Die theoretische Beschäftigung marxistischer Intellektueller mit
der politischen Ökonomie des Immobilienkapitalismus erfolgte in
den 1970er Jahren mehr oder minder losgelöst von den sozialen
Kämpfen in den Stadtteilen und fokussierte sich politisch
praktisch - wenn überhaupt - auf Gewerkschaften und
Mieter:innenvereine. Unter einer klassenpolitischen Behandlung
der Wohnungsfrage auf der Grundlage der Marxschen Kritik der
politischen Ökonomie wurde von ihnen in erster Linie eine
begriffliche Rekonstruktion des Grundwiderspruchs zwischen
Kapital und Lohnarbeit und seine Wirkung in der Wohnungsfrage
verstanden.
Seit den frühen 1970er Jahren bis hinein in die 1980er kam es in
der BRD und Westberlin laufend zu einzelnen Hausbesetzungen,
deren Zahl sich 1981 bis auf ca.170 gleichzeitig besetzte Häuser
allein in Westberlin steigerte. Sie waren eine spontane Reaktion
auf den drohenden Abriss von sanierungsbedürftigen Mietshäusern
und führten zum Teil zu einer Übertragung auf die
Besetzer:innen, in Westberlin organisiert durch eine vom
Berliner Senat geförderte GmbH für „behutsame Stadterneuerung“.
(Wikipedia Legalisierung.) Ebenfalls über linke und alternative
Stadtteilstrukturen gab es neben den Wohnraumkonflikten auch
punktuell Kämpfe um die Gestaltung der Infrastruktur in den
Kiezen (Schubert 2015)
Da die Arbeit an der marxistischen Kapitalkritik den
Intellektuellen als politische Praxis genügte, entstanden in den
stadtteilpolitischen Kämpfen unter den Akteur*innen eigene
kapitalkritische Überlegungen, wie mit der Wohnungsfrage im
Kapitalismus umzugehen sei und verbanden sich mit dem Willen
nach Selbstbestimmung der persönlichen Lebensgrundlagen, was
sich politisch auch in der Gründung alternativer bzw. grüner
Parteiprojekte ausdrückte. Zur historischen Einordnung der
Stadtteil- und Wohnungskämpfe erschien 1978 eine Textsammlung
mit Beiträgen zur Entwicklung der Kämpfe in urbanen Räumen im
internationalen Vergleich. Darin enthalten auch ein Beitrag des
marxistischen Humangeographen David Harvey, der die
Grundrentenproblematik in einer „klassenanalytischen Dimension“
behandelte. Die Aufnahme dieses Textes geschah mit der Absicht,
„eine tendenziell ökonomistische Selbstbeschränkung der
Grundrentendebatte, wie sie auch für die bundesrepublikanische
Diskussion charakteristisch ist“ zu vermeiden (Mayer et al. 1978
: 10) Dieser Anspruch wurde von Harvey voll erfüllt, indem er in
seinem Beitrag betonte, dass es „nicht von Belang“ sei, ob sein
Untersuchungsbegriff „Klassenmonopolrente“ den „Marxschen
Kategorien der Monopolrente oder der absoluten Rente zugerechnet
werden soll“, denn es ginge darum aufzuzeigen, warum in den
kapitalistischen Städten die Klasse der „Eigentümer
parzellierter Ressourcen“, die Macht hat, mit ihren Grundstücken
„immer ein Minimum an Profit zu erzielen“ ( Harvey 1978 : 59).
Harveys klassensoziologische
Behandlung der Wohnungsfrage
lief schließlich darauf hinaus, sich wohnungspolitisch für
Reformen mit begrenzter Reichweite einzusetzen:
„Das
Klasseninteresse der professionellen Hauseigentümer ist dem der
Mieter diametral entgegengesetzt. Sobald die Wohnungsqualität
sinkt und Mieten und Grundrenten relativ oder absolut steigen,
werden viele Mieter sich andernorts nach Unterkunft umsehen. Da
sie aber im wesentlichen an den Ort gebunden sind, bleibt ihnen
kaum eine Ausweichmöglichkeit. Wo immer sie einen politischen
Faktor darstellen, können sie versuchen, das Klassenmonopol der
Hauseigentümer durch Einführung von öffentlich kontrollierten,
minimalen Wohnungsstandards
oder Mietkontrollen zu brechen.“
(ebd. 61)
Eingebettet in die Berichte über die Stadtteilkämpfe in Italien,
Frankreich, Belgien, Großbritannien, USA und Australien lieferte
Harveys klassensoziologische Beschreibung der Stadtkrise den
Stadtteilakteur:innen einen Deutungszusammenhang für ihre
Erfahrungen, woraus sozusagen ein ein eigener, durch die Praxis
vermittelter Blick auf die Wohnungsfrage entstand. Ihr
wohnungspolitisches Engagement zielte nun vornehmlich darauf ab,
die Macht des Immobilienkapitals auf kommunaler Ebene
einzugrenzen. Unter dem Titel „Kommune als Gegenmacht“ erschien
1985 passgenau eine Aufsatzsammlung, die versuchte
unterschiedliche Erfahrungen aus „alternativer Politik in
Städten und Gemeinden“ strategisch zu bündeln. Auf dem Gebiet
der Wohnungspolitik unter Absehung der kapitalistischen
Verwertungsbedingungen ging es in diesem Buch vor allem um
kommunale Wohnraumbelegungsrechte, Dezentralisierung und
Nutzer:innenbeteiligung sowie um die „Wiedergewinnung relativer
Autonomie in der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“. Deren
polititisches Ziel hieß, gestützt auf die Vernetzung von „neuen
nachbarschaftlichen Trägern der Wohnraumversorgung“ ein
„dezentralisiertes flexibles Geflecht kommunaler
Wohnungsgemeinwirtschaft“ herzustellen. (Diehl 1985)
Solche wohnungspolitischen Prinzipien fanden im selben Jahr auch
Eingang in das Wahlprogramm der westberliner Alternativen Liste
(AL) für die anstehenden Abgeordnetenhauswahlen. Die AL wollte
sich nicht allein auf die Verteilungsfrage beschränken, sondern
ausgehend vom städtischen Eigentum auf die Eigentumsfrage
fokussieren. Unter dem Schlagwort „Mietenpooling“ brachte die AL
einen Antrag in das Landesparlament ein, der - beginnend mit
200.000 Wohnungen - darauf abzielte,
diesen städtischen Wohnungsbestand aufzuteilen und in
„bezirkliche Wohnungsvermögen“ zu überführen. Daraus könnte ein
„Mietenpooling“ gebildet werden, um
aus den unterschiedlichen
Teilmärkten
„Überschüsse
und versteckte Gewinne“ zusammenzufassen und zur Mietensenkung
zu verwenden. So könnte in allen städtischen Wohnungen eine
gleiche Miethöhe möglich werden, niedrige Mieten gesichert und
der Spekulation ein Riegel vorgeschoben werden. Dafür sollten
Selbstverwaltungsstrukturen für Mieter:innen „in überschaubaren
und mieternahen Einheiten“ gebildet werden. Auf der exekutiven
Ebene sollten Bauverwaltungs- und Bauträgeraufgaben getrennt
werden. Dabei wurde auf England verwiesen, wo
„bereits von vielen Verwaltungsgenossenschaften im Rahmen des
Kommunalen Wohnungsbaus“ solche Strukturen bestanden
(AL-Wahlprogramm
1985). Anzumerken ist hier, dass
dieser wohnungspolitische Regulierungsvorschlag zur Begrenzung
der Kapitalfunktion städtischer Wohnungen sich nicht aus der
Marxschen Kapitalkritik ableitete, sondern aus den Erfahrungen
mit den in Westberlin besetzten Häusern.
Auf dem Höhepunkt des westberliner Häuserkampfes war im Hinblick
auf die Möglichkeit, die Häuser selber verwalten zu können,
nämlich das Bedürfnis entstanden, die kapitalistische Verwertung
von Immobilien durchblicken zu wollen. Es erschien daher 1982
vom Berliner Mieterverein unterstützt das sogenannte
„Abschreibungsdschungelbuch“, worin mit einem
betriebwirtschaftlichen Untersuchungsansatz versucht wurde das
„Geschäft mit dem Wohnungsbau“ als Comic kapitalkritisch zu
vermitteln (Ulsen u. Classen 1982).
Ohnehin war die Wohnungsmisere strategisch aus der Perspektive
der Gemeinützigkeit zu bekämpfen aufgrund des kapitalistischen
Geschäftsgebahrens des gewerkschaftseigenen Wohnungskonzerns
„Neue Heimat“ zum No-Go für eine linke Wohnungspolitik mit
kiezigen Wurzeln geworden. Seit 1982 war die Neue Heimat nicht
nur als Unternehmen durch Skandale in ihrer Führungsetage in der
Krise( Neue Heimat.Wikipedia Dossier) sondern auch die sie
tragende Gemeinnützigkeitsideologie. Unabhängig von diesen
Skandalen, die nur die Begleitmusik spielten, zeigte die
Geschichte der „Neuen Heimat“, an deren Renditen über 85 Banken
(IMSF 1987 : 101) beteiligt waren, überdeutlich:
„Dort
wo derartige Unternehmen unmittelbar mit privatkapitalistischen
Produzenten in Kontakt stehen oder kommen, lässt sich der
Gebrauchswertzweck auf Dauer nicht aufrecht erhalten oder wird
nur noch äußerlich, während sich unter der Hand faktisch die
Verwandlung in ein kapitalistisches Unternehmen vollzieht, was
dann mit der faktischen Umstellung des Eigentums auf
Gesellschaftskapital auch den formellen Schlußpunkt erhält.“
(ebd. 136f)
Nur wenige marxistische Intellektuelle wie z.B. Stefan Krätke
befassten sich in diesen Jahren mit der Theorie der
Gemeinnützigkeit und den daraus abgeleiteten wohnungspolitischen
Vorschlägen. Er vermerkte zu deren Anspruch sich als
„Gegenkonzepte zur fortgesetzten Vermarktwirtschaftlichung“ zu
labeln, die „in einigen Fällen bereits eine
reformpraktische Umsetzung auf kommunaler Ebene erreicht“
hatten:
„Soweit
der 'Genossenschaftsgedanke' ideologisch die Diskussion beherrscht,
schwächt sich der Druck ab, über breitenwirksame
Strukturreformen des gemeinwirtschaftlichen Sektors nachdenken
zu müssen. Es besteht die Gefahr, daß die Sozialdemokratie unter
dem modischen Leitbild der Entbürokratisierung und
genossenschaftlichen Privatisierung auch jeden konkreten Ansatz
zur notwendigen Entkapitalisierung des Sozialen Wohnungsbaus und
der öffentlichen gemeinwirtschaftlichen Träger aus der
Diskussion heraushält. Auch in Teilen der Grünen/ Alternativen
ist die Perspektive einer Vergenossenschaftlichung des
Wohnungsbaus höchst populär, weil sich damit u.a. die
Vorstellung einer Entbürokratisie-rung, Selbstbestimmung und
'Politik von unten' verbindet, zumal viele praktische
Initiativen zur Schaffung neuer genossenschaftlicher
Trägerformen gerade aus den Kreisen der Grünen/ Alternativen
kommen … Hier besteht die Gefahr, daß die sog. 'Scene' nur noch
Alternativen für sich selbst propagiert, d.h. keine
verallgemeinerungsfähigen wohnungspolitischen Reformansätze mehr
verfolgt, was zur alternativen Lobby-oder Klientel-Politik
führen kann, die zwar sicher den neuen 'alternativen
Mittelstand' bedient, aber der in großem Maßstab weiter
voranschreitenden sozialen Polarisierung hilflos gegenüberstehen
würde.“ (Krätke 1985 : 121f)
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