WALTER HOLLSTEIN

Untergrund und Opposition in Amerika

Probleme und Etappen der Konsolidierung jugendlichen Protests in den USA

aus: Die hedonistische Linke, herausg. v. Kerbs, Diethart,
Neuwied und Berlin 1971, S.48ff

Von Beobachtern wird die amerikanische Opposition zumeist recht undifferenziert in zwei große Gruppierungen aufgeteilt: Der einen, die von der "Progressive Labor Party" bis zu den Black Panthers reicht, wird das Attribut 'politisch' zugestanden; die andere, welche Hippies und Yippies, Crazies und 'underground' umfassen soll, wird als un- oder gar apolitisch bezeichnet und damit a priori disqualifiziert.

Ein zweites Interpretationsmuster unteerscheidet innerhalb der amerikanischen Opposition wenigstens zwischen vier Gruppierungen:

  1. die Organisation der 'coloured people' - Schwarze, Indianer und die Mittelamerikaner in den Ghettos der großen Städte und unter den Landarbeitern des Südwestens. Hinzugerechnet werden hier auch jene Gruppen, die sich um Ausgleich und Versöhnung der Rassen gesorgt haben oder sorgen, wie bei spielsweise das 'CORE' ("Congress of Racial Equality") ,
  2. die Linksparteien und parteiartigen Gebilde wie die amerikanische KP, die "Progressive Labor", die "Freedom Democratic Party" mit ihren diversen Ablegern, die trotzkistische "Socialist Workers' Party", die "Young Socialist Alliance" und .die liberal-radikale "Young People' s Socialist Ligue" u. a. ,
  3. die 'Neue Linke' - in den USA oft auch als 'new radicals' bezeichnet - mit einem gemäßigten und einem revolutionären Flügel. Zum 'gemäßigten' Teil der "New left" sollen die antiwar-Gruppen und die "Liberation"-Bewegung ebenso gehören wie die "social workers" und die "community"-R.epräsentanten mit ihrer Arbeit in Basisgruppen, Fabrikkomitees, Stadtteilen, Quartieren; in den Ghettos, den primären Armutszonen etc. Als 'revolutionär' benennt man vor allem die "Students for a Democratic Society" (SDS) mit ihren vier wesentlichen Fraktionen: SDS-WSA (Worker-Student-Alliance), SDS-Weathermen, das maoistische SDS-Revolutionary Youth Movement um die Gruppe Klonsky und schließlich die SDS-Politkomissäre mit ihrem Agitationsauftrag in Kommunen, Gemeinschaftszentren .und gegengesellschaftlichen Institutionen ( 1 ),
  4. die "hip-culture" mit den Blumenkindern (Hippies), den 'underground' , der "Youth International Party" - den Yippies also -, den Crazies, den verbliebenen Beats und - gewissermaßen eine Stufe tiefer - mit der ganzen Pop-, Woodstock- und Drogenszene (2).

In dieser Unterteilung fehlen u. a. Gruppierungen wie die "Women's Liberation", die Squatters mit ihren bedeutenden Aktionen auf dem Immobliensektor, die "new life"-Bewegung und die "Utopisten", die "Transcendental Students" und die Diggers. Abgesehen davon, daß die bezeichneten Einteilungen per se mangelhaft sein müssen, hat die soziale Wirklichkeit Nordamerikas die sturen Schemata längst überholt: Heuer gibt es zum Entsetzen vieler Interpreten etwa revolutionäre Blumenkinder und hippide Weathermen.

Auch hier, wo es um die Hippies, die Yippies und den im gewissen Sinne übergeordneten Begriff des 'undergro:und' gehen soll, repräsentieren diese Termini nur Annäherungswerte, aber keine kategorialen Begriffe, unter die sich nun alles, was lange Haare hat und irgendwie von gesellschaftlicher Veränderung in den USA handelt, subsumieren ließe.

Konkret sei noch einem anderen und allfälligen Mißverständnis widersprochen. Gemeinhin wird der 'underground' , wie es Leona Siebenschön in der "Zeit" stellvertretend für die gesamtbürgerliche Presse tut, als "Beat- und Drogenszenerie" (3) definiert (4). Auch den linksgerichteten Publikationen und roten Korrespondenten fällt, wenn sie an Hippies denken, nur die genau gleiche Begriffsbestimmung ein. Das gilt auch für angeblich grundsätzliche Auseinandersetzungen mit dem 'underground'. In einer als marxistisch ausgegebenen Analyse von Gegenkultur und 'underground' meint Stefan Paul, daß der 'underground' ein "reines ingroup-Modell" sei, "durchaus auf eine jüngere Generation bezogen, deren Identifikationsmerkmale an der Physiognomie, Kleidung, Haartracht erkennbar sind" (5). Im "Kürbiskern" glauben Buselmeier und Schehl, daß Yippies, Hippies und Diggers die "avantgardistischen Hofnarren des Kapitalismus" seien und sich die Emanzipationsmodelle des 'underground' auf die halluzinogene Praxis, Pop-Musik, Happenings und Pop-Art beschränkten (6). Blumenkinder erscheinen in der deutschsprachigen Linkspresse stets als naive Blumenbinder und Leute wie Allen Ginsberg, Jerry Rubin, Abbie Hoffman, Peter Berg u. a. im günstigsten Fall als partiell brauchbare Hlandlanger der ' Revolution'. Der 'underground.' wird auf light-shows, Rauchstäbchen, Hasch und seltsame Kleidung reduziert .und innerhalb dieser Interpretation durchaus stimmig als bloßes Überbau-Phänomen der spätkapitalistischen Gesellschaft abgelehnt (7).

Im Falle der Rezeption des 'underground' reproduziert die Linke, was der bürgerlichen Publizistik bei der Beschreibung solcher Erscheinungen eigen ist: der Untergrund wird auf seine ästhetische Oberfläche festgelegt und die kritische Auseinandersetzung mit ihm verschwindet in der erbosten Denunziation von Hasch, Sex, Musik und konsumierbarer Erotik. Auch das solcherart Kritisierte gibt es (8). Daß es gegenwärtig in der Pop- und Drogen-Szene der USA sichtbarer ist als das andere, kann aber nicht bedeuten, daß es den 'underground' quantitativ und qualitativ bestimmt. Eine eigentliche Drogen-Szene gab es in der Entstehungsphase des Untergrundes nicht; Drogen wie Hasch und LSD, die nicht sucht-bildend wirken, wurden von den Gurus der Bewegung nur temporär zur "Bewußtseinserweiterung" empfohlen. Als jedoch der intendierte Wandel der Umwelt durch "love" und durch "flower power" sich nicht unmittelbar realisierte, verlegten viele den Akzent von der allgemeinen Veränderung einseitig und absolut auf die individuelle. Innerhalb dieses Prozesses falscher Verinnerlichung sollte die Droge die Betroffenen "von den hinderlichen Einflüssen der Außenwelt reinwaschen". (Allen Cohen). Was der verstärkte Drogen-Konsum indessen tatsächlich bewirkte, war keine "Purifizierung der Individuen", sondern deren Passivierung und Isolation. Nur konsequent wurde die Droge nun zum Rauschmittel; womit sich eine verselbständigte Drogen-Szene herausbildete, die bald mit dem Untergrund nichts mehr zu tun hatte und in die kriminellen Sektoren der Subkultur abglitt.

Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich mit der Pop-Musik im Untergrund (9). Als noch niemand von den großen Festivals wußte, weil es sie noch gar nicht gegeben hatte, war das Pop- und Hippie-Leben anders gestaltet. Es gab keine Promoters; es gab keine Geschäftsleute, und es gab keine zahlenden und konsumierenden Zuschauer. Es gab nur Blumenkinder, die ihre "free concerts" selber organisierten. Die Pop-Gruppen spielten, ohne Honorar zu verlangen, und die Hippies tanzten, ohne bezahlen zu müssen. So war es insbesondere an der amerikanischen Westküste, aber auch überall dort, wo Blumenkinder lebten. Voller Wehmut notiert die ' Los Angeles Free Press': "Es gab einmal eine Zeit, da wurden keine Festivals organisiert, weil sich Leute zum Beispiel in einem Park zusammentaten und ohne Geld für alle musizierten. Da kamen dann die richtigen Leute, um zu singen und zu tanzen, um Musik zu machen und 'auf die Reise zu gehen'. Damals gab es keine Rockers, keine Veranstalter, keine Geldinteressen, keine Polizei. Dann aber kam die Zeit der Kommerzialisierung, dann kam Woodstock und mit ihm der Traum aller Kapitalisten, noch mehr Geld mit dem Pop zu machen" (10).

Schon vor Woodstock war den Experten aus der Musikbranche den Schallplattenfirmen und den Festivalveranstaltern aufgefallen, wie sehr der Jugend die Hippie-Orchester und deren neue Musik gefielen. Man witterte ein Geschäft und hatte mit dieser Annahme auch durchaus recht. Besitzer und Manager von Tanzhallen, Musik-Tourneen, Schallplatten-Firmen, TV-Programmen .u. a. kauften die Pop-Musik auf und warfen deren Erzeugnisse auf den stets aufnahmebereiten Markt des kapitalistischen Kulturbetriebs. Viele der musizierenden Hippie- Gruppen wie die 'Jefferson Airplane' , 'Quick Silver Messenger Service' , 'Trans Atlantic Train' , 'Blackburn and Snow' , 'Mojo Men' u. a. wurden in Show- und Vergnügungs-Orchester umgewandelt. Die US- Unterhaltungsindustrie kaufte auf, was aufzukaufen war, so zum Beispiel den 'Electric Circus' in New Yorks East Village, die 'Avalon' und die 'Fillmore' in San Francisco, wo einst die Pop-Gruppen der Blumenkinder-"community" gratis musiziert hatten. Große Festivals a la Woodstock und Isle of Wight brachten den Bossen des Show-Business gewaltige Gewinne.

Trotzdem wäre es falsch, die Pop-Szene nun pauschal als korrumpiert zu verdammen. Die Pop-Musik war gewiß nie ein revolutionäres Phänomen; das haben stets nur jene behauptet, die sich jetzt darüber entrüsten, daß sie es nicht mehr sei. Aber die Pop-Musik hat Zehntausende von unpolitischen Jugendlichen in erste Opposition zur amerikanischen Gesellschaft gebracht. Mike Wadleigh, der Regisseur des Woodstock-Films, meint dazu: "Die Festivals waren niemals als politische Manifestationen gedacht. Aber es waren Manifestationen eines ganz neuen Lebensstils, der politische Auswirkungen haben wird" (11). Tatsächlich hat das Erlebnis von Freundschaft Kommunikation, Liebe, Unabhängigkeit und Autonomie bei den Festivals und den 'free concerts' einer Vielheit gezeigt, daß heuer eine Gesellschaft ohne Haß, Krieg, Terror, Repression und Angst möglich wäre. Selbst über die schon kommerzialisierten Tage von Woodstock konnte die Zeitschrift 'Rolling Stone' noch schreiben: "Wie man die Sache auch drehte, von jedem Standpunkt oder Blickwinkel aus boten die von Rock-Fans überzogenen Hügel Bilder von solcher Unvorstellbarkeit, daß es fast unmöglich ist, sie mit Hilfe des Wörterbuchs der Gemeinplätze zu beschreiben. Keine Demonstration des Tages, keine politische Aktion hatte diese Heerscharen zusammengebracht; kein Kongreß, kein kulturelles Ereignis hatte je zuvor ein so dringendes Bedürfnis nach Verbrüderung und Selbstprüfung erzeugt. Es gab einige bedauerliche Nebenerscheinungen; dabei aber den Enthusiasmus einer Generation, die endlich ihr eigenes Territorium gefunden hatte, unberücksichtigt zu lassen., hieße die Welt eindimensional definieren zu ,wollen . . .Das Woodstock-Festival lieferte einen Rahmen, in dem all diese Dinge (Freiheit, Freundschaft, Liebe u. a. , wh. ) natürlich waren, verführerisch und offen sichtbar. Nicht, daß man über Nacht das Problem der Repression gelöst hätte; aber mit dem Festival war ein Ort geschaffen, an dem Freiheit möglich war."(12)

Richtig ist an dieser Stelle natürlich der Einwand, daß das beschriebene Erlebnis von Musik, Kommunikation und Autonomie als solches nicht ausreicht, um gesellschaftlichen Wandel direkt zu intendieren, wenn nicht der bewußte Wille zur Organisierung der "oppositionellen Regungen" hinzukommt. Zumeist bleibt die gewonnene Erfahrung von anderen Möglichkeiten dieser Gesellschaft tatsächlich vergleichsweise unverbindlich. Was den eigentlichen Untergrund mit seinen gegengesellschaftlichen Modellen von diesen subkulturellen Manifestationen der Pop-Szene unterscheidet, ist die wesentliche Differenz zwischen Alternanz und Alternative. Den 'underground' kennzeichnet nicht die Alternanz in der bürgerlichen Gesellschaft, wie das für die Pop-Szenerie weithin der Fall ist, sondern die Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft.

Nun kann freilich aus Desintegration in der Praxis zweierlei bedeuten; sie kann Ansatz zu Lösungen sozialer Übel sein und andererseits zur Flucht vor den bestehenden Widersprüchen werden: Die Entscheidung über den Weg zu jenem Ziel oder dieser Sackgasse fällt stets, wenn es gilt, aus dem verbal erklärten Anderssein konkret eine sozio-politische Alternative zu entwickeln, die sich nicht mehr in die bestehende Gesellschaft integrieren und von dieser sich nicht mehr kommerzialisieren läßt. Das heißt, daß dem 'underground' , will er sich nicht selber korrumpieren, der Schritt von der Subkultur zur Gegenkultur gelingen muß. Subkultur bezeichnet dabei einzig den akzidentiellen Dissens von der herrschenden Kultur, welcher zeitlich beschränkt in eigener Kleidung, Mode, Gruppenbeziehungen und Verhaltensweisen szch ausdrückt; Gegenkultur bedeutet die gegenständlich gewordene Alternative zum Arsenal der bestehenden Widersprüche in dieser kapitalistischen Gesellschaft.

Die erste Bewegung, die gegengesellschaftliche Ansätze in Kommunen, workshops, Gemeinschaftshäusern u.a. realisierte, war die amerikanische 'Beat Generation' (13); die Peaceniks, 'New Radicals' und dann vor allem die Hippies (14) verstärkten die Versuche der Beatniks, indem sie in größerem Rahmen Kommunen, Siedlungen, Farmen, Arbeitsstätten, Zeitungen u. a. aufbauten. Vor allem die Diggers (15) und die Yippies (16) formulierten die Absicht, daß die gegengesellschaftlichen Ansätze dazu benutzt werden müßten, die Gesamtgesellschaft zu unterhöhlen und zur Auflösung zu zwingen. Die 'Weathermen' entwickelten diesen Gedanken extrem weiter. Dem Gesamtphänomen dieser vornehmlich jugendlichen Protestbëwegungen wurde der Name "underground" (Untergrund) zuteil, den schon die Beats für sich dem Vokabular der politischen Widerstandsbewegungen entnommen hatten (17).

Zeigt sich der 'underground' im deutschsprachigen Gebiet, sofern es ihn überhaupt gibt oder er sich nicht nur die amerikanische Wortetikette gesichert hat, weithin tatsächlich als kommerzialisierbare und zumeist auch schon kommerzialisierte Kulturwelle (18), so ist es einem "harten Kern" von Hippies, Yippies und R.adikalen in den USA gelungen, im 'underground' bedeutsame Ansätze zu einer Gegengesellschaft zu verwirklichen (19), Die Genannten sind zu neuen Ufern aufgebrochen, nicht um; wie vermeint, Inseln und Oasen zu finden, auf denen man sich's bloß gut gehen läßt, sondern um Basen aufzubauen, von denen aus an der gesamtgesellschaftlichen Veränderung gearbeitet wird. Das darf andererseits nicht heißen, wie der französische Soziologie Edgar Morin in seinem Buch 'Journal de Californie' schreibt, daß Hippies und Yippies nun die wirklichen und einzigen Revolutionäre seien (20).

Heute ist es möglich, die gegengesellschaftlichen Versuche des amerikanischen 'underground' nach einem vier- bis fünfjährigen Weg durch Täuschungen und Selbsttäuschungen, wie sie keiner sozialen Bewegung erspart bleiben, realitätsgerechter einzuschätzen (21). Um zunächst deskriptiv anzudeuten, um was es geht, sei ein Zitat aus dem Brief wiedergegeben, den die New Yorker 'Weathermen' an die underground-Zeitschrift "Rat" schrieben und der dort am 6. .Januar 1971 veröffentlicht wurde. Darin heißt es u. a. : "Unser so beweglicher Lebensstil hat es uns ermöglicht, das ganze Land zu sehen. Wir haben keinen Ort, keine Stadt, keine Metropole gefunden, wo die Tugend nicht begänne, ihr Leben im Zeichen der Revolution zu begreifen. Gewöhnlich beginnt es mit Musik und Drogen; doch die meisten sehen das nicht als Endzweck an. Sie gehen weiter. So entstehen überall Kommunen und Verbände, ärztliche Hilfe, Wohnungsbau, Transport. Diese Menschen betrachten sich als große Familie und die Revolution als ihr Leben. Das ist bereits eine Massenbewegung".

Es wäre nun, wie das schon geschehen ist, falsch und vor allem vermessen, solche gegengesellschaftlichen Ansätze mit dem Leninschen Konzept der "Doppelherrschaft" zu vergleichen: Es handelt sich bei all diesen "counter-institutions" vorläufig nur um "liberated zones" (befreite Gebiete) innerhalb der bestehenden Gesellschaft, die kämpferisch erweitert werden sollen (22).

Das heißt , daß es heute in den USA nicht mehr - wie etwa zu Zeiten der 'beat generation' - darum geht, Freiräume zu finden, in der man die eigene Emanzipation leben kann, sondern vielmehr darum, - und das bezeichnet den wesentlichen Unterschied zwischen Eskapismus und Engagement - sich für die "Befreiung okkupierten Raumes" einzusetzen. Nun könnte der Einwand kommen, daß selbst dieser "Aktivismus" nichts an der Situation der amerikanischen Massen ändere. Auf deutsche Gegenkultur bezogen, wäre in diesem Zusammenhang jene Überlegung zu zitieren, die das Scheitern der Berliner Kinderläden legitimieren sollte: "Die Genossen haben daher das Argument, sie drückten sich vor der konkreten Erziehungsarbeit, immer wieder dahingehend berichtigt, daß sie sich weigern, eine Praxis weiterzumachen, die darauf hinausläuft, die eigenen Kinder in ihrer privilegierten Gruppe der Bevölkerung besser zu erziehen, ohne an der Situatzon der Massen etwas zuverändern" (23). Solche Argumentation ist einigermaßen gefährlich, wiewohl sie tendenziell Richtiges enthält. Die beste Tendenz ist aber falsch, wenn die die Haltung nicht vormacht, in der man ihr nachzukommen hat; darauf hat dem Sinne nach bereits Walter Benjamin hingewiesen. In der beschrieben.en Ansicht zielt überdies ein Aktivismus, indem er sämtliche gesellschaftliche Voraussetzungen mißachtet, dahin, den letzten Schritt vor dem ersten zu tun: Das Endziel der Revolution wird antizipiert - freilich bloß rhetorisch -, und aus genau diesem Grund endigt,solche Haltung im Scheinradikalismus, der dann nur noch schwatzt und nichts mehr tut (24).

Wie vollzog sich nun die Entwicklung des amerikanischen 'underground' ? Man muß zwischen einer introvertierten Phase der 'Zellenbildung", der Reflexion und des inneren Aufbaus unterscheiden, die bis in den Herbst 1968 hineinreichte, und der extrovertierten Phase der direkten Aktionen in Quartieren, Stadtteilen, Ghettos, Fabriken und Dienstleistungsbetrieben, die nach den gewaltigen Yippie-Manifestationen in Chicago anläßlich der "Democratic National Convention" einsetzte. In der ersten Phase, die sich topographisch vor allem auf die Hippie-Zentren in San Francisco's Haight-Ashbury und in New York's East Village fixieren läßt, herrschte zunächst die pathetische Konfusion der 'love power' und eines neuen " community"-Gefühls, das glaubte, schon durch die radikale Umkehrung der amerikanischen Wertordnung die Gesellschaft zur freiwilligen Veränderung animieren zu können. Was seinerzeit in den Hippie-Quartieren regierte, kann man als Primitivkommunismus ohne organisatorische Basis bezeichnen. Die konsequente Folge war denn auch die Veräußerlichung der Bewegung im Sommer 1967 (25).

Aber schon zu dieser Zeit begann die Strukturierung des "underground", die von einer Gruppe von Aktivisten, "Diggers" genannt, in Angriff genommen wurde (26). Die Diggers organisierten:

  1. Schlafmöglichkeiten, aus denen bald die ersten Kommunen und Gemeinschaftshäuser wurden,
  2. die Distribution von Nahrungsmitteln, die von sog. "free farms" in die Hippie-Zentren der Städte geschafft wurden,
  3. Gemeinschaftsdienste wie "free stores", "free shelter", "free doctors" etc. (27),
  4. Ansätze einer Produktion in einem Neo-Handwerk, das Posters, pittoresken Schmuck u. a. herstellte und zum Teil an Boutiquen weiterverkaufte.

Diese Beispiele ließen, indem sie die Selbstinitiative der Blumenkinder anregten, bald überall Gemeinschaftshäuser und -küchen, Zentren, Werkstätten, Nachbarschaftshilfe, Unterstützungsbüros, Arbeitsvermittlungen und Aktionskomitees entstehen. Zehn- und später Hunderttausende lernten damals zum erstenmal, ihr eigenes Leben selbst zu organisieren (28).

Dabei erkannten die Hippies, wie sehr die Menschen der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem höchsteigenen Leben die repressive Struktur der Sozietät reproduzierten. Die Blumenkinder entdeckten in sich selbst die kapitalistischen Normen, was für sie konkret und täglich die Auseinandersetzung mit verinnerlichten Zwängen, Aggressionen, Sprach- und Kommunikationsbarrieren, introjizierter Gewalt und mit dem Widerspruch zwischen Öffentlichem und Privatem bedeutete. In dieser Auseinandersetzung ist, was diese Epoche der 'underground' -Bewegung angeht, ein wichtiges Moment zu sehen: Die Hippies wiesen Wege, wie der Einzelne im Kollektiv und dort in einem bewußten Lernprozeß seine Identität erweitern kann.

Diese Entwicklung vollzog sich zunächst in einiger - zumeist sogar recht erheblicher - Distanz zur politischen Arbeit, ohne sich indessen in Abstraktion von der letzteren zu realisieren (29). Die Auflösung innerer Zwänge, Widerstände und Ängste wurde vielmehr zur Voraussetzung politischer Aktion, und es ist kaum anzunehmen, daß die tagelange, gewaltige Konfrontation von Chicago hätte wirklich werden können, wenn nicht vorher verhärtete Charakter- und Autoritätsstrukturen aufgehoben worden wären.

Diese Arbeit wurde in den Kommunen und Gemeinschaftshäusern möglich, wo

  1. die Isolierung des Einzelnen beseitigt war,
  2. eine gemeinsame Ökonomie Existenzdruck und Leistungszwang verminderte,
  3. die individuellen und kollektiven Wünsche koordiniert werden konnten,
  4. mehr Zeit und Mittel für die Erfüllung der Aspirationsbedürfnisse zur Verfügung standen,
  5. der Widerspruch zwischen privater Existenz und gesellschaftsveränderndem Engagement vermindert war.

Schwieriger war es, das gemeinsame Leben jenseits der Wohnstätte, also insbesondere im Arbeitsbereich zu verwirklichen. Identätit konnte hier nur in den vielen landwirtschaftlichen Kommunen hergestellt werden und in zweiter Linie dort, wo ganze Wohnkollektive gemeinsam Heimarbeit verrichteten. Dieser Aufbau der gegengesellschaftlichen Lebens- und - in bescheidenerem Ausmaße - Produktionsgemeinschaften verlangte von den Hippies zunächst einmal ein existentielles Engagement. Wiewohl viele ,underground' -Leute bald selber Zusammenhang und Notwendigkeit von existentiellem und politischem Engagement erkannten, geschah die Vermittlung zwischen beiden doch vor allem durch Anstöße von außen. Im Herbst begriff zunächst die Friedens- und 'Liberation' -Bewegung, dann auch der SDS und die radikalen Studenten, daß in den 'underground' -Zentren eine weithin noch unbestimmte Negation der politischen Zustände in den USA in ein Potential aktiven Widerstands überführt werden kann. Schon im Frühjahr 1968 erfolgte dann die erste gewaltsame Konfrontation der Hippies von San Francisco mit der Polizei, und die Ereignisse von Chicago ließen nicht auf sich warten. Aus den Hippies waren Yippies geworden.

Wichtiger als diese direkten Auseinandersetzungen mit den Agenten der R.epression dürfte jedoch sein, daß die gewissermaßen "vorpolitischen" Institutionen der Gegengesellschaft im Untergrund sich eine sozio-politische Perspektive gaben, indem sie von der Selbstgenügsamkeit und "Autarkie" zur Absicht strebten, gesamtgesellschaftlich tätig zu werden. Das kann u. a. am Beispiel der amerikanischen 'underground' -Presse erklärt werden. Die 'underground' -Zeitungen bildeten 1966/67 noch ein Konglomerat diverser konkurrierender oder verbindungslos nebeneinander herwirtschaftender Blätter mit weithin unpolitischem Inhalt. Heuer gibt es nahezu 500 politisierte 'underground' -Zeitungen, die ein höchst wirksames kommunikatives Gegensystem zur bürgerlichen Medienindustrie in den USA aufgebaut haben und mittlerweile mehr als fünf Millionen Leser in Nordamerika erreichen (30).

Effizienz und Politisierung der 'underground' -Presse ist das Verdienst der amerikanischen Antikriegs-Zeitungen und der 'Liberation' -Gruppe, die sich der 'underground' -Presse annahmen, den 'Liberation News Service' mitbegrizndeten und die 500 Blätter im 'Underground-Press-Syndicate' zusammenfassen halfen. Mittlerweile ist das 'Underground-Press-Syndicate' (UPS) die Zentrale der besten Gegeninformation der Welt mit eigenen Korrespondenten, Genossenschaftsdruckereien, Vertriebsorganisationen und Gemeinschaftshäusern.

Jede Untergrund-Zeitung ist Sprachrohr einer 'community' und übernimmt zudem agitatorische Aufgaben nach außen wie beispielsweise die 'Free Press' von San Diego gegenüber den amerikanischen Marinesoldaten oder wie 'Rat' gegenüber den Frauen von New York.

Wie die 'underground' -Presse überall in den USA präsent ist, so zieht sich inzwischen ein Netz gegengesellschaftlicher Einrichtungen vom 'crisis center' über die Kommunen bis zu den 'free stores' und den landwirtschaftlichen Produktionskollektiven über Nordamerika. Entgegen ihren Anfängen arbeiten die meisten gegengesellschaftlichen Institutionen des 'underground' heute überall mit der Bevölkerung zusammen (31 ) .

Was in den Aktionszentren wie auch in den anderen Institutionen des 'underground' erreicht wird, ist nun keine passive Ausnutzung von Freiräumen mehr, sondern die Schaffung "befreiten Terrains", welches seine Aggressivität gegenüber dem System bewahrt und gegen dessen Widerstand eingenommen wurde. Die wahrhaft entfesselte Repression der amerikanischen Autoritäten zeigt am deutlichesten an, wie die Expansion des 'underground' in den letzten Jahren fortgeschritten ist.

Die erreichte Expansion in der Auseinandersetzung mit dem System hat vor allem auch das Bewußtsein der "Kämpfenden" geformt. Das heißt: Die "Umstrukturierung des sozialen Raums ", um einen Ausdruck von Merleau-Ponty zu verwenden und die damit verbundene Anwendung eigener Kraft gegen den erklärten Widerstand der Bourgeoisie, hat dem 'underground' viel prägsamer gezeigt, wo sein Standort in der Gesellschaft ist als die vormals doch recht abstrakte "Referenz gegenüber der klassischen revolutionären Theorie. Für die 'underground' -Leute war und ist Klasse nicht so sehr, Klasse geschah und geschieht vielmehr, indem gemeinsame kämpferische Erfahrung die Identität gleicher Interessen und des gleichen Gegners vermittelt .

Der Einwand, daß der 'underground' selber ein Phänomen von Bürgersöhnen und -töchtern sei, ist in diesem Zusammenhang wenig relevant. Abgesehen davon, daß sich die Radikalisierung von Minoritäten kaum je in deren Elend vollzogen hat, scheint es bedeutend zu sein, daß die Zurückweisung bourgeoisen Lebens das in den USA als allgemein verbindliches präsentiert wird, genau von jenen kommt, die diese bürgerliche Existenz in ihren komfortablen, manchmal auch luxuriösen Formen selber gelebt haben. Ihre Situation und Erfahrung machen es ihnen möglich, die Schwächen der kapitalistischen Gesellschaft zu begreifen und zum Versuch einer neuen sozialen Organisationsweise in der Gegengesellschaft fortzuschreiten, welche den - im R.ahmen der bestehenden Verhältnisse - nicht zu befriedigenden Bedürfnissen der Zeitgenossen entspricht.

Dieses Vorgehen verlegt unzweifelhaft deri Akzent vom Produktions- in den Konsumtionssektor. Eine andere Strategie bietet sich in den USA gegenwärtig jedoch kaum an, zumal die Widersprüche der Kapitalverwertung im Konsumbereich Nordamerikas deutlicher erfahrbar sind als im Produktionssektor.

Die einseitigen Anstrengungen, die Konfliktlosigkeit im ökonomisch-politischen Bereich zu institutionalisieren, verhindern nämlich weithin die Investitionen für so kollektive Bedürfnisse wie Erziehungswesen, Städtebau, sozialer Wohnungsbau, öffentliche Gesundheit und Hygiene, öffentliche Sicherheit, Kampf gegen die Verschmutzung von Luft- und Gewässern, Transport, Qualität der Produkte, Schutzlosigkeit auf den Straßen u.a. .

Neben diesen Mängeln im instituionellen R.ahmen der bestehenden amerikanischen Gesellschaft zeigen sich andere, die noch weniger befriedigt werden können und insonderheit die Human-Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Kontakt, Freundschaft, Liebe, Glück und individueller Entfaltung betreffen.

Material aus nordamerikanischen Meinungsumfragen beweist, daß dieses Negative gefühlt wird, ohne daß.màn es allerdings richtig vermittelt auf die Struktur der bestehenden Sozietät bezieht. So bleibt die Kritik unscharf. Man spricht - und das immer häufiger - von Unbehagen, Stress, Langeweile und Überdruß. Im 'Port Huron Statement' der "Students for a Democratic Society" heißt es dazu wohl richtig, daß die Zufriedenheit der Massen nur oberflächlich über eine tiefersitzende allgemeine Besorgnis gespannt ist. In Wirklichkeit möchte man "an eine wirkliche Alternative zum jetzigen Zustand glauben" können, "an die Möglichkeit, die Verhältnisse in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Regierung zu ändern"(32).

Da die Mehrheit der Amerikaner aber keine Alternative zur gegenwärtigen Gesellschaft konkret sinnlich sieht, reagiert sie, sobald eine Krise droht, mit dem Rückzug auf verhaltenssichere erzkonservative Positionen. Alternativen sollten dem amerikanischen Zeitgenossen also die Wichtigkeit der qualitativen Bedürfnisse, welche die kapitalistische Wirklichkeit alltäglich unterdrückt, veranschaulichen (33). Hier kann die Bedeutung gegengesellschaftlicher Modelle liegen, und zwar nicht zuletzt darin, daß sie Schweigen, Isolierung, Angst und konforme Passivität der vielen Einzelnen brechen, aus denen der bürgerliche Staat jeden Tag von neuem ihre fadenscheinige Legitimität gewinnt.

Die kapitalistische Gesellschaft hat dem Bürger nahezu alle Möglichkeiten, aktiv zu werden, genomm.en (34). Die einzige Art und Weise, daß der amerikanische Zeitgenosse hier und jetzt sukzessive die Kontrolle über die tatsächlichen Entscheidungsprozesse, von denen seine Existenz abhängt, zurückgewinnen kann, scheint gegenwärtig die Partizipation an gegengesellschaftlichen Institutionen zu sein. Nur ihre Ausdehnung auf die lohnabhängigen Massen und die damit verbundene Desintegration des Systems wären fähig, Konsensus und indirekte Loyalität der Massen, auf die die Herrschenden im noch bauen können, zu brechen.

In der amerikanischen Gegengesellschaft der Quartiere und Aktionszentren werden Initiative und Autonomie eingeübt. Dergestalt aktiver gewordene Bürger werden auf die Dauer kaum passive Arbeitnehmer bleiben. Solches hat sich bereits an kleinen Beispielen bewiesen: Dort, wo in Kalifornien 'underground' - Leute mit den Landarbeitern und an der Ostküste mit den Industriearbeitern kollaborieren, hat sich das Gesicht der jüngsten Streiks verändert. Während die Streikenden vordem ihre Zeit mit Kartenspielen und Biertrinken totschlugen (falls sie überhaupt streikten), organisierten sie nun Unterstützungskomitees und Aktionsgruppen, welch letztere teilweise auch nach den Streiks einerseits in den Betrieben und andererseits im Alltagsleben der Arbeitersiedlungen besteheri blieben. Von der Arbeiterselbstkontrolle sind diese amerikanischen Werktätigen freilich noch sehr viel weiter entfernt als ihre italienischen Kollegen von Turin oder ihre französischen von Nantes-Batignolles .

Auch das kann indessen nicht prinzipieil gegen die 'counter-institutions' des amerikanischen Untergrunds sprechen. Überdies ist es in den USA, wo die Integrationsmechanismen des Systems um einiges stärker sind als in Europa, bedeutsam, die kollektiven Tendenzen von Überdruß und Opposition auch außerhalb der Betriebe zu organisieren. Überläßt man die Frei.zeit, in der die normativen und ideolog'ischen Orientierungen heute entscheidender vermïttelt werden als früher im Produktionsbereich, der kapitalistischen 'leisure-industry' so kann auch die Bewußtwerdung in den Betrieben nicht wesentliche Fortschritte erzielen.

Die Strategie der gegengesellschaftlichen Kontestation in den USA intendiert aus sich heraus freilich nicht, das gegenwärtige System schlagartig aufzuheben. Vielmehr geht es um einen langfristigen und - wie bei aller sozialen Veränderung - durchaus nicht gradlinigen Transformationsprozeß der bestehenden Strukturen, dessen letztendlicher Erfolg davon abhängen wird, ob es den Aktivierten geling't,. ihren jeweiligen Aktionsspielraum so zu erweitern, daß die Auswirkungen für das System in entscheidendem Maße dysfunktional sein werden. Die Er gebnisse können in den nächsten Jahre natürlich noch oft ganz anders sein als erwartet, da die gegengesellschaftliche Arbeit, in den Massen jene Entschlossenheit zu entbinden, gesellschaftliche Veränderungen selbst durchzusetzen, noch manchen Rückschlag zeitigen wird.

Als Konsequenz solcher Überlegung entwickelten sich in den USA vor allem nach der 'National Convention of Students for a Democratic Society' (SDS) im Sommer 1969 elitäre Kader gruppen, die den Umsturz mit Hilfe revolutionärer Massenorganisationen oder aber mit befreiender Gegengewalt versuchen wollten. Da indessen die bloße Gründung von " " "revolutionären Massenorganisationen" noch nicht die Massenbasis selber garantiert, verselbständigten sich in nahezu allen Fällen die Kader zu Befehlsagenturen ohne wirkliche Organisation. Kennzeichnend für diese Gruppen in Nordamerika ist heute ihre Zersplitterung und als Folge einerseits der Rückfall in den Dogmatismus und andererseits der Verlust der emanzipatorischen Zielvorstellungen (35 ) .

Sinnvoller erscheint der Weg, im Kontext mit lokalen Auseinandersetzungen und Konflikten praktische Ansatzpunkte zur Mobilisierung der Massen zu suchen, indem deren Selbstorganisierung gefördert wird. Nur so kann jene Spontaneität der Massen sich zeigen, die auch der heuer so vielzitierte Lenin als "Embryonalform der Organisation" bezeichnet hat.

Diese Überlegung führte auch viele 'Weathermen and -women' zur Umstrukturierung ihrer Aktionen. In einem Paper, das mittlerweile vom "Liberated Guardian" veröffentlicht wurde,

schreibt Bernadine Dohrn: "Wir sind uns bewußt geworden, daß wir uns in eine Gruppe von outlaws verwandelt haben, die sich von den communities isolierte und deshalb keine Strategien mehr entwickeln konnte, die eine große Zahlvon Menschen einschließt. Zwischen uns und ihnen besteht nun eine Kluft; unsere Aktionen werden nicht verstanden". Die Kader, so meint B. Dohrn, müßten wieder mit dem 'Movement' zusammenarbeiten und, wie das Movement versuchen, in Kollaboration mit der Bevölkerung diese zu organisieren. "Die Bewegung hat neue communities und families geschaffen. Kollektive bestehen von Seattle bis Atlanta, von Buffalo bis Vermont, und sie repräsentieren Tausende von Einheiten, wo Menschen einander vertrauen, miteinander leben, organisieren und kämpfen. Die Revolution involviert unser ganzes Leben; wir dürfen keine parttime soldiers oder secret revolutionaries sein. Es ist unsere Nähe zur Revolution und die Integration unseres persönlichen Lebens mit unserer revolutionären Arbeit, die es den versteckten Bullen schwer macht, unsere Kollektive und Kommunen zu infiltrieren. Es ist leicht für einen Bullen, ein Treffen zu überwachen, sogar wenn es geheim ist. Doch es ist schwer für ihn, in einem Kollektiv zu leben, ohne entdeckt zu werden". Veränderung, so schlußfolgern viele Weathermen nach ihrem gescheiterten Experiment von Revolution durch Kader und Gewalt, sei nicht als putschartige Lösung, sondern nur als Prozeß, der die Massen allmählich ergreife, möglich.

Das illustriert in gewisser Weise; daß man sich gesellschaftlichen Wandel in den Vereinigten Staaten nicht als "vertikale Zäsur" vorstellen sollte, sondern daß eine Sicht- urid Arbeitsweise wohl realistischer ist, die auf eine Überwindung des Systems durch eine sich steigernde Verweigerung in innen setzt. Es scheint in diesem Zusammenhang auch kein Nachteil zu sein, daß an dieser "dispersed disintegration of the system" 'pluralistisch' gearbeitet wird; das heißt, daß - mit Ausnahme lokaler und regionaler Kontakte - keine nationale Revolutionszentrale existiert, sondern eben die 'Women's Liberation' beispielsweise an der Organisierung der Frauen arbeitet, die Black Panthers und die Negro Action Groups an der Organisierung der Schwarzen, die Worker-Student-Alliance an der Organisierung der Arbeiter, die Yippies an der Organisierung der Blumenkinder-Bewegung, die 'new life' -Aktivisten an der Organisierung der Kommunen- usw. Natürlich muß mit der Zeit eine organisatorische Form gefunden werden, in der die Perspektive gemeinsamer Aktionen fixiert wird, damit diese gesellschaftspolitische Relevanz erreichen können; aber soweit ist die amerikanische Geschichte noch nicht, und deshalb wirkt die monomanische Auseinandersetzung kleinster Gruppen um die richtige revolutionäre Linie und die richtige revolutionäre Organisation theoretisch sinnlos und in der praktischen Auswirkung lähmend und selbstzerstörerisch (36). Auch der ständige Rückgriff auf das Vokabular von 'Kader' über 'revolutionäre Führung' bis zu 'Klassenkampf' kann nicht, selbst wenn es noch so magisch beschworen wird, aus dem gesellschaftlichen Boden stampfen, wozu die gesellschaftliche Entwicklung noch gar nicht reif ist.

Zumal in den USA genügt es nicht, vom Sozialismus dergestalt zu sprechen, als stünde er mit der Enteignung des Kapitals und der Herrschaft der Werktätigen schon vor den Türen des 'Weißen Hauses' . Die Notwendigkeit des Sozialismus wird im Gegenteil massenhaft noch lange nicht anerkannt. Die Praxis der amerikanischen 'underground' -Bewegung ist eine direkte und wohl auch realistische Antwort auf diesen Tatbestand. Der 'underground' meint:

  1. Da die amerikanische Mehrheit keine Alter.native zur gegenwärtigen Gesellschaftsordnung sieht, sollten wir heute diese Alternative innerhalb der bestehenden Unordnung sichtbar machen. Unsere Gegengesellschaft versucht das ansatzweise.
  2. Spontaneität, Autonomie, Selbstorganisation und kollektives Handelnmüssen, damit überhaupt gesellschaftliche Veränderungen sich wirksam vorbereiten können, bewußt eingeübt werden. Unsere Gegengesellschaft liefert dazu einen ersten Aktionsrahmen.
  3. Unsere gegengesellschaftlichen Institutionen weisen durch ihr bloßes Vorhandensein über das spätkapitalistische System hinaus. Ihre graduelle Entwicklung ist der wirkliche Gradmesser sozialer Veränderung in den USA.

Die 'untergründische' Schlußfolgerung lautet: Wer es mit dem Sozialismus in unseren Tagen ernst meint, muß den Amerikanern heute zeigen, wie wohlverstandener Sozialismus aussieht.

Anmerkungen