Arbeiterkontrolle und Shop Stewards
Antwort der englischen Arbeiterklasse auf die Bürokratisierung der Gewerkschaften

J .Rosser, C. Barker,
M. MacEwen, H. Scalon, K. Coates
Oberbaumpresse Berlin, Basisarbeitsheft 2, 1969

Herausgegeben von der Basisgruppe Wedding

Aus der Einleitung

Die Diskussion über Arbeiterkontrolle ist in Großbritannien, Frankreich und Italien seit einigen Jahren in breitem Maße wieder aufgenommen worden....

Die Konzepte, wie sie von linken britischen Gewerkschaftern und ihnen nahestehenden sozialistischen Intellektuellen zur Transformation des kapitalistischen Systems propagiert werden, lassen alle die gleiche bürokratische Deformierung des Konzeptes der Arbeiterkontrolle erkennen....

Gegen diese reformistischen Theorien der Arbeiterkontrolle ist ein Konzept zu entwickeln, das davon ausgeht, daß sich heute der Interessengegensatz zwischen dem Kapital und seinen Beauftragten und den Lohnabhängigen am ehesten in der Herrschaftsstruktur der Betriebe massenhaft bewußt machen läßt. Solange die Ökonomie von privaten Profitinteressen und vom Markt bestimmt ist, kann Teilhabe an der Macht für die Arbeiter nur bedeuten, Mitverantwortung zu übernehmen, wo sie die entscheidenden Regulatoren der Ökonomie /Profitverteilung und Marktmechanismen/ nicht kontrollieren können.

Wie sich am schlagendsten am Beispiel von Entlassungen zeigt, dient die gegenwärtige institutionalisierte Vertretung der Arbeiter im Betrieb wesentlich dazu, Konflikte im Interesse der Unternehmer nicht offen ausbrechen zu lassen. Ob entlassen wird, richtet sich ausschließlich nach den Interessen des Kapitals; die Arbeitervertreter können lediglich die Modalitäten der Entlassung dämpfend und damit verschleiernd beeinflussen. Sie handeln damit objektiv als Vertreter der Macht der Unternehmer und nicht als Repräsentanten der Arbeitermacht. Die bestehenden Mitbestimmungsinstitutionen sind so konstruiert, daß den Arbeitervertretern, solange sie sich an den legalen Rahmen ihrer Tätigkeit halten, nichts anderes übrigbleibt, als letzten Endes die Logik der kapitalistischen Ökonomie anzuerkennen, nach der Entlassungen aus Profitrücksichten von Zeit zu Zeit eben unumgänglich sind. Die bestehenden Institutionen erlauben es den Arbeitern also nicht, ihre Interessen wir-

(hier gibt es einen Satzfehler im Orginal)

Demgegenüber ist eine Strategie des BetriebskonfÍiktes notwendig die dazu beiträgt, das Bewußtsein der Arbeiter von ihrer eigenen Macht zu entwickeln. Der Macht der Unternehmer, im Interesse des Kapitals zu bestimmen, wie die Produktion reguliert und organisiert werden soll, muß systematisch die Macht der Arbeiter entgegengestellt werden, die als Endziel der Organisierung der Produktion im Sinne einer Bedürfnisbefriedigung aller Arbeitenden haben muß. In diesem Sinne bedeutet Arbeiterkontrolle der Kampf darum, den Unternehmern ihre alleinige Verfügungsgewalt zu entreißen und sie der Kontrolle der Arbeiter zu unterstellen. Die Resignation und Ohnmacht der Arbeiter, die in Deutschland historisch vor allem durch die Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus begründet ist, läßt sich in der Produktion nur dort durchbrechen, wo die unmittelbaren Erfahrungen der Unterdrückung gemacht werden: am Arbeitsplatz. Der Kampf muß deshalb dort ansetzen.

Ein Beispiel für Arbeiterkontrolle auf dieser unteren Ebene ist die Forderung nach Wahl der Vorarbeiter durch das Arbeitsteam. Das kann vor allem dort eine mobilisierende Wirkung haben, wo durch das Gruppen-Akkord-System die Vorarbeiter unmittelbaren Einfluß auf Arbeitstempo und Lohnverteilung haben. Mit dieser Forderung würde ein entscheidendes Vorrecht der Unternehmensleitung, die Vorgesetzten zu ernennen, in Frage gestellt. Der Kampf um Arbeiterkontrolle muß ständig ausgedehnt werden, um einer Festlegung auf einen institutionalisierten Rahmen und damit auf Bedingungen der Kapitalbeauftragten zu entgehen. Im obigen Beispiel wäre es denkbar, daß eine "aufgeklärte" Unternehmensleitung den Arbeitern nach längerem Kampf das Recht auf Wahl der Vorarbeiter zugesteht. Es kommt also darauf an, im Verlauf des Konfliktes bereits weiterführende Forderungen aufzustellen und das Bewußtseinspotential, das im Kampf entstanden ist, für den Kampf auf einer erweiterten Stufe zu nutzen. Dieses Weitertreiben ist Aufgabe der bewußten Kader im Betrieb. Ihre Schulung und Organisierung ist die Hauptaufgabe der Betriebs-Basisgruppen.

Um diese ständig weitertreibenden Forderungen klar als Etappen auf dem Weg zum Ziel - einer sozialistischen Gesellschaft -.zu erkennen, muß den Kadern dieses Ziel selbst klar sein. Arbeiterkontrolle darf für sie kein Selbstzweck sein, sondern deren strategische Aufgabe besteht in der ständigen Erweiterung des Bewußtseins und der Organisierung der Arbeiterklasse. Errungene Machtpositionen dürfen deshalb nicht legalisiert werden, sondern gerade ihre ausschließliche Fundierung auf der Kampfbereitschaft der Arbeiter schafft das Bewußtsein, das in politischen oder ökonomischen Krisen als Doppelherrschaft im Betrieb realisiert werden kann (was z.B. im Mai 68 in Frankreich den Arbeitern wegen ihres noch von bürokratischen Apparaten gefesselten ökonomistischen Bewußtseins nur in Ansätzen gelungen ist.

Dabei sind im Verlauf des Kampfes um Arbeiterkontrolle wesentliche Elemente der Arbeiterdemokratie unumgänglich, um diesen Kampf zu führen: Schaffung einer Öffentlichkeit unter den Arbeitern, Kontrolle und ständige Abberufbarkeit der Beauftragten, direkte Aktion als Kampfinstrument. Arbeiterkontrolle heißt noch nicht Selbstbestimmung der Arbeiter, die erst in einer demokratisch geplanten Ökonomie verwirklicht werden kann, sondern sie ist der Weg dorthin ,in dessen Verlauf sich die politische Machtübernnahme der Arbeiterklasse als unumgängliche Notwendigkeit ergibt. Im Konzept der AK ist die Verbindung zwisehen Tageskampf und dem Ziel einer Umwandlung der kapitalistisçhen Gesellschaft in eine sozialistische strategisçh hergestellt. In jedem simplen Lohnkonflikt läßt die Forderung nach Arbeiterkontrolle die kapitalistische Herrschaftsstruktur als anzugreifendes Ziel hervortreten.