ED v. 5.2.1969

EXTRA ÜBER UNS

EXTRA-DIENST GMBH: REDAKTIONSKOLLEKTIV WILL "ENTEIGNUNG"

Das Redaktionakollektiv des EXTRA-Dienstes hat auf einer Versammlung am Abend des 3. Februar beschlossen, die fünf Gesellschafter der EXTRA-Dienst GmbH aufzufordern, ihre Gesellschafteranteile dem Redaktionskollektiv zur Verfügung zu stellen. Damit soll der Weg frei werden, zu einer Umgestaltung der EXTRA-Dienst GmbH in eine Produktionsgenossenschaft. An der Vollversammlung nahmen alle ständigen Mitarbeiter der Redaktion und des Verlages teil. Der Beschluß wurde einstimmig gefaßt. Das Kollektiv beschloß, diese Aufforderung an die fünf Gesellschafter öffentlich zu machen und den Lesern des EXTRA-Dienstes vorzulegen. Die Redaktion erhofft einen Vertrauensbeweis seiner Leser, denen sich das Kollektiv in erster Linie verantwortlich fühlt.

Dieser Schritt wurde in einer ebenfalls einstimmig verabschiedeten Begründung erläutert, die im Wortlaut veröffentlicht wird:

"Die Umwandlung der EXTRA-Dienst GmbH in eine Produktionagenossenschaft kann kein formaler Schritt sein. Sie muß tatsächlich geschehen. Sie steht in Übereinstimmung mit den Prinzipien sozialistischer Selbstbestimmung der Produzenten über ihre Produkte. Es steht außer Zweifel, daß die Selbstbestimmung aller Produzenten Endziel einer sozialistischen Gesellschaft ist; wo der Schritt zur vollen Selbstbestimmung schon in der kapitalistischen Gesellschaft getan werden kann, muß dies schon jetzt geschehen.

Hinzu kommt, daß dieaes Experiment heute als einzig gangbarer Weg erscheint, die Arbeitsplätze der Mitarbeiter der EXTRA-Dienst GmbH zu sichern, die bisherige Arbeit fortzusetzen und zu verbessern. Die Gründe dafiir liegen in der Entwicklung des EXTRA-Unternehmens seit 1966, die man noch einmal skizzieren muß, um deutlich zu machen warum jetzt die Umwandlung der bürgerlichen GmbH in eine sozialistische Genossenschaft notwendig wird.

März 1966:Einer Gruppierung linker Publizisten und Politiker Westberlins gelingt es, den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein davon zu überzeugen, daß Westberlin eine linke Publikation braucht. Sie soll die starren, durch die Springer-Presse dieser Stadt geprägten Meinungsstrukturen innerhalb der Bevölkerung auflockern helfen.

August 1966:Mit Zustimmung des Spiegel-Herausgebers stellt Stefan Reisner eine Redaktion für eine Wochenzeitung zusammen, die den Titel "Heute" tragen soll. Der Redaktion gehören u.a. an: Walter Barthel, Martin Buchholz, Carl L. Guggomos und Hannes Schwenger - heute alle Mitglieder des Redaktionskollektivs von EXTRA-Dienst.

31. Januar 1967:Der persönliche Referent des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein, Walter Busse, teilt der "Heute"-Redaktion mit, daß der Spiegel aus verlagsinternen Gründen das Projekt nicht weiter betreiben könne.

1. Februar 1967:Die vier oben genannten Mitglieder der "Heute"-Redaktion beschließen, für Westberlin eine Publikation auch ohne Rückhalt des Spiegel-Verlages herauszugeben. Rudolf Augstein sagt eine gewisse Unterstützung zu.

11. Februar 1967:Die erste Nummer des "Berliner EXTRA-Blattes" erscheint.

5. April 1967:In der Eile war übersehen worden, daß das Unternehmen ein rechtliches Gerüst braucht. Für die Redaktion bitten Walter Barthel und Carl Guggomos drei Freunde um ihren formalen Beitritt als Gesellschafter einer GmbH. So kommt es zur Gründung der später in "EXTRA-Dienst GmbH" umbenannten "Westberliner Zeitungs GmbH". Ihre Gesellschafter sind die Redaktionsmitglieder Walter Barthel und Carl L. Guggomos, der spätere 1. Vorsitzende des RC Westberlin, Dr. Klaus Meschkat, der Leiter der IG Metall-Jugendschule Lothar Pinkall und der Rechtsanwalt Horst Mahler. Die Stammeinlage soll 20.000 DM sein. Unter den Gesellschaftern besteht Einverständnis, daß das Geld nicht sofort aufgebracht werden kann. Weiterhin besteht Einverständnis, daß die Gesellschafter keinerlei persönlichen Nutzen aus etwaigen Gewinnen ziehen dürfen.

13. Mai 1967: Das "Berliner EXTRA-Blatt" muß nach 14 Nummern sein Erscheinen einstellen. Das Blatt wurde an den Kiosken der Springer-Stadt boykottiert. Ein Aufruf, das Blatt finanziell zu stützen, brachte 12.181, 20 DM ein. Dieser Betrag setzt sich aus einer 10.000-DM-Spende von RudolfAugstein und vielen kleinenBeträgen von linken und liberalen Westberlinern zusammen, die insgesamt aber nur 2.181, 20 DM ausmachen - soviel wie Druck-, Papier- und Klischeekosten einer einzigen EXTRA-Blatt-Ausgabe. Das Experiment endet mit einem Schuldenberg von rund 23.000 DM, obwohl die EXTRA-Blatt-Redaktion ohne Gehälter und Honorare arbeitete.

15. Mai 1967: Die EXTRA-Blatt-Redaktion beschließt, weiterzumachen. Statt eines Boulevardblattes soll jetzt ein Informationsdienst herausgebracht werden; der "Berliner EXTRA-Dienst". Von den Gesellschaftern der Westberliner ZeitungsGmbH (die später wegen eines Einspruchs der Industrie - und Handelakammer in EXTRA-Dienst GmbH umbenannt wird, ist Geld nicht zu erwarten - wer steckt schon Geld in ein Pleite-Unternehmen? Um den gesetzlichen Vorschriften über eine Mindesteinlage in die GmbH Genüge zu tun, entschließt sich derGesellschafter Guggomos, einen erheblichenTeil jenes Honorars, das er vom Spiegel wegen seiner vorzeitigen Vertragsauflösung erhalten hat, als Anteile für alle Gesellschafter einzuzahlen. Den Rest des Honorars - es belief sich auf 20.000 DM - stellte er der GmbH zinslos und unbefristet zur Verfiigung. Es wird zur Abdeckung von Schulden verwendet.

20. Mai 1967:Die erste Ausgabe des "Berliner EXTRA-Dienstes" erscheint.

31. Dezember 1967:Die EXTRA-Dienst GmbH hat gut gewirtschaftet. Der Umsatz betrug 132. 964, 51 DM. Dabei entstand ein Verlust von DM 2. 873, 94. Obwohl EXTRA-Dienst bereits 2. 500 Abonnenten hat, wäre der Verlust weit höher gewesen: EXTRA-Dienst finanzierte sich jedoch durch den Verkauf von Plaketten und Büchern. Sie wurden an die Organisationen der Linken zu Minimalpreisen abgegeben, so daß EXTRA-Dienst also auch Organisationen der Linken mitfinanzieren konnte. Einige haben ihre Schulden allerdings bis heute nicht bezahlt: Uneintreibbare Außenstände aus dem Jahre 1967 für EXTRA-Dienste, Bücher und Plaketten; die linke Organisationen oder Einzelbezieher abgenommen, konsumiert (und verkauft), aber beim EXTRA-Dienst nicht bezahlt haben: 8.000 DM.

31. Dezember 1968:EXTRA-Dienst hat ein hartes, aber erfolgreiches Jahr hinter sich. Der - geschätzte - Umsatz liegt bei 200.000 DM, der Verlust dürfte um 5.000 DM liegen. Immerhin konnten alle Schulden aus der EXTRA-Blatt-Zeit bezahlt werden. Mit dem vorhandenen Maschinenpark und dem vom Spiegel überlassenen Mobilar ist die GmbH keinesfalls überschuldet, obwohl einige Mitglieder des Redaktions-Kollektivs, zu dem inzwischen auch die Mitarbeiter des Verlags gehören, neue Gelder gegeben haben: Beispielsweise Senatsgelder, die durch Heirats- und ähnliche zinsgünstige Darlehen beansprucht werden konnten und Honorare aus EXTRA-Publikationen, die "stehen" gelassen wurden. Die Redaktion arbeitet zu Gehältern, von denen die Gewerkschaft nichts erfahren dürfte.

Im Laufe des Jahres 1968 wird von verschiedenen Seiten "die Politik" des EXTRA-Dienstes heftig angegriffen - EXTRA-Dienst wandte sich gegen anarchistische Tendenzen in der APO, EXTRA-Dienst tat kund, daß er sich nicht einer einzigen Richtung der APO verpflichtet fühlt, EXTRA-Dienst trat für eine auf Basiserweiterung der APO gerichtete Politik ein; die Abonnentenzahl steigt trotzdem auf fast 4.000. 500 weitere Abonnenten mußten im Laufe des Jahres gestrichen werden, da sie trotz vieler Mahnungen ihre Abonnementsgebühren nicht bezahlten. Der uneintreibbare Außenstand des Jahres 1968: 12.000 DM.

15. Januar 1969:In der TU ruft das SDS- und RC-Mitglied Walter Weller rund l.500 anwesende APO-Anhänger auf, den EXTRA-Dienst abzubestellen.

17. Januar 1969:Mitglieder des Republikanischen Clubs, an ihrer Spitze der Clubsekretär Sörgel, die Vorstandsmitglieder Ehrler und Lessing und das Vorstandsmitglied Horst Mahler - gleichzeitig Gesellschafter der EXTRA-Dienst GmbH - führen in dem der EXTRA-Dienst-Redaktion benachbarten Lokal "Drehscheibe" eine öffentliche Abbestellungsaktion gegen EXTRA-Dienst durch, die 14 Abbestellungen ergibt. In den folgenden Tagen verstärkt sich diese Kampagne und bringt insgesamt etwa 35 Abbestellungen ein. Ein Autorenteam stellt im Republikanischen Club eine Broschüre zusammen, in der in 10 Beiträgen "die Politik" des EXTRA-Dienates heftig angegriffen wird. Das Autoren-Kollektiv (Johannee Agnoli, Solveig Ehrler, Dietrich Kreitz, Wolfgang Lefevre, Horst Mahler, Detlef Michel, Dirk Müller, Peter Sörgel, Basisgruppe Wedding, Walter Weller) weigert sich, dem EXTRA-Dienst in der Broschüre die Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen. Eine Gruppe im RC setzt eine EXTRA-Dienst-Diskussion an, ohne sich mit dem EXTRA-Dienst um eine gemeinsame Terminabeprache zu bemühen. Eine Gruppe im RC erwägt, die Redaktion des EXTRA-Dienstes "zu besetzen", wie einst "die Spartakisten" den sozialdemokratischen Vorwärts besetzt haben", weil der EXTRA-Dienst "der Vorwärts von heute" sei. Parallel kommen anonyme und halbanonymt Anrufe, die mit "Ausräumen" und "Ausräuchern" der Redaktion drohen. Sie kommen nicht von der NPD.

Das ist die Entwicklung.

Von den fünf Gesellschaftern der GmbH befinden sich derzeit nur drei in Westberlin. Der Gesellschafter Pinkall ist Verlagsleiter bei der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt geworden. Der Gesellschafter Klaus Meschkat lehrt in den USA an einer Universität. Von den drei in Westberlin befindlichen Gesellschaftern arbeiten nur Barthel und Guggomos als Geschäftsführer und Redakteure innerhalb des Redaktionskollektivs. Der dritte, Horst Mahler, beteiligte sich führend an einer gegen die EXTRA-Dienst GmbH gerichteten Abbestellungsaktion. Drei der Gesellschafter nehmen also weder mit Arbeit noch mit Kapital an der Entwicklung des EXTRA-Dienstes teil.

Daher fordert das Redaktionskollektiv die Auflösung der GmbH, die Überführung der Anteile in eine Produktktionsgenossenschaft, deren Mitglieder nur die Produzenten des EXTRA-Dienstes sein können. Es muß ausgeschlossen sein, daß nach dem Vorbild der kapitalistischen Presseorganisation juristische "Eigentumsrechte" zur politischen Disziplinierung der Redaktion benutzt werden können. Die Gesellschafter Barthel und Guggomos haben einer Übergabe ihrer beiden Anteile an die neu zu gründende Genossenschaft bereits zugestimmt. Der Gesellschafter Pinkall erklärte, daß er grundsätzlich dazu bereit sei, allerdings noch mit den anderen Gesellschaftern sprechen wolle. Die Gesellschafter Mahler und Meschkat waren nicht erreichbar. Die Struktur der zu gründenden Genossenschaft wird so sein, daß etwaige Gewinne aus der Genossenschaft nicht einzelnen Genossenschaftern, sondern nur der Genossenschaft als ganzem zufließen können. Sie dienen damit dem Produkt, seiner Verbesserung und Ausweitung, und damit der selbstgestellten Aufgabe des EXTRA-Dienstes, ein Organ der permanenten Aufklärung zu sein."