Resolution des Berliner Landesverbandes zur Suspendierung der „Kommune"

aus: neue kritik 41, Ffm 1967, S. 14ff

Vorbemerkung: "Am 19. April fand das zweite große sit-in an der FU statt, wiederum als Parallelveranstaltung zu einer Sitzung des Akademischen Senats, der u. a. wieder den Dauerbrenner »Förderungswürdigkeit des SDS« auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Diesmal rief der Rektor nach vorheriger Warnung an die Versammelten die Polizei, die von den noch verbliebenen ungefähr 1000 Studenten um Mitternacht in 20 Minuten ca. 100 hinaustrug. Nachdem die durch die Seitenausgänge Hinausgetragenen durch den Haupteingang wieder hereingekommen waren, sah der leitende Polizeioffizier das Sinnlose dieses Tuns ein und brach nach telefonischer Rücksprache mit dem Polizeipräsidenten die Aktion ab. Rektor und Akademischer Senat sahen sich in dieser Situation vom bürgerlichen Staat schmählich in Stich gelassen. Rektor Lieber, der noch während des sit-ins vom 22./23. Juni 1966 die Studenten aufgefordert hatte, die Autonomie der Universität nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, lieferte diese nun, um seiner Autorität als Rektor willen, an die Berliner Exekutive aus und war sauer, als diese ihn praktisch aufforderte, für seinen Laden selber zu sorgen. Der Rektor der FU sperrte als Reaktion auf das sit-in die Bezüge der beiden AStA-Vorsitzenden Hartmut Häußermann und Bernhard Wilhelmer und des Konventsvorsitzenden Wolfgang Lefevre und leitete gegen sie und darüber hinaus gegen den Ältesten des Konvents, Knut Nevermann, sowie gegen den märkischen Agitator Rudi Dutschke Disziplinarverfahren ein. Am 26. April 1967 sprach der Konvent der FU den beiden AStA-Vorsitzenden und dem Konventsvorsitzenden das Vertrauen aus und protestierte gegen die eingeleiteten Disziplinarverfahren. Über diesen Beschluß setzte er für Anfang Mai eine Urabstimmung der Studentenschaft fest. An dem folgenden »Wahl«kampf beteiligten sich fast alle Mitglieder des SDS, einschließlich der Karteileichen.160 In dieser Situation, in der es indirekt auch um die satzungsmäßig abgesicherten Arbeitsmöglichkeiten des SDS an der Freien Universität ging, fiel die Kommune I den sozialistischen Studenten mit fünf Flugblättern in den Rücken, die mit »SDS« unterzeichnet waren. Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel & Co. verhöhnten den Rektor, den Akademischen Senat, den AStA und die politischen Studentengruppen an der FU, bezeichneten die Studenten als »Lahmärsche und Karrieremacher« und mokierten sich über die Institution der demokratischen Urabstimmung durch die Studentenschaft. Die Quintessenz dieser dadaistischen Kunstwerke war, daß sie im Namen des SDS die Studenten aufforderten, zu Hause zu bleiben, und die Position des SDS an der Hochschule schwächten. Einen Tag später wurde die Kommune I vom SDS-Landesverband Berlin mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesvorstandes mit sofortiger Wirkung von ihren aktiven und passiven Mitgliedsrechten suspendiert. (Rainer Langhans stimmte als Mitglied des Landesvorstandes noch dafür. Keine Woche später war er selber in der K I.) Diesmal wurde nicht lange gefackelt: am 12. Mai 1967 schloß eine a.o. Landesvollversammlung des Berliner SDS die Kommune I aus dem Verband aus. Wolfgang Lefevre setzte sich in seinem Referat zur Begründung des Antrages auf Ausschluß nicht nur gegen die »Pseudo-Linke«, sondern auch gegen die »Alte-Keulen-Riege« ab. Er bestritt nicht, daß bestimmte Aktionen der Kommune den politischen Lernprozeß innerhalb der Studentenschaft begünstigten und pathologische Reaktionen der Administration hervorriefen. Solche Happenings müßte die Kommune jedoch unter eigenem Firmenzeichen durchführen. Für einen sozialistischen Studentenverband sei es untragbar, daß ein SDS-Mitglied (Dieter Kunzelmann) in der Springer-Presse seinen Ausspruch kolportieren lasse: »...was geht mich Vietnam an - ich habe Orgasmusschwieriekeiten.«"
                           aus: Fichter, Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS, Westberlin 1977, S.104f

Am Nachmittag des 3. 5. 1967 haben der Vorstand der SDS-Gruppe an der Freien Universität Berlin und der Vorstand des Landesverbands Berlin im SDS mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesvorstandes des SDS folgenden Beschluß gefaßt:

Der Landesvorstand des SDS suspendiert mit sofortiger Wirkung die ihm bekannten Verfasser der mit „SDS" unterzeichneten Flugblätter (durchnumeriert mit l-5) von ihren aktiven und passiven Mitglieds­rechten. Der Bundesvorstand des SDS schließt sich der Suspendierung an. Zu diesem Beschluß geben der Vorstand der SDS-Gruppe an der FU und der Vorstand des Landesverbands Berlin im SDS und der Bundesvor­stand des SDS folgende Erklärung ab:

Die Auseinandersetzungen an der FU haben seit dem 19. 4. 1967 eine noch nicht dagewesene Verschärfung erfahren. In dem Maße, wie in den vergangenen zwei Jahren die Studenten den Vertröstungen und Ver­sprechungen der Universitätsbürokratie hinsichtlich der von den Studen­ten seit nunmehr 22 Jahren geforderten und konkret konzipierten Hoch­schul- und Studienreform den Glauben versagten und Einlösung der Versprechen anstelle neuer leerer Versprechungen forderten, in dem Maße befleißigte sich die Universitätsbürokratie - offenkundig un­fähig, auch nur rational über Reformen mit den Studenten zu disku­tieren - einer sich zunehmend verschärfenden Restriktionspolitik gegen die unruhig gewordene Studentenschaft. Dank dieser Politik der Uni­versitätsbürokratie reduzierte sich am 19. 4. 1967 die hochschulpolitische Auseinandersetzung auf ihren abstrakten Kern; auf die Frage nämlich,

ob die wissenschaftliche Anstalt Universität nach dem Gesetz der ratio­nalen Auseinandersetzung unter in. dieser Auseinandersetzung Gleichen zu strukturieren ist oder aber nach dem Gesetz, daß im Zweifelsfalle die institutionelle Autorität entscheidet. In der Tat ist der Einsatz der Poli­zei, sind finanzielle Restriktionen, sind Disziplinarverfahren, sind die bekanntgewordenen Befriedungspläne von akademischer und städtischer Administration, ist der Versuch des Rektors, die Urabstimmung durch Manipulation des Instituts Disziplinargerichtsbarkeit für sich zu ent­scheiden, der adäquate Ausdruck der hochschulpolitischen Position der Universitätsbürokratie: die Unantastbarkeit der professoralen Auto­rität, die Jeder ernstzunehmenden Reform zum Opfer fallen müßte.

Ein Teil der in dieser Auseinandersetzung von der Universitätsbüro­kratie angewandten Droh-, Einschüchterungs- und Isolierungstaktik gegenüber der unruhig gewordenen Studentenschaft ist der inzwischen permanent gewordene Versuch, dem SDS an der FU die Förderungswür­digkeit zu entziehen. Daß sich die Berliner Administration an diesen Einschüchterungsmanövern, wie etwa an der Kürzung der AStA-Finanzen, wie an den Disziplinarverfahren, wie an der Kampagne gegen den SDS, aktiv beteiligt, kann nicht verwundern, wo die Bewegung in der Studentenschaft sich in zunehmendem Maße und konsequent auch gegen die politischen Instanzen und Kräfte richtet, die in der autoritativen Universität eine Stütze ihrer eigenen demokratiefeindlichen Politik erblicken.

Da der SDS im Unterschied zur akademischen und städtischen Admini­stration weiß, daß für die Unruhen in der Universität keine Rädelsführer verantwortlich sind, sondern der desolate Zustand der Universität, unternimmt der SDS konsequent den Versuch, die unzufriedenen Studenten der Universität über die Ursachen ihrer Unzufriedenheit aufzuklären und mit ihnen gemeinsam herauszufinden, in welcher Weise die Studenten ihre Unzufriedenheit praktisch artikulieren können. Diesen Versuch betrachtet der SDS als die adäquate politische Antwort auf die Versuche der städtischen und universitären Administration, der Auseinandersetzung über die Hochschulreform auszuweichen, indem sie mit exemplarischen Bestrafungen, sei es gegen Individuen, sei es gegen einen politischen Studentenverband, die auf Hochschul- und Studienreform dringenden Studenten einzuschüchtern und ihre Solidarität zu zerstören anstreben.

Der SDS weiß, daß er in dieser Auseinandersetzung nur dann eine treibende Kraft sein kann, wenn er in seinem eigenen Verbandsieben die demokratische, rationale Diskussion zum Zentrum macht und die Spontaneität und Selbsttätigkeit seiner Mitglieder unterstützt. Deswegen lehnte und lehnt der SDS es ab, die teilweise mit faschistoiden Kampagnen seitens der Berliner Administration und des überwiegenden Teils der Berliner Presse begleiteten Aufforderungen der Universitätsbürokratie zu befolgen, sich exponierende Mitglieder des SDS auszuschließen, auch wenn der SDS in seiner Gesamtheit die Aktionen dieser Mitglieder nicht billigte. Denn der SDS weiß, daß nur die demokratische Auseinandersetzung gerade auch mit politisch falschen Aktionen ihm im damit verbundenen politischen Lernen weiterhelfen und ihn stärken kann.

Allerdings erfordert dies Prinzip der demokratisch argumentierenden Auseinandersetzung im Verband, daß sich alle Gruppierungen im SDS an dieses Prinzip halten. Es stellt keinen Beitrag zu dieser innerverbandlichen Auseinandersetzung dar, wenn eine Gruppierung im Berliner SDS zum wiederholten Male versucht, den Verband mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren. Im Fall der Verfasser der mit „SDS" unterzeichneten durchnumerierten Flugblätter kommt hinzu, daß der Politische Beirat des Berliner SDS am 29. 4. 1967 die Schritte des SDS während der Urabstimmung diskutiert hat und mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen ist, daß Flugblätter dieser Art mit der Politik, die der SDS hinsichtlich der Urabstimmung verfolgt, nicht vereinbar sind. Deswegen hätten die Verfasser der in Frage stehenden Flugblätter keinesfalls die Unterzeichnung „SDS" wählen dürfen. Der Vorstand der SDS-Gruppe an der FU und der Vorstand des Landesverbands Berlin im SDS suspendieren die aktiven und passiven Mitgliedsrechte der Flugblattverfasser, weil sie sowohl im Hinblick auf die Auseinandersetzungen an der FU wie auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Berliner SDS nicht zu dulden bereit sind, daß die demokratische Auseinandersetzung im Verband durch Überrumpelungsmanöver ersetzt wird. Der Vorstand der SDS-Gruppe an der FU und der Vorstand des Landesverbands Berlin im SDS werden auf der Landesvollversammlung, die in Kürze stattfinden wird, den Antrag stellen, die Verfasser der Flugblätter aus dem SDS auszuschließen.