Unmittelbar nach den
Benno-Ohnesorg-Kongress, an dem er als Zeitzeuge in der AG
„Aufbruch zum Proletariat „teilgenommen hatte, schloss sich
Jürgen Brumm, ein alter Freund und Weggenosse von Schubert dem
TREND-Projekt an. Nicht nur aufgrund der Erfahrungen mit dem
Benno-Ohnesorg-Kongress, sondern auch wegen der anderen
Ereignisse des ersten Halbjahres 1997 entwickelte sich in der
TREND-Redaktion die Meinung, dass nun der Zeitpunkt gekommen
sei, eine erste Zwischenbilanz ihrer eineinhalb jährigen Aktivitäten
auf und entlang der Datenautobahn zu erstellen. Dieser Plan
musste leider erst einmal beiseite geschoben werden, denn am
12.Juni 1997 wurden „insgesamt 9 Wohnprojekte, Wohnungen und
Druckereien von über 900 Polizeibeamten durchsucht.. Es wurden
u.a. Computer, Disketten, Publikationen aus dem linksradikalen
Spektrum, Adressbücher und persönliche Unterlagen von Menschen
beschlagnahmt.“
(31) Begründet wurde der polizeiliche Überfall mit der Suche
nach angeblichen Verantwortlichen für die "redaktionelle
Zusammenstellung, Herstellung, dem Druck sowie dem Vertrieb der
Zeitschrift INTERIM" denen laut Justizsprecher Rüdiger Reiff der
Verdacht der „öffentlichen Belohnung und Billigung von
Straftaten“ zur Last gelegt wurde. Sozusagen „just in time“
erhielt TREND von den INTERIM-Genoss:innen die virtuelle Nummer
425 zur Verbreitung via WWW und für die Einrichtung einer
Soliseite, die ab 13. Juni 1997 bei TREND auf dem Internetserver
von BerliNet nun weltweit erreichbar war. Die TAZ informierte
ihrerseits zeitgleich:
„Pünktlich
zur Auslieferung der aktuellen Ausgabe ist die Szenezeitschrift
Interim nun auch im Internet zu lesen. Die Homepage mit dem
Titel "Ein Prinzip kann man nicht verbieten" ist über einen Link
der ehemaligen GEW-Zeitschrift trend
(http://www.berlinet.de/trend) zu erreichen. In der jüngsten
Netzausgabe der Interim sind vor allem Beiträge zu den
Durchsuchungen der vergangenen Woche sowie Pressebeiträge über
die Kriminalisierung der Zeitschrift dokumentiert. Außerdem gibt
es den ausführlichen Verfassungsschutzbericht über die Interim
zu lesen, in dem von einer "Publikation mit einem nahezu
institutionellen Charakter" die Rede ist. Von der Redaktion der
Netzzeitung wird im übrigen darauf hingewiesen, daß die
Internetausgabe der Interim als Ergänzung und nicht als
Alternative zur Druckausgabe verstanden wird.“(32)
In der Folgezeit erschienen clandestin redigiert, gedruckt und
verbreitet in schöner Regelmäßigkeit weitere INTERIM-Ausgaben
bis zur Nummer 440 vom 18.Dezember 1997 nicht nur gedruckt,
sondern auch für das WWW digitalisiert. Dafür gab es außer der
Homepage bei TREND sechs Mirrorseiten im WWW. Die
INTERIM-Genoss:innen nutzten diese Seiten um ihr politisches und
publizistisches Selbstverständnis über ihre bisherigen
Einflusssphären hinaus zu verbreiten (33). Nachdem in der
Redaktion die Voraussetzungen geschaffen waren, neben den
regelmäßig monatlich erscheinenden Ausgaben plus wöchentlicher
Updates auch die zeitnahe Aktualisierung der INTERIM-Solipage
redaktionell sicherzustellen, konnte sich die Redaktion ihrer
Zwischenbilanz widmen. Denn TREND war seit Mitte 1996 über ein
reines Onlinezeitungsprojekt hinausgewachsen und hatte sich nun
zu ein strömungsübergreifendes Vernetzungsprojekt entwickelt.
Zum Jahreswechsel 1997/98 hostesten unter dem Label TREND auf
der BerliNet-Domain folgende Magazine, Projekte und Archive:
40 Jahre KPD-Verbot
(Serie: ca. 20 Texte)
1977 der Polizeistaat in Aktion
(25 Texte)
A-Kurier - Anarchistisches Infoblatt aus Bärlin
SOZ - Sozialistische Zeitung
Anares Nord – Vertrieb anarchistischer Bücher
Aufruhr & Revolte (Textarchiv zum 2. Juni 1967)
AurorA Buchvertrieb
BAHAMAS Nr. 21 & 22
& 23 & 24
Benno-Ohnesorg-Kongress
– Kongressmaterialien
Chiapas und die Linke.
Ein Reader des AStA der Freien Universität Berlin
Das Kapital im Internet,
MEW 23, 24, 25 als Downloaddateien
Die Linkskurve -
das virtuelle Textarchiv
espero - Forum für libertäre Gesellschafts- und
Wirtschaftsordnung
Gotham City -
Reader hrg. vom AStA FUB und den
Jungdemokraten/Junge Linke
Initative gegen Studiengebühren
/ Boykott-Info Nr. 5 /Okt.1996
INTERIM "Ein
Prinzip kann man nicht verbieten!" Nr. 425 - 440
Kalaschnikow - Waffe der Kritik – Onlineversion
Offenes Kommunistisches Forum
/ Texte und Termine
Rote Hilfe Rechtshilfetips bei Übergriffen, Festnahmen und auf der
Wache
Rundbrief antifaschistischer/ antirassistischer GewerkschafterInnen
Stressfaktor -
Berliner Monatskalender für Subkultur und Politik
Übergänge - ein Projekt stellt sich und seine
Zeitschrift vor
Verlag Schwarze Risse / Rote Gasse
Angeregt durch das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ (34)
erhielt die Zwischenbilanz die Form einer programmatischen
Erklärung, die Ende September 1997 unter dem Titel „Virtuelle
Räume erhalten bzw. ausbauen“ (35) ins Netz gestellt wurde.
Zusammengefasst enthielt sie folgende Kernaussagen:
1.
Der Begriff der Gegenöffentlichkeit, wie ihn die TREND-Redaktion
in Bezug auf das Internet benutzt, entstammt der 68er Bewegung
und wurde von der Redaktion in ihrer „GEW-Zeit“ als Synonym für
die Verbreitung unterdrückter Nachrichten verwendet. Den Begriff
der eigenen „proletarischen Öffentlichkeit“, wie er von den
K-Gruppen der 1970er Jahre verwendet wurde und das Konzept der
„alternativen Öffentlichkeit“, wie es sich in den sozialen
Bewegungen der 1980er Jahre entwickelt hatte, sind weder
hinreichend noch zutreffend für eine linke Publizistik im
„Kommunikationsraum“ Internet. Da die „politisch und ökonomisch
Herrschenden“ ihre Kontrolle über das Internet immer weiter
ausbauen, besteht für jedes linke&radikale Internet-Projekt die
Notwendigkeit, bisher im Virtuellen besetzte Räume zu erhalten
bzw. auszubauen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Begriff der
Gegenöffentlichkeit ein derzeit noch inhaltlich hinreichender.
2. Über die reine Verbreitung von marginalisierten
Nachrichten wurde bald hinausgegangen. So wurden virtuelle
Textarchive wie z.B. zum KPD-Verbot und für den
Benno-Ohnesorg-Kongress aufgebaut. Solche Archive sind
„Gedächtnisspeicher“, die kostengünstig erstellt werden können.
„Damit wird ausgegrenztes oder totgeschwiegenes Wissen wieder
zugänglich gemacht“.
3. Die Widerstände gegen die Nutzung des Internets sind
z.Z. noch stark verbreitet. „Für eine Linke, die sich in
gesellschaftlichen Nischen eingerichtet hat und dabei ihre
Dialogfähigkeit verlor, kann das Internet, welches dezentral und
ortsungebunden sowie von sogenannten Sachzwängen der Printwelt
entkoppelt ist und interaktive Kommunikation möglich macht, aber
auch als Herausforderung begriffen werden, ein zeitgenössisches
linkes Selbstverständnis zu reformulieren.“
4.
Im Hinblick auf die „gewaltförmigen Möglichkeiten“, die das
Internet z.B. für Kinderpornografie oder Anti-Antifa-Seiten
bietet, erklärt die TREND-Redaktion, dass sie eine Praxis, die
jenseits des Netzes gegen solche Gewalt vorgeht, ausdrücklich
unterstützt. Allerdings: „Wer "free speech & free visit" ernst
nimmt, wird in der weltweiten Netzöffentlichkeit auch
faschistische Websites aushalten müssen.“ Denn: „Die
Auseinandersetzung um die Hegemonie im Kommunikationsraum
Internet kann letztlich nur jenseits des Netzes geführt werden.“
5.
Im Vergleich zum Printmedium konnte für TREND festgestellt
werden: „Es entstand eine neue Arbeitsteilung und eine
vorher nicht vorhandene Hierarchie hinsichtlich des Umgangs mit
den aus dem Netz gewonnenen und hineingespeisten Informationen.
Dagegen verflachten sich die Hierarchien zwischen
trend-"LeserInnen" und "MacherInnen". Die Kommunikation
entkoppelte sich von festen Terminen und wurde interaktiv.“
6.
An Stelle der aus bürgerlichen Kreisen stammenden Forderung nach
einem „Grundrecht“ auf eine eigene Email-Adresse tritt die
Redaktion für "open terminals" und Internet-Cafés mit
kostenloser und anonymer Nutzung des Internet ein, weil „diese
viel eher einem linken Verständnis von freiheitlicher
Vergesellschaftung des bürgerlichen Individuums entsprächen als
auf Vereinzelung zielende Konzepte des sich per Email-Adresse
und Homepage "Ins-Netz-Stellen-Können".
Es sollte sich in den kommenden Jahren zeigen, dass durch
allerlei Wendungen und andere bzw. neue Bündnisse diese
Essentials teilweise modifiziert oder gar ganz fallengelassen
wurden.
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