Ralf Reinders

über lange Haare, das
Stones-Konzert, die Bullen und Vietnam



Reinders: .....Nach der Schule habe ich eine Lehre als Rotaprint-Drucker angefangen und auch bestanden. Diese Lehre zu beenden, war das erste Mal ein Ziel in meinem Leben (lacht). In dieser Zeit fing hier in Berlin die Gammler-Bewegung an. Die Leute hörten auf zu arbeiten. Und das war auch mein Problem:

Als ich aus der Schule kam, wußte ich nicht so recht, ob ich eine Lehre anfangen soll oder doch. Meine Freunde hörten so langsam auf zu arbeiten, saßen an der Gedächtniskirche mit der Gitarre rum und hatten Ärger mit den Bullen. Die Leute ließen sich die Haare lang wachsen. Und das war in der ersten Zeit für mich ziemlich schwierig: Nachmittags bist du langhaarig rumgelaufen und auf der Arbeit haste die dann mit Fett zur Elvistolle nach hinten gekämmt. Das wird heute leicht vergessen: Vìele Leute haben damals ihre Arbeitsstellen verloren, sind aus den Lehrstellen rausgeflogen, weil sie lange Haare hatten.

Hermann: Aus der Kneipe bist du rausgeflogen, hast kein Bier gekriegt...

Reinders: Du hast kein Bier gekriegt, bist verprügelt worden. Manchmal haben irgendwelche Penner an den Ecken gelauert und wollten den Leuten die Haare schneiden. Es gab halt dauernd Probleme. Dazu kam, daß alle meine Kumpels ringsrum auf diese neue Musik standen, die da aus England kam. die Beatles, die Stones. Es gab 'ne Zeit, wo eine leichte Rivalität zwischen denjenigen bestand, die auf die Beatles standen und denjenigen, die Stones-Fans waren. 1965 kamen die Stones das erste Mal nach Berlin, in die Waldbühne. Und für viele von uns kam damit ein kleiner Durchbruch. Wir wollten eigentlich nur das Konzert hören, hatten dann aber auf die Preisliste geguckt. 20 DM sollte der Eintritt kosten. Das war damals ein Schweinegeld. Wir hatten die Kohle nicht und haben beschlossen, umsonst reinzugehen. In Tegel versammelten wir uns: Beatlesfans, Stonesfans und Kinksfans. Es waren etwa 200 bis 250 Leute, die dann losmarschierten. Unter ihnen waren die späteren Aktivisten des 2. Juni stark vertreten. Als wir an der Waldbühne aus der S-Bahn kamen, war da gleich die erste Bullensperre. Eine ganz lockere, die wir zur Seite drückten. Dann kam kurz vor der Waldbühne eine zweite mit einer berittenen Staffel. Das war schon ein bißchen komplizierter. Wir sind auch da durchgebrochen. Dann gab es nur noch eine ganz leichte Sperre direkt an der Waldbühne. Und so waren wir schließlich mit über 200 Leuten umsonst drinnen, und standen ganz vorne. Und die Leute, die bezahlt haben, sind nach uns zum Teil gar nicht mehr reingekommen.

An diesem Abend hat sich dort eine Stimmung entwickelt, wo ich zum ersten Mal auch ansonsten ganz unpolitische Leute sah, die einen wahnsinnigen Haß und Frust auf die Bullen hatten. Als dieses Konzert, das ja wirklich saumäßig war - also für den Preis, wenn ich ihn denn bezahlt hätte, wäre ich, glaub' ich, richtig ausgerastet -, zu Ende ging, standen die Leute aufund wollten eine Zugabe. Da haben die Veranstalter einfach das Licht ausgedreht. Und im Nu brach das totale Chaos in der Waldbühne aus. Es hat angefangen fürchterlich zu knacken, und dieses Knacken war so animierend, daß dann alle sich daran machten, die Bänke auseinanderzunehmen. Dann ging plötzlich das Licht wieder an, und auf der Bühne zogen die Bullen auf. Sie hielten mit ihren Wasserwerfern von oben herein, worauf sich die erste Schlacht - hauptsächlich mit uns - entwickelte. Jeder kannte jeden und es gab ein Stück Gemeinsamkeit, ein gemeinsames Gefühl.

Danach wollten wir aus der Waldbühne raus. Bis dahin war alles noch halbwegs friedlich verlaufen. Der Schaden war auch eher gering. Doch dann fingen die Bullen an auf eine Gruppe von so 40 bis 50 Mädels einzuschlagen, die sich an der Bühne versteckt hatten. Das war dann das Signal für alle: jetzt nochmal zurück. Und dabei ging die Waldbühne dann halt richtig zu Bruch!

Vier, fünf Stunden hat die Schlacht getobt, auch rundrum auf den Straßen. Dort hab' ich zum erstenmal Leute richtig ausrasten und auf die Bullen losschlagen sehen. Das kannte ich noch nicht. Wir sind aus der Waldbühne raus und in den S-Bahnzügen ging das weiter. Die gehörten dem Osten und eigentlich war es ja sogar offiziell erlaubt, die kaputt zu machen.

Am nächsten Tag haben wir uns wieder in Tegel getrof fen. Zwar nicht alle 200, aber doch ziemlich viele. Und auf einmal kanntest du alle! Darunter waren viele, wie zum Beispiel der Shorty, Knolle und Bommi Baumann, die später dann beim 2. Juni waren.

Parallel zu dieser Geschichte liefen auch die ersten Studentensachen ab: zum Beispiel Vietnamdemos, zu denen ich dann hingegangen bin. Übrigens hat eine der ersten Demos nach Neukölln geführt. Dort sind wir von den Bürgern noch fürchterlich in die Enge getrieben worden. Da gab's mehr Regenschirme auf'n Kopp als Demonstranten da waren. Weißt du, von diesen Berliner Frontstadtkadavern, die da empört waren wegen der roten Fahnen, wegen der Kommunisten. Damals waren die SEWler (Sozialistische Einheitspartei Westberlins, d.R.) ja noch dabei.....

Aus: Die Bewegung 2.Juni, Gespräche über Haschrebellen, Lorenzentführung, Knast, Edition ID-Archiv, Berlin / Amsterdam, 1995, S.13ff