FU SPIEGEL 58
SONDERDRUCK
JUNI 1967


virtuell reprinted by trend
April 1997

Seite 4

Büsch und die Polizei: alle Verletzen seien entlassen. Das war eine Lüge. In den Krankenhäusern lagen noch immer blessierte Demonstranten.

Presse: das Maß nun voll

Die Springer-Presse Berlins nahm, bevor auch nur vorläufiges Licht die blutigen Vorfälle der Demonstrationsnacht erhellen konnte, alles unter Beschuß, was den Schleiereines glanzvollen Staatsbesuches zu zerreißen drohte. Die "Morgenpost" verbreitete, die Demonstration sei das Werk "hysterischer Rudel akademischer Halbstarker , "notorischer Radaumacher , "geschulter kommunistischer Straßenkämpfer" und "amüsierter Nichtstuer" gewesen. Im Fortissimo spielte sie auf der Klaviatur xenophobischer Instinkte: "Wer es wohl meint mit Berlin, ... der jage endlich die Krawall- Radikalen zum Tempel hinaus..."

Berliner Tageszeitungen behaupteten, diese Wunde gehe auf das Konto Steine werfender Demonstranten. Die Verwundete berichtete: polizeiliche Gummiknüppel haben hier saubere Arbeit geleistet.

Am Sonntag verkündete die "Morgenpost" ihr Urteil: "Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawall-Radikalen provoziert wurden . . . Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer." Drohungen folgten: "Das Maß ist nun voll. Die Geduld der Berliner Bevölkerung ist erschöpft. "

Auch für "Bild war klar, wen die Schuld am Tode Benno Ohnesorgs zu treffen hat. Am Morgen nach der Notstandsübung der Polizei hieß es auf der "Bild -Titelseite: "Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für Demonstranten halten. Ihnen genügte der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen." Die "BZ" machte aus den Demonstranten Aussätzige: "Wer Anstand und Sitte provoziert, muß sich damit abfinden, von den Anständigen zur Ordnung gerufen zuwerden. Die Anständigen in dieser Stadt aber sind jene Massen der Berliner, die Berlin aufgebaut und Berlins Wirtschaft angekurbelt haben. Ihnen gehört die Stadt. Ihnen ganz allein! . . ." Und am Sonntag gelobte die "Morgenpost" dem autoritären Establishment Gefolgschaftstreue: "Man wünschte sich für .Heinrich Albertz und die tragenden politischen Kräfte Berlins, daß sie diesmal hart und konsequent bleiben. Sie stehen nicht allein..." Bürgermeister Albertz erfüllte den Wunsch der größten Berliner Abonnentenzeitung: er verhängte ein ge nerelles Demonstrationsverbot und kündigte die Einrichtung von Schnellgerichten gegen Demonstranten an.

Nach 24 Stunden fand Pastor Albertz, der vor Jahresfrist in einem Zeitungsinterview noch verkündete, daß er täglich fromm sein Tischgebet verrichte, auch ein Wort der Teilnahme für die Witwe des Erschossenen. Ein Kreuz aber durfte an der Mordstätte nicht errichtet werden. Peter Fechter war es einst im Großeinsatz gewährt worden.

Ein Totengedenken in der TU-Studentenstadt Siegmundshof wurde von den Berliner Senatoren kalt untersagt. Bereits am Samstag hatten Polizeilautsprecher eine Schweigeminute für Benno Ohnesorg auf dem Campus der FU gestört. Die Studenten und mit ihnen sympatisierende Professoren zogen sich schließlich in Hörsäle der Wiso- Fakultät zurück. Das brachte dem Dekan Prof. Wetzel am Sonntag eine Rügedes Regierenden ein, denn, so erklärte Albertz vor dem Akademischen Senat - er wolle jetzt die offene Konfrontation der Studenten mit der Polizei. Der studentische Widerstand müsse endlich gebrochen werden. Darum soll auch das Hausrecht der Rektoren durch Polizeieinsätze gestützt werden.

Wir Berliner!

Pastor Albertz feierte seinen eigenen Notstand. DerAkademische Senat schwieg und die Berliner Bevölkerung applaudierte. Passanten griffen in der Weddinger Müllerstraße Flugblattverteiler des FU-AStA an. Die Polizei weigerte sich, die Personalien der aggressiven Bürger festzustellen.Vor dem Schöneberger Rathaus forderten Albertz- und Springertreue Berliner, KZs und Gaskammern für Studenten. Albertz' kopflose Politik trug ihre Früchte. Doch an der Freien Universität sagte der Theologe Heinrich Gollwitzer vor viertausend Versammelten: DieAkademische Jugend werde das Aufkommen des Faschismus heute nicht mehr so gleichgültig hinnehmen wie die Studenten vor 35 Jahren.