mit den neuerdings gewährten Zinszuschüssen und durch die staatlichen Sanierungsprogramme zu Modernisierung oder Abriß in größerem Maße übergeht. Alles dies bedeutet Verteuerungen des Woh-nens, wie sie gesellschaftlich nicht notwendig sind. Denn der hohe Pegel der Mieten im sozialen Wohnungsbau rührt nicht daher, daß zu luxuriös gebaut wurde oder daß die Bauarbeiter zuviel Lohn bekommen. Wie die Unternehmensgruppe Neue Heimat in ihrem Bericht für 1966 nachwies, ist der Anteil der Löhne an den Umsätzen in der Bauwirtschaft seit 1950 geringer geworden (von 40 % 1950 auf 30 % 1965). Was die IHK allerdings als Erfolg verbuchte, daß nämlich der Anteil der privaten Hypotheken an der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahren auf mehr als ein Viertel gestiegen ist: das ist in Wirklichkeit bestimmend für die Höhe der Sozialmieten. In einer wissenschaftlichen Arbeit über die Finanzierung künftiger Sa-»» nierungsarbeiten, die 1962 der Universität Münster vorlag, wurden verschiedene Finanzierungstypen vorgerechnet. Dabei wurde für jeden Typ gegenübergestellt, wie die Mieten ausfallen je nach dem, ob eine erste Hypothek aufgenommen wird oder mehr öffentliche Mittel zur Verfügung stehen.

Bei dem Baukostentyp, der den Verhältnissen bei uns heute entspricht, ergibt das einmal die heute üblichen Mieten von über 3 DM pro qm, und das andere Mal Mieten von l, 50 DM. Es ist also eine durchaus reale Möglichkeit, etwa die öffentlichen Gelder, die heute für den Abriß von Wohnungen gezahlt werden, zunächst für eine wesentliche Verbilligung der Sozialwohnungen zu verwenden, so daß mehr Mieter die abgewirtschafteten Gebiete von selbst verlassen können.

Gewiß sind diese Finanzierungsfragen heute nur wenigen Spezialisten bekannt. Man sollte sich jedoch nicht täuschen und annehmen, daß nur Spezialisten die Erfahrung machen, daß das Profitprinzip auch bei den Gemeinnützigen seinen Teil fordert. Durch die 1970 endgültige Einführung des Weißen Kreises in Berlin wird die Komplicen Schaft des Senats mit einer Gruppe von Eigentümern deutlich, die bislang so gut wie keine ökonomischen Leistungen für das Privileg gegeben hat, aus Objekten Renten zu entnehmen, die längst ein Vielfaches der Amortisation ausmachen.

Wie die SPD-Bundestags-Abgeordnete Berder-Heise kürzlich in Kreuzberg erklärte, betrachtet sie als Ausweg aus den Miet-Problemen der Neubau-Siedlungen die Arbeit von Genossenschaften. Bei der GeHAG wird man wissen, daß ohne genossenschaftliche Initiative in der Tat wenig zu erreichen ist. Sie werden aber vermutlich bei näherer Kenntnis der Dinge nicht die Einschätzung von Frau Berder-Heise teilen, daß die Investitions-Fonds der DEGEWO eine ausreichende genossenschaftliche Organisation darstellen zur Sicherung der Interessen der Lohnabhängigen: Es stimmt, mit Hilfe dieser Investitions-Fonds soll die Sanierung im Wedding finanziert werden.Nach den vorliegenden Statistiken für die ersten dreiInvestitions-Fonds ist aber soviel sicher, daß unter den Anteilszeichnern nur 10 % Arbeiter sind. Zwei Drittel sind Angestellte und Beamte. Von den finanzierten Wohnungen wurde die Hälfte von Anteilszeichnern bezogen. Die andere Hälfte der Wohnungen wurde von Mietern bezogen, unter denen vielleicht mehr Arbeiter sind. Die Mieter werden aber nach gut zwanzig Jahren zusätzliche Gewinne auf die nicht kündbaren Anteile der Kleinkapitalisten finanzieren, indem die Mieten gleich hoch bleiben: Denn die Miethöhe berechnet sich nach den Kosten der ersten zwanzig Jahre, in denen das Fremdkapital mit Zinsen getilgt werden muß (das macht heute zwei Drittel der Mieten aus). Danach gelangt das gesamte Mietaufkommen zur Ausschüttung an die Anteilszeichner - was allerdings ganz deutlich nur in der Zeitschrift der Haus- und Grundeigentümer gesagt wurde.

Ich habe diese Dinge deshalb angeführt, weil ich vermute, daß in all den versteckten oder offenen Formen des Protests von Mietern gegen die neue Kärglichkeit, die viele Neubausiedlungen darstellen, das richtige Bewußtsein enthalten ist: daß man hier verschaukelt wird - wenn nicht Schlimmeres, nämlich verraten und verkauft. Und ich habe deshalb so verschiedene kritische Punkte erwähnt, wie es der Vandalismus und die Anteilsscheine beim DEGEWO-Fond sind, um die Reichweite des Themas darzustellen, die sich ergibt, wenn man das Thema Sanierung unter dem Gesichtspunkt behandelt, daß durch Aufklärung und praktische Kritik erst eine wirkliche Sanierung möglich ist. Die Aufgabe genossenschaftlicher Organisationen wäre es heute, diese praktische Kritik voranzutreiben, und zwar dort, wo nach Auflösung der Wohnungsämter das praktische Bedürfnis nach Selbstorganisation entsteht: in den Bezirken, einzelnen Vierteln und Häuserblocks. Die GeHAG kannte in ihrer Anfangszeit die Organisation von Mieter-Versammlungen und Mieterräten.

Diese Organisationsformen sind in der gegenwärtigen Situation nicht in Gefahr, zur Belanglosigkeit herabzusinken oder kurzgeschlossenen erzieherischen Vorstellungen von Architekten zu dienen. Die Aufklärung der betroffenen Mieter über geplante Sanierungs-Maßnahmen, die z. B. in Kreuzberg durchaus unterschiedlich durchzuführen sind je nach dem, ob die Randbebauung der Blöcke womöglich erhalten werden soll oder nicht; die Frage der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus und der Sozialeinrichtungen, die heute fehlen; die Frage der richtigen ökonomischen Bewertung des privaten Haus- und Bodeneigentums: inwiefern es marktwirtschaftlich funktioniert oder rein parasitär ist - diese Probleme nicht bloß zu benennen, sondern ihre Lösung vorzubereiten - wird Aufgabe der lokalen Selbstorganisation von Mietern in Mieter-Räten sein. Anders als in den Betrieben haben die Mieter im eigenen Haus keinerlei Rechte zu demokratischer Selbstverwaltung - solange sie diese Rechte nicht selber in Anspruch nehmen: Niemand wird sie daran hindern, etwa bei der nächsten Mieterhöhung vom Hauswirt die Offenlegung seiner Rechnungen zu verlangen - vorausgesetzt, man hat eine Mehrheit von Mietern auf seiner Seite. Diese Solidarität zu organisieren, dürfte aber einem Hauswart nicht schwerfallen, dem gegenüber die Mieter meist so etwas wie Schuldgefühle haben. Vielleicht können Sie bei Kollegen, die für private Hauseigentümer arbeiten, diesen geringen Grad von rebellischem Verhalten erreichen. Der Weg über die Gewerkschaften dürfte jedenfalls erfolglos bleiben: Zur selben Zeit, wo dem Bundestag das Verlangen des DGB-Vorsitzenden Sickert vorliegt, den Weißen Kreis für Berlin auszusetzen, stellen die Wohnungsämter in den Bezirken bereits ihre Arbeit ein.