Bei der Demontage des
fordistisch-keynesianischen Sozialstaats durch die „Hartz
IV-Gesetze“
(Hartz IV)
- entstand auf Seiten des
staatstragenden akademischen und politischen Personals der
diskursive Drang, den bisher durch den Fürsorgegedanken
geformten Gerechtigkeitsbegriff zu überprüfen, um ihn stärker
auf den neoliberal runderneuerten Kapitalismus auszurichten. Es
begann ein bis heute anhaltender Umbau des Sozialstaats in einen
Teilhabestaat, um „Fordern und Fördern“ als populistische
Leitlinie und Kennzeichen für eine „aktivierende Sozialpolitik“
(Lutz 2011) sowohl rechtlich als auch durch verschlankte
Verwaltungsstrukturen zu befestigen. Damit verbunden wurde das
ideologische Konzept vom werteorientierten persönlichen Streben
nach Besitz und sozialem Ansehen, was stattdessen erst einmal in
Gestalt der „Hartz IV-Gesetze“ zu einem deutlichen Anwachsen
persönlicher Risiken und sozialen Verwerfungen führte. Während
des Schredderns der Sozialstaates wurde das Leuchtfeuer des
Trost spendenden Teilhabestaats entzündet. In diesem Sinne
tagte im Mai 2007 die Vollversammlung
des Zentralrats der deutschen Katholiken unter dem Motto
„Versprechen einhalten - Armut wirksam bekämpfen!“ und die grüne
Bundestagsvizepräsidentin
Katrin Göring-Eckardt übernahm die Aufgabe, das Konzept eines
„Teilhabestaates“ als Wut und
Enttäuschung dämpfendes Ventil für die zunehmenden sozialen
Verwerfungen in seinen Eckpunkten vorzustellen. Im Zentrum ihres
Beitrages stand zunächst eine klare Absage an das auslaufende
Modell des fordistisch-keynesianischen Sozialstaats, verbunden
mit einem polemisch erhobenen Zeigefinger:
„Ein
Staat, der alle gleich macht, handelt aus seiner
Sicht einfach und bequem, aber
ungerecht in Bezug auf die Bedürfnisse derjenigen, die nicht
gleich sind oder von der Gleichheit profitieren.“
(Göring-Eckardt 2007 : 2)
Für Göring-Eckardt war es daher
unabweisbar, dass der von ihr favorisierte „Teilhabestaat“ im
„Gegensatz zur bisherigen Tradition“ zukünftig als ein „welfare
mix“ bestehend aus „staatlicher, professioneller, familiärer und
bürgerlicher Unterstützung“ organisiert werden sollte (ebd.).
Vor allem sollte dieser Teilhabestaat auch neue Formen
„politischer Teilhabe“ generieren, wo das „Prinzip
Gegenseitigkeit“ gilt, indem „Staat und Individuum füreinander
eintreten“ (ebd. 3) Nahezu gleichzeitig erschien das Buch des
Philosophieprofessors Volker Gerhardt „Partizipation. Das
Prinzip der Politik.“, welches diese Umbaupläne gleichsam
ideologisch absicherte. Dazu bemühte der Autor, als langjähriges
Mitglied des „Deutschen Ethikrats“, evangelischer Christ und
Mitglied der Grundwertekommission der SPD umfassend sein
bürgerliches Fachwissen, um daraus theoretische Versatzstücke
zusammenzufügen, die dem Konzept vom Teilhabestaat eine
geschichtsphilosophische Legitimation und eine passende
normative Plattform verliehen:
„Alle
Politik beruht auf dem Prinzip der Partizipation. Denn ganz
gleich, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen
Politik gemacht wird: Stets müssen einige (in der Regel sogar
viele) Menschen mit dem ausdrücklich Ziel zusammenwirken, Macht
über einen sozialen Verband auszuüben. Sie haben sich als Teile
in ein Ganzes einzubringen, als dessen Vertreter sie handeln.
Damit nehmen sie aktiv und passiv Anteil an einer Macht, die auf
ihrer bewussten Tätigkeit beruht. Die ausdrückliche Anteilnahme
an einem gesellschaftlichen Ganzen,
das man – als dieses Ganze – zu schaffen, zu erhalten, zu lenken
oder zu ändern sucht und das man zu vertreten hat, ist
Partizipation.“ (Gerhardt 2007 : 472)
Die
im selben Jahr weltweit ausbrechende Finanzmarktkrise (Sandleben
2016)
und
die daraus folgende
Zunahme sozialer Verwerfungen sowie die Formierung eines rechten
Lagers - befördert durch eine aus der gesellschaftlichen Mitte
heraus anwachsende rassistisch-nationalstaatliche Kontaminierung
des Politischen (Schubert 2010, Schubert 2012) - ließen für die
bürgerlichen Parteien deutlich werden, dass andere Formen
sozialstaatlicher Regulation als die keynesianische unabdingbar
notwendig geworden waren. Folglich rückten Fragen wie „Was heißt
und wie kann soziale Gerechtigkeit realisiert werden?“ immer
mehr ins Zentrum des Diskurses. „Partizipation“ - und dazu
synonym gebraucht „Teilhabe“ wurden zu Schlüsselbegriffen bei
der verstärkten diskursiven Suche nach passenden
Organisationsformen für vermeindliche politische, soziale und
kulturelle Gerechtigkeit. Bereits drei Jahre später stellte die
Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass sich der Diskurs zusehend
von den Begriffen „Partizipation“ und „Beteiligung“ entfernt
habe, indem das Synomym Teilhabe mit Inklusion gleichgesetzt
oder mit „Komposita“ wie z.B. Teilhaberechte,
Teilhabegerechtigkeit oder Teilhabegesellschaft verbunden wurde
(Nullmeier 2010 : 32). Diese begriffliche Ausdehnung hing
unmittelbar damit zusammen, dass neben den gesetzlich
vorgeschriebenen Formen der Partizipation im politischen Raum
mit Bürger:innen zeitlich begrenzt ausgehandelte Foren auf
kommunaler Ebene sukzessive hinzugekommen waren, die fortan als
akzeptierte Instrumente kommunikativer Konsensbildung zur
sozialen Beruhigung Wirksamkeit zu entfalten vermochten. Bereits
2012 nannte das „Handbuch Bürgerbeteiligung“ 17 international
praktizierte „Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung“,
wovon in der BRD etliche zur Anwendung kamen. Die zeitliche
Dauer eines solchen Beteiligungsprojekts mit vier Gruppen zu je
25 Teilnehmer:innen betrug bei einem „Bürgergutachten“ vier Tage
und konnte aber auch mehrere Jahre umfassen wie zum Beispiel
beim „Bürgerpanel“ mit 500 bis 2500 Beteiligten ( Nanz et
Fritsche 2012 : 84-86) |