Lehrlings- und Schüler-Revolte
in Westdeutschland und Westberlin

GRUPPE SEXPOL-NORD
WESTBERLIN

Ende der 60er: Schüler- und Lehrlingsdemo in Franfurt
entnommen dem Buch SEXFRONT (Ffm 1970)

Die Westberliner Gruppe Sexpol-Nord entstand im Herbst 1968 aus einem von Hubert Bacia und Jürgen Werth angeleiteten politischen Arbeitskreis im Jugendclub Prisma. Der Arbeitskreis, an dem sich hauptsächlich Lehrlinge und Schüler beteiligten, beschäftigte sich mit Fragen zur Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung, der Entwicklung der Lehrlings- und Schüler-Revolte in Westdeutschland und Westberlin sowie allgemeinen Fragen des Zusammenhangs von Sexualität und Klassenkampf. Solange die Teilnehmer sich auf Diskussionen beschränkten, duldete die Senatsbürokratie den Zirkel. Als jedoch getrennte Gruppen von Lehrlingen und von Schülern agitatorische und propagandistische Vorbereitungen von Aktionen in Betrieben, Lehrwerkstätten und Schulen diskutierten, beobachtete sie die Arbeit von Sexpol-Nord genauer. Das Bezirksamt drohte mit dem Rausschmiß der Gruppe, wenn nicht sofort die Verteilung von Anti-Baby-Pillen eingestellt würde. Daraufhin plante Sexpol-Nord zusammen mit der trotzkistischen Jugendorganisation Spartacus, der Roten Garde Berlin sowie einer Gruppe der Westberliner Freien Deutschen Jugend (FDJ) eine öffentliche Versteigerung solcher Pillen. Der Jugendclub wurde vom Bezirksamt geschlossen. Die Versteigerung fand am 22. Januar 1969 vor der verschlossenen Tür des Jugendheims statt. Die Polizei trieb die Lehrlinge und Schüler auseinander und nahm einige Jugendliche fest, die das nahe gelegene Polizeirevier stürmen wollten.

Die bürgerliche Presse schrieb am nächsten Tag: "Diesmal kamen sie nicht mit Steinen, sondern mit Anti-Baby-Pillen in der Tasche: Trotz des Verbots des Reinickendorfer Jugendamtes, das das Jugendheim Prisma . . . vorsorglich geschlossen hatte, versuchte die APO gestern, die angekündigte Pillen-Auktion durchzusetzen. Technisch aufs beste gerüstet, begannen ihre Vertreter, das für Jugendliche so gefährliche Medikament an etwa 100 fast ausnahmslos minderjährige Jungen und Mädchen abzusetzen. Der Erlös fließt, wie ausdrücklich betont wurde, in den APO-Rechtshilfefonds: Wahrscheinlich also für die Finanzierung neuer Terroraktionen."

Eine Woche später fand eine Demonstration zum Reinickendorfer Bezirksamt statt, das von einem riesigen Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern, Reiter- und Hundestaffeln geschützt wurde.

Die Sexpol-Protokolle sind klassenanalytische Voruntersuchungen zum allgemeinen politischen und Klassenbewußtsein von Arbeitern, Lehrlingen, Angestellten und Schülern. Sie wurden aufgezeichnet von den Mitgliedern der Gruppe >>Sexpol-Nord<< und von Hubert Bacia und Jürgen Werth in konkret(*) veröffentlicht. Ihre Konzeption wurde mitdiskutiert von Ulrike Meinhof, Peter Homann und anderen Mitgliedern der damals geplanten konkret-Gegen-Redaktion. Im Verlauf der Vorbereitung des >>Roten 1. Mai 1969<< gab die Gruppe ihre Eigenständigkeit auf und arbeitete in Westberliner Basis- und Stadtteilgruppen weiter.

*) Bei diesem Text handelt es sich um die "Vorbemerkung" zu den Sexpol-Protokollen, die nochmals in der Reihe "Bücher der Wissens", Marxismus-Psychoanalyse - Sexpol, Hrg. von Hans-Peter Gente, Fischertaschenbuch 6072, 1972, Ffm veröffentlicht wurden.